Gestern war mal wieder eine Stadt-Tour fällig. Normalerweise lebe ich ja gottlob fast völlig ohne den Anblick maskierter Menschen, mit Homeoffice und zweimal am Tag mit dem Hund in den Park. Einkaufen tut die Familie.
Aber mein Quilonum war alle, also kurz die Ärztin angerufen und "ja, vorbeikommen passt" gehört. Dort angekommen, wartete ich ab, bis ein Maskierter sein Anliegen besorgt hatte, und sprach dann ein paar Minuten mit der Ärztin und einer Helferin - worüber, werde ich wohl noch ein weiteres Posting schreiben. Beide hatten, wie ich, keine Maske auf.
Mit dem erhaltenen Rezept begab ich mich dann in die nahe Fußgängerzone, wo ich die Apotheke wusste, die mich zuletzt so freundlich bedient hatte. Ich näherte mich dem Eingang, und nahm zuerst auf dem Boden Aufkleber war, auf denen "Eingang" und "Ausgang" zu sehen war, dazwischen eine Linie (oder ein Bügel?). Drinnen sah es leer aus. Ich entschied mich dann für den "Ausgang" und durchschritt ihn.
Ich ging dann in die Mitte des großen Raums mit an die zwanzig plexiglasbewehrten Bedienungstheken, von denen etwa die Hälfte mit Personal, aber auch jeweils Kundschaft besetzt waren. Aber nach wenigen Sekunden bemerkte mich eine Dame vom Personal, fragte mich nach meinem Begehr und ging dann folgerichtig mit mir zu einer der Theken. Sie sprach dann davon, dass ich ein Maskenattest vorzeigen müsse. Ich sagte ihr wahrheitsgemäß, dass ich eines besäße, dass dieses aber zwei Tage zuvor von einem Facharzt als "nicht gültig" qualifiziert worden war (mit welcher Begründung mir die Behandlung verweigert wurde), und ich danach vergessen hatte, es wieder ins Portemonnaie zu legen. Dann packte sie mein Quilonum ein, und ich durfte mir sogar noch einen Jahreskalender aussuchen.
Ich verließ dann nach kaum fünf Minuten die Apotheke. Erst beim Herausgehen nahm ich wahr, dass draußen vor dem "Eingang" etwa ein halbes Dutzend maskierte Menschen standen, die offenbar der Meinung waren, sie müssten dort Schlange stehen.
Nach diesem positiven Erlebnis hatte ich noch die Energie, die Atmosphäre spüren zu wollen, die jetzt in der Haupt-Einkaufspassage meiner 100.000-Einwohner-Stadt herrscht. Ich betrat diese also durch den Haupteingang und fuhr die Rolltreppen hinauf, vorbei an den Imbissen und weiter zu den Buch- und Klamottenläden. Vorbei an der Parfümerie, noch mehr Klamottenläden, einem Kaufhaus. Überall nur Maskierte - der einzige normale Mensch
außer mir eine uralte Frau.
Nach etwa 800 Metern und hunderten Maskengesichtern nehme ich einen Mann mit einer neongrünen Weste wahr. Er sucht meinen Blick und macht zu mir die Geste, sich etwas vor das Gesicht zu ziehen. Ich rufe ihm ein freundliches "Gehts noch?" zu. Er setzt sich in meine Richtung in Bewegung.
Er schien mich beinahe eingeholt zu haben, denn ich hörte schräg von hinten "Bitte Ihre Maske aufsetzen". Ich reagierte nicht. Wieder von hinten "Sie wollen wohl gar keine aufsetzen", ich schwieg weiter. Dann, als ich mich dem Ausgang näherte, wohl als Signal des Aufgebens zu verstehen "Aber dann gefälligst draußen bleiben".
Später erst fiel mir auf, dass dieser Dialog an exakt der Stelle stattfand, an der ich vor 27 Jahren meine Frau kennengelernt habe. Dort habe ich sie angesprochen, weil wir uns in der Schule schon gesehen hatten.
Ich bin ziemlich sicher, dass damals niemand in der Nähe eine Operationssaal-Maske trug.
Herzlich,
Roquentin