Nun ja,
meine Meinung ist ja eigentlich nicht sonderlich anders als vor 10 Jahren, es gab halt einige biografischen Entwicklungen, die halt Einfluss auf meine Entscheidungen haben.
Klar ist - eine Art normales Leben ist nur mit Medikamenten sinnvoll zu erreichen, bevorzugt Phasenprophylaxen, wenn man Verantwortungen für Job oder Familie hat.
Aber für mich hatte immer schon Priorität, dass man das größte Maß an freier Entscheidung und Selbstverantwortung behält, und das ist leider auch oft mit Einschränkungen durch Medikamente immer noch am ehesten zu erreichen. Trägt man nur Verantwortung für sich selbst, mag es Situationen geben, in denen die Einschränkungen durch manche Medikamente nicht viel besser sind, als die Krankheit selbst. Leider hat das nur zu sehr auf mich zugetroffen, wenn die Medis mal wirklich handfest eine halbwegs gerade Linie bei den Affekten hinbekommen haben.
Das schrittweise Absetzen meiner nicht unerheblichen vorherigen Dosis retardierten Quetiapins erfolgte nach ausdrücklicher Ermutigung durch Ärztin und Ansprechsozialarbeiter des sozialpäd. Dienstes, der mich zu der Zeit schon fast 10 Jahre kannte, die schlechten Chancen auf zufriedenstellendes Gleichgewicht zwischen Krankheit und Medikamentennebenwirkungen hatte ich schon amtsärztlich verbrieft mitgeteilt bekommen, bevor ich berentet wurde. Hauptauslöser waren die Veränderungen durch ein bei mir gut wirksames AD, Bupropion. Dadurch bekam ich nach 6 Jahren wieder mehr Energie und Handlungsfähigkeit und ging es langsam, erstmal mit einer Dosisänderung, an und holte mir ständig Rückmeldungen über meine Außenwirkung.
Nach und nach kehrte mit dem Absetzen auch ein kreatives Potential zurück, ich konnte wieder echte Musik machen, ein Instrument spielen, und das hatte mir unter Quetiapin sehr, sehr gefehlt. So bin ich dadurch auch auf eine insgesamt höhere Lebensqualität in meiner jetzigen Medikation gekommen, die ich nicht mehr missen möche, bei allen unangenehmen Wirkungen, die das auch hat, mehr Unruhe, öfter Anecken, nicht mehr so pflegeleicht sein und generell mehr aufpassen müssen und mit Akutmedikamenten reagieren. Hätte ich nicht so langfristige Erfahrungen mit dem Leben ohne Medis gemacht, wäre das viel schwieriger, und ich bin nun auch älter, arm, EM-berentet und ohne Verantwortung für eine Familie. Viel zu verlieren hatte ich also auch nicht.
Welches das beste Gleichgewicht ist, kann man nur selbst herausfinden, das kann niemand für einen tun.
Und so sehr ich auf Medikamente schwöre, immer noch, und so wenig ich mir ein Leben ohne AD oder Akutmedikamente im Schrank oder auch im Rucksack, den ich draussen meist rumschleppe, vorstellen kann, so sehr plädiere ich immer darauf, dass die Selbstbestimmung bei allem das Wichtigste ist, und dass auch Medikation keinen anderen Sinn hat, als diese zu maximieren, denn die bipolare Störung NIMMT einem die Selbstbestimmung. Ist die Selbstbestimmung für einen psychisch Kranken also das höchste Gut, dann muss man in Kauf nehmen, dass er dieselben Rechte für sich in Anspruch nimmt, wie man sie bei allen anderen Krankheiten auch hat, nämlich das Recht, z.B. darüber zu entscheiden, ob und wieviel Hilfe man in Anspruch nehmen will, sowohl bei Psychotherapie, sozialen Hilfen, Familie und auch Medikation und Dinge wie EKT oder Schlafentzug.
Man hat das Recht darauf, Behandlung abzulehnen, niemand kann besser entscheiden, wieviel Lebensqualität man mit einem Medikament gewinnt oder verliert, das kann nur der Betroffene selbst. Denn es ist nur sein Leben.
Niemand würde jemanden zu einer Chemotherapie zwingen, nur weil es einem unvernünftig vorkommt, dass ein Krebskranker eine solche wegen der Nebenwirkungen ablehnt. Oder ihn zu einer Diagnose zwingen.
Warum sollten für psychisch Kranke andere Maßstäbe gelten? Das wäre dann schlicht und einfach Diskriminierung und Vorenthalten ganz elementarer Menschenrechte. Wird ja auch ständig angemahnt, die Nichtachtung des Rechts auf Krankheit, des Ablehnens von medizinischen Behandlungen, in Deutschland. Ein Wunder ist eher, warum das so selbstverständlich bei psychisch Kranken hingenommen wird, oder eher ein Skandal. Ein Relikt der Geschichte, ganz klar... leider.
Was vernünftig ist, und was nicht, ist sehr schwer zu sagen, wenn man lebenslang eine Krankheit behandeln will, deren medikamentöse Behandlungschancen denkbar schlecht im Vergleich zu den meisten körperlichen Erkrankungen ist, deren Auswirkungen aber so schwer sind, dass sich Versuche trotzdem sehr lohnen können.
Was heute vernünftig ist, ist morgen unvernünftig, was der eine vernünftig findet, muss jemand anders noch lange nicht vernünftig finden. Das automatische Zuweisen von "Unvernunft" zu psychisch Kranken und die Hybris, sich anzumaßen, man dürfe dann den Betroffenen übergehen, um ihn auf eine Art zu behandeln, die einem selbst "vernünftiger" erscheint, ist schlicht und einfach Diskriminierung.
Es gibt da keine einfachen Lösungen. Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker, ob er die Medikamente einnehmen würde, die er Ihnen verschreiben will. Die ehrlichen Antworten könnten auseinander gehen zwischen "In Ihrer Lage sofort." und "Niemals." Und das sind real life Erfahrungswerte und Aussagen, die ich persönlich von Psychiatern und Neurologen (darunter auch betroffene Behandler!) gehört habe... Soviel dazu.
Liebe Grüße, und bleibt gesund,
M.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 07.05.20 00:40.