Re: Bipolar 2 / Atypische Depressionen?

04. 09. 2020 18:34
Hallo Millstreet,
wodurch bist du eigentlich auf den Verdacht auf bipolare Störung gekommen? Sowas denkt man sich im Normalfall ja nicht einfach aus, wenn man Depressionen hat. Da gibt es ja jede Menge psychische Erkrankungen, die mit Depressionen einhergehen und die ich lieber haben möchte...

Was für eine erfolgreiche Behandlung viel wichtiger ist, als die 100% korrekte Diagnose nach ICD ist die Erfassung möglichst vieler tatsächlich vorhandenen Symptome.
Affektive Störungen werden hauptsächlich bis überhaupt nur symptomorientiert behandelt.
Da ist es dann relativ egal, ob du wegen wiederkehrender Depressionen und Phasen von Schlaflosigkeit behandelt wirst oder bipolarer Störung Typ 2. In den USA gibt es durchaus die Bestrebungen, wiederkehrende Depressionen wie Bipolare Störung Typ 2 zu behandeln. Also auch mit z.B. phasenprophylaktischen Medikamenten.
Der Witz an der Sache ist: Im Schnitt braucht es Jahre für eine korrekte Diagnose bipolarer Störungen. Vorher gibt es oft, und mit oft meine ich *wirklich oft* Fehldiagnosen. Wenn wir hier eine Zählung machen könnten und ich sagen würde: "Hand hoch, wer schon vor der Bipolar-Diagnose mit anderen Diagnosen fehldiagnostiziert war", dann würdest du mehr Hände oben als unten sehen.
Bupropion = Elontril ist kein schlechtes Medikament, egal, ob du bipolar bist oder irgendwas anderes mit Depressionen. Hättest du z.B. ADS oder ADHS, die ebenfalls mit affektiven Störungen und auch mit Depressionen einhergehen, ist es dagegen auch gleich wirksam. Bei bipolaren Störungen hat es eine der geringsten, wenn nicht die geringste Switchwahrscheinlichkeit unter den Antidepressiva (da gab es mal eine Studie von Aderholt am UKE zur Wichtigkeit antidepressiver Medikamente bei der Behandlung von bipolaren Störungen). Und wenn es nur unspezifische wiederkehrende Depressionen sind, ist es auch ein geeignetes Medikament, das wahrscheinlich gegenüber vielen (allen?) SSRI dazu zu neigen scheint, weniger oft die Langzeitwirkung zu verlieren. Weniger Nebenwirkungen als das Venlafaxin könnten für dich ebenfalls ein Vorteil sein. Ein Nachteil gegenüber diesen Medikamenten ist, dass Elontril eines ganz sicher erst einmal nicht ist, und zwar angstlösend oder langfristig gegen Ängste wirksam. Liegt in der Natur der Sache, es ist ein Amphetamin, und die können eher Ängste begünstigen. Wohlgemerkt, können, müssen aber nicht, und der antidepressive Effekt kommt wohl eher über die tatsächliche "Aktivierung" (und nicht die "behauptete" Aktivierung bei SSRI, seufz) zustande. Ich mache damit jedenfalls seit Jahren eher positive Erfahrungen.
Sollte sich über längere Zeit also der Verdacht auf bipolare Störung erhärten, würde sich an der antidepressiven Behandlung mit z.B. Elontril nichts ändern müssen. Man müsste dann höchstens über ergänzende Medikation nachdenken.
Es gibt unter Psychiatern durchaus Theorien, nach denen wiederkehrende Depressionen deshalb besser wie bipolare Störung behandelt werden sollten, wie in den USA bereits durchaus üblich, weil das eine in das andere auf Dauer mündet. (Die Theorie ist, dass die Psyche sich auf Dauer in den depressionsfreien Phasen mit Aktivitäten in der Gegenrichtung einen Ausgleich zu schaffen versucht.)

Also, solange du bereits mit geeigneten Medikamenten gegen die tatsächlich vorhandenen Symptome behandelt wirst, ist die vollständig treffende Diagnose, sofern es sich jetzt nicht um irgendeine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung handelt, die unbedingt einer Art Psychotherapie bedarf, gerade am Anfang, nicht unbedingt das Wichtigste. Wie gesagt, die Symptomatik ist bei der bipolaren Störung das, was behandelt wird, nicht die Einteilung nach ICD (, wo sich, im Gegensatz zu den tatsächlichen Erkrankungen, Diagnosen je nach Auffassung und neuen Erkenntnissen der Forschung, auch ändern können, da es sich "nur" um eine Einteilung handelt, deren einziger Sinn eine möglichst effektive Behandlung darstellt, und nicht ein tiefes Verstehen der zugrundeliegenden Prozesse oder Gegebenheiten / Ursachen).
Insofern also viel Glück mit dem neuen Medi.

Liebe Grüße,
M.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 04.09.20 18:35.
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