13. 09. 2020 19:23
Ich schau aus dem Klinikfenster Teil 5

Liebe ,diesen Beitrag lesende Foris,

bitte verzeiht mir die Länge dieses Textes.

Ich denke, dass viele auch diesen Text für falsch oder überflüssig sehen. Es handelt sich aber nur um „meine kleine Welt“, die ich Euch einfach zum Lesen gebe, es geht um den Ausschnitt „meiner Wahrheit“. Danke!


Der Tag gestern hatte langsam begonnen und die Nacht war weit gehend ruhig. Lediglich ein Zimmergenosse hatte Alpträume. Er schrie immer wieder los. Einen Krankenschwester ist gekommen und sprach beruhigend auf ihn. Seine Augen waren weit aufgerissen.

Ungefähr eine halbe Stunde war er still, dann hat er wieder geschrien. Die Krankenschwester gab ihm dann wohl ein Beruhigungsmittel. Seine Beine hat er noch zappelig bewegt, dann wurde er immer ruhiger. Es war schön zu sehen, wie man diesem Mann helfen konnte. Das hat mit bloßer Tablettengabe nichts zu tun.Das war „mehr“. Trotz Stress in der Nacht, hat die Krankenschwester sehr besonnen und einfühlend reagiert. Es ist schön, dass es Menschen gibt, die ihre stressige Arbeit so gut machen! Hut ab!

Zu Tagesanbruch habe ich ihn gefragt, ob er sich besser fühle? Er bekam einen hochroten Kopf und sagte, dass er sich schäme. Noch ein weiterer Zimmergenosse kam hinzu und sagte:Wo kommen wir hin, wenn man sich für so etwas schämen muss.
Später sah ich, wie ein Arzt einen Konflikt mit einer Krankenschwester hat. Ich weiß nicht, um was es ging, aber auch die beiden (Arzt und Krankenschwester) sind nur Menschen. Sie haben ein Privatleben und „nehmen dieses zu ihrer Arbeit mit.“. Ich weiß, dies klingt banal, ist es aber überhaupt nicht ! Diese Erkenntnis ist fundamental, wenn der Kranke in der Lage ist dies wahrzunehmen.
Ich setze mich in eine Ecke des Speisesaals und versuche die entstehenden Situationen und menschliche Konstellationen zu beobachten. Dies gelang mir vor zwei Stunden überhaupt nicht.
Ich habe mich auch wie [edit: keine Klarmanen bitte] gefühlt. Ich habe mich auch geschämt, obwohl ich weiß, dass dieser Gedanke falsch ist !!! Meine Tochter und mein Sohn haben einen Vater der in der Psychiatrie. Würden sie diese Information an Freunde weitergeben? Der Mann meiner Frau ist in der Psychiatrie! Meine Frau hat zu mir gesagt, dies sei Blödsinn“. Trotzdem bleibt der Gedanke irgendwo in mir drin. WARUM? Welche Informationen ( Krankschreibung) bekommt mein Arbeitgeber?

Heute habe ich extreme Phasenschwankungen. Es ist fast nicht auszuhalten. Ich habe mir überlegt eine Krankenschwester anzusprechen, tue es aber nicht, weil ich sehe wie angespannt sie arbeiten. Dann habe ich begonnen den Stationsgang immer auf und abwärts zu gehen. Mir ist dann eingefallen, dass ich eine Smartwatch am Handgelenk habe. Dieser Gedanke hat mich total motiviert! Endlich habe ich etwas mit dem sich mein Gehirn beschäftigen kann! Wunderbar. Ich lief die ganze Zeit den Gang auf und ab, auf und ab.Dabei blickte ich ständig auf die Smartwatch. Eine Schwester verfolgte mich mit schmunzelnden Blick. Ich habe die Schrittzahl ,Pulsfrequenz und Herzfrequenz gemessen. Ich bin nicht der Einzige, der auf und ab läuft.
Ich schaffe es einfach nicht innerlich ruhig zu werden. Ich „kriege einfach nichts auf die Reihe.“ Ich könnte „kotzen“. Wenn man mir jetzt den IQ messen würde, läge dieser wohl nur knapp über der Zimmertemperatur!
Ich setze mich wieder meine in meine Ecke im Speisesaal. Dies ist eine Form von flanieren, von „sitzendem Flanieren“, falls es so etwas überhaupt gibt. Ich laufe z.B. in großen Städten stundenlang umher , so mindestens viermal im Jahr in meiner Heimatstadt Berlin. Ich lebe aber sehr weit davon entfernt. Wer sich interessiert: Spazieren in Berlin: Ein Lehrbuch der Kunst in Berlin spazieren zu gehen, Franz Hessel, DTB 2012). Viele Menschen auf der Station rauchen sehr, sehr viel!
Wenn ich das „Treiben“ auf der Station beobachte, fällt mir Paul Watzlawick ein, der schrieb:“
Alles ist Beziehung und Kommunikation.“

Eine Auswahl:

1.Mann kann nicht nicht kommunizieren.

2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und Beziehungsaspekt, wobei letzterer den ersten
bestimmt.

3. Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung.

Ich bin müde und erschöpft und habe immer wieder furchtbare Panikattacken. Ich weiß nicht wohin mit mir selbst. Ein grausamer Zustand.Ich muss ehrlich zugeben, dass ich immer weniger Hoffnung habe diese furchtbare Krankheit einzudämmen. Jahrzehntelanger Kampf mit fast null Erfolg. Trotz diesem „Durchhänger“ kämpfe ich aber natürlich weiter. Im Moment fällt es ungeheuer schwer, unsagbar schwer.
Da fällt mir [edit: keine Klarmanen bitte] ein. Er ist Außenmitarbeiter eines Weltkonzerns ,37 Jahre alt, ein sehr stiller Mensch. Er ist bipolar. Er lebt wieder alleine, obwohl er so für die Familie gekämpft hat.[edit] erzählte mir, dass er bis vor drei Wochen täglich bis zu acht Thomapyrin und bis zu sieben AD-Tabletten eingenommen hat um zu „funktionieren“
Die Schriftstellerin Christa Meves hat dazu einmal geschrieben:“ Wer sind eigentlich Helden? Sind Helden diejenigen die noch handeln können, oder diejenigen, die das Leiden nur noch ertragen können?
Ich schaue jetzt durch ein Klinikfenster. Dies ist dreimal am Tag mein Ritual. Ich freue mich vorher schon, wenn es zum Fenster geht.
Über mir ist eine Deckenleuchte um die viele Insekten hörbar schwirren. Wenn ich nach draußen blicke sehe ich ein Rabenpaar. Wunderbar wie diese sehr klugen Tiere im Gras herumlaufen.
Raben treten immer als Pärchen auf.

Der Himmel verfärbt sich langsam rötlich.
Ich drehe mich um und blicke auf die große Uhr der Station. Wie lange ist eigentlich eine Minute? Ich verfolge den Zeiger sechzig Sekunden lang. Es dauert bei mir „gefühlt“ sehr, lange, man hält es fast kaum aus, wenn man die Uhr länger anschaut.
Über mir immer noch das Surren der Insekten.
Gerade kam eine WhatsApp von meiner Frau. Sie kommt am Montag! Schön. Meinen „Kindern“ ( beide bipolar 1) habe ich gesagt, dass sie nicht kommen müssen.Es macht mir nichts aus, wenn sie nicht kommen, habe ich gesagt. In Wahrheit möchte ich die Situation vermeiden. Ich fühle mich irgendwie durch die Situation überfordert.
Ich schaue aus dem Fenster und sehe einen wunderschönen Sonnenuntergang in der Psychiatrie.
Herrlich!!!

Gebt niemals die Menschlichkeit preis.
„Bitte seid Menschen“ (Holocaust-Überlebende)



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 13.09.20 21:15.
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Ich schaue aus dem Klinikfenster Teil 5

Frankkk 1533 13. 09. 2020 19:23

Re: Ich schaue aus dem Klinikfenster Teil 5

Gedankenwelt75 359 13. 09. 2020 22:55

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Frankkk 304 14. 09. 2020 08:06

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Gedankenwelt75 323 14. 09. 2020 08:17

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Milla 322 14. 09. 2020 11:14

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Frankkk 261 14. 09. 2020 12:15

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Skandal 359 14. 09. 2020 13:26

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Frankkk 322 14. 09. 2020 16:43

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Gedankenwelt75 327 14. 09. 2020 21:07

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Skandal 248 16. 09. 2020 13:41

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Frankkk 304 16. 09. 2020 14:30

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fünkchen 353 17. 09. 2020 09:47

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Frankkk 280 17. 09. 2020 10:23

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fünkchen 249 17. 09. 2020 18:05

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Frankkk 267 17. 09. 2020 18:38

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fünkchen 345 17. 09. 2020 19:49

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kinswoman 273 19. 09. 2020 23:48

Re: Ich schaue aus dem Klinikfenster Teil 5

fünkchen 439 22. 09. 2020 14:02



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