Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

22. 11. 2020 19:25
Liebe/r stairway-to-heaven,

als ich die Zeilen deines ersten Beitrages in diesem Thread gelesen habe, habe ich mich sehr betroffen und verstanden gefühlt. Nun teile ich meine Erfahrungen mit dir, vielleicht kannst du diesen Erfahrungen und den Strategien damit umzugehen, was abgewinnen.

In meinem engsten sozialen Umfeld "gibt es psychische Erkrankungen nicht". Das heißt, ich werde seit Jahren damit konfrontiert, dass ich faul und ein Schmarotzer bin. Da ich bipolar 1 bin, habe ich ständig damit zu tun, stabil zu bleiben. Das ist anstrengend. Für mich halt. Ich schwanke relativ regelmäßig zwischen leichter Depression und eindeutiger Hypomanie. Psychotische Symptome habe ich seit 2014 gut unter Kontrolle. Jedenfalls bin ich "ein Parasit für die Gesellschaft", "ein Schmarotzer" oder einfach "nur faul". Ich habe aufgehört dagegen anzukämpfen und sage dann zu den Leuten halt Sachen wie "Augen auf bei der Berufswahl!" oder "neidisch?" oder "die Reichen leben von den Dummen, und die Dummen von der Arbeit!".

In meinem Freundeskreis ist es unterschiedlich. Es gibt FreundInnen, die meine psychische Erkrankung einschätzen können und damit klar kommen. Dies gilt sowohl für meine männlichen als auch weiblichen Freunde und ist altersunabhängig. Mein bester Freund jedoch, konfrontiert mich seit 2016 regelmäßig damit, dass ich keinen Job länger als 6-12 Monate behalte und mich "einfach nicht genug anstrenge". Geholfen hat erst, als ich ihm meine offizielle Stundenaufzeichnung und meine inoffizielle ausgedruckt und gezeigt habe. Ich habe in jedem Job zwischen 5 und 7 unbezahlte Überstunden pro Woche gemacht, nur um zu bestehen. Ich habe samstags und sonntags zusätzlich gearbeitet - natürlich nur für ein paar Stunden, aber immerhin. Im Büro versuchte ich z.B. sonntags um 7 in der Früh unbemerkt zu arbeiten oder einfach home office zu machen. Erst durch diesen "Beweis" hat er gecheckt, dass ich mich nicht auf die faule Haut lege. Trotzdem reichte es für den Chef nicht, und ich wurde gerade wieder rausgeworfen.

Beim Telefonieren merke ich mir Sachen so schwer. Freunde und Bekannte sind genervt, dass ich 5x die gleiche Story erzähle oder nachfrage obwohl sie mir etwas schon erzählt haben. Habe begonnen mitzuschreiben und mir vor weiteren Gesprächen die Notizen durchzulesen.

In der Arbeit höre ich immer das gleiche. "Sie sind so unkonzentriert!" "Denken Sie doch einmal mit!" "Hirn einschalten!" "Was dauert da so lange, das ist nur ein Mausklick!" Ich lächle, mach weiter und erzähle davon dann meiner Psychotherapeutin.

Unterm Strich geht es mir wie dir, stairway-to-heaven. Habe schon fast alles gehört, von "faul" bis "Minderleister". Überlege, in Frühpension zu gehen. Mir hilft halt, dass ich mir sage "die wissen nichts über meine Erkrankung, sie messen mit dem falschen Maßstab, ich bin kein Rennpferd unter Rennpferden sondern eher ein Noriker unter Rennpferden." Und Noriker sind liebe Tiere!

Vielleicht hilft dir der eine oder andere Gedanke etwas.

Alles Liebe

calypso
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Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

stairway-to-heaven 1396 17. 11. 2020 13:51

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

Wesker 468 17. 11. 2020 15:15

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

FLYHIGH 362 17. 11. 2020 15:38

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

SearchMyself 351 20. 11. 2020 09:57

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

stairway-to-heaven 349 21. 11. 2020 13:36

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dry 324 21. 11. 2020 17:08

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

hummelchen 334 22. 11. 2020 16:10

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

downtoearthguy 272 22. 11. 2020 13:55

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

calypso 305 22. 11. 2020 19:25

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

maniac23 233 25. 11. 2020 16:59

Re: Inakzeptanz und Ignoranz im sozialen Umfeld

stairway-to-heaven 459 25. 11. 2020 18:41



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