Re: Hallo, ich bin der neue ...

11. 01. 2021 12:20
Hallo Kruemeltee,

willkommen hier im Forum. Da hast du als junger Familienvater mit einer Patchworkfamilie und Haus schon durch den normalen Familienstress einiges zu stämmen. Ich kann mir vorstellen, wenn dann so eine Verunsicherung hinzukommt und du nicht weiß, was nun richtig ist, den Stresspegel noch erhöht.

Es ist gut dass du Dir Hilfe holst, sowohl hier, als auch durch entlastende Gespräche, vielleicht auch selbst für therapeutische Unterstützung für dein eigenes Wohl sorgen? Was ich an deinem Text gut finde ist, dass du auch immer wieder dein eigenes Verhalten reflektierst und du dich eben nicht als Fehlerfrei in der Beziehung siehst.

Nun weiß ich nicht, ob deine Frau auch weitestgehend phasenfreie Zeiten kennt, wo du sie eher geerdet wahrnimmst. In dieser Zeit wäre es vielleicht möglich mal ohne Kinderstress sich zusammen zu setzen und ohne Vorwurfshaltung über die Mögliche Zukunft zu sprechen: Ist eine Trennung besser oder wollt ihr es doch nochmal gemeinsam probieren.

Wenn jemand die Diagnose "bipolare Störung" hat, dann ist es zwar richtig, dass zunächst der Betroffne es ist, der sich selbst damit auseinander setzen muss und den Willen und Mut aufbringen, um dem ganzen etwas entgegen zu setzen, mit Therapien, mit ggf. Medikamente etc. pp.

Jedoch ist bei einem solchen Störungsbild eben nicht nur derjenige mit der Diagnose betroffen, sondern auch sein nahes Umfeld, wie Familie. Und deshalb geht es dich durchaus auch etwas an, denn du musst ggf. einspringen in einer Phase, die Kinder schützen, ggf. Entscheidungen treffen, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage ist und ihr spürt als erstes die möglichen Konsequenzen ihres Handelns in einer Phase.

Nach meiner Meinung kann bei solch einer Situation in einer Beziehung die Auseinandersetzung damit nicht nur allein bei dem Betroffenen liegen, sondern das was die Familie betrifft sollte gemeinsam besprochen werden.

Ich kann ihre Bedenken bzgl. Stempel durchaus nachvollziehen, ist den Meisten von uns wohl ähnlich ergangen. Auch ich musste zunächst mit meiner eigenen Selbststigmatisierung fertig werden. Erst als ich in einem Prozess es geschafft habe, meine Grenzen zu akzeptieren, wurden andere Möglichkeiten erst sichtbar.

Diese Akzeptanz ist ein schwieriger Prozess. Da kann die Aussage "Du bist die Kranke" schon sehr kränkend sein. Denn auch wenn jemand diese Diagnose bekommen hat, ist der Mensch viel mehr als nur seine Phasen. Deshalb würde ich anraten in einem Gespräch sie nicht als Kranke zu bezeichnen, sondern von Krankheitsphasen zu sprechen. Denn die eigene Identität hat einen Wert und gerade wir mit Krankheitsphasen ringen oft genug um unsere Identität.

Vielleicht gibt es auch in Eurer Umgebung eine Selbsthilfegruppe und wenn deine Frau mal offen ist für das Thema könntest du es ggf. einbringen, dass sie dort mit Gleich-Erfahrenen evtl. in Austausch treten kann, der erste Schritt, um sich damit auseinander zu setzen.

Es gibt viele Menschen mit dieser Diagnose, die in ganz "normalen" Berufen arbeiten und dort sich nicht outen. Wenn sie aber das Thema nicht angeht, wird sie in einer Phase ggf. auch so ihren Arbeitsplatz verlieren aufgrund ihres Verhaltens in einer Phase.

Vielleicht gibt es für Euch beide eine Person, der ihr beide vertraut und in einer eher stabileren Phase könntet ihr versuchen, zu dritt mal ein Gespräch darüber zu führen, wie es weitergehen soll. Denn du hast Recht, so wie du es jetzt beschreibst, ist es für alle Beteiligten eher schwer und bezüglich Familienwohl liegt die Verantwortung bei Ihr und das bedeutet, sich der Kranheit zu stellen und in Behandlung zu gehen. So zu tun, als gäbe es diese Störung nicht, wird sie selbst auf Dauer nicht weiter bringen sondern sie läuft von einem Drama ins Nächste.

Viele Grüße Heike

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Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.

"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 11.01.21 12:28.
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Hallo, ich bin der neue ...

kruemeltee 1241 11. 01. 2021 07:50

Re: Hallo, ich bin der neue ...

downtoearthguy 230 11. 01. 2021 12:00

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kruemeltee 346 11. 01. 2021 12:30

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downtoearthguy 257 12. 01. 2021 10:47

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kruemeltee 177 12. 01. 2021 20:33

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Milla 230 11. 01. 2021 12:16

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kruemeltee 169 11. 01. 2021 21:23

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Heike 358 11. 01. 2021 12:20

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kruemeltee 181 11. 01. 2021 21:27

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kinswoman 444 11. 01. 2021 22:19

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kruemeltee 194 12. 01. 2021 20:43

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soulvision 267 12. 01. 2021 22:14

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Turicum 413 13. 01. 2021 15:18



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