Re: Freundschaft beendet?

10. 02. 2020 15:51
Hallo Angehöriger,

ich bin zwar ein Mann, aber deine Geschichte hat mich so an meine "Anfangszeit" erinnert. Ich hatte das so oft: Am Wochende weggehen, total gefreut und dann, 5-10 Minuten im Club - schlecht drauf, fast traurig. Oft bin ich dann raus. Meinen Freunden zuliebe bin ich dann da geblieben (meist auch im Raucherbereich und eine nach der anderen geraucht), aber ab und an war es so schlimm, dass ich nur noch raus - heimwollte. Später war das mit dem Urlaub so. 4x ist es vorgekommen: Urlaub gebucht, voll gefreut und am Tag oder einen Tag vor dem Abflug konnte ich nicht. Schwer zu erklären, es ging einfach nicht.

Aus deinen Beschreibungen hört sich das schon nach eine Bipolaren Störung an. Diese Sekundenumschwänge sind bei mir in der Diagnose immer mit "Ultradian Rapid Cycling" mit angegeben. Es ist leider die stärkste Ausprägung. Meist sind das Stimmungsumschwünge innerhalb von Tagen, in dem Fall leider innerhalb von Sekunden/Minuten/Stunden.

Die meisten Menschen, die ich kennenlernen dürfte bzw. mit denen ich eine Freundschaft wollte, haben das nicht lange mitgemacht. Heute ist es auch noch so: Ich mache was aus und am Tag X muss ich absagen weil es nicht geht, weil ich nicht kann. Die Spreu vom Weizen, in Bezug auf Freunde, hat sich vor Jahren getrennt. Viele sind nicht übrig geblieben. Ich versteh das ja auch. Man bricht den Kontakt teils über Monaten ab und meldet sich dann auf einmal wieder. - Wer würde sich da nicht "verarscht" vorkommen.

Aber ein paar haben mir immer wieder die Hand gereicht und mittlerweile ist das kein Thema mehr. Aber ich schweife schon wieder ab ;-)

Erstmal kamen mir leicht die Tränen, dass du auch so eine "Lieber" bist. Mehr noch: Du wurdest körperlich sogar verletzt und tust das als "nur" kleinen Kratzer ab (Bin mir nichtmal sicher ob mir das ein Freund/Freundin verzeiht hätte). Diese Fülle an Psychischer und Physischer Verletzungen auszuhalten tun meistens nur welche, die verliebt sind...

Ich bin wirklich kein Arzt und kann dir nur aus meinen Lebenserfahrungen mit diesem (fast unerträglichen) Zuständen beschreiben. Auch gleichen sich psyhische Krankheiten nicht immer 1:1 vorallem bei Bipolaren aber dennoch ist vieles gleich. Deine Geschichte ist wie gesagt so ähnlich wie meine, daher schreib ich dir auch ;-)

Ich bin keine Frau. BabsiBabsi könnte schon recht haben und sie hat sich wirklich "belästigt" gefühlt. Du musst verstehen, dass man meistens in dieser Art Panik die Realität anders wahrnimmt. Ich zum Beispiel flippte aus wenn man etwas zu mir sagte. Ich hörte das einfach negativ und fuhr dann auf wie eine Furie. Die anderen wussten gar nicht was los ist, jeder hat erkannt, dass es ein Scherz war, nicht so gemeint etc. nur ich nicht. Selbst heute, wenn ich fühle dass ich etwas scharf erwidern will weil ich mich verletzte fühle bremse ich mich schau auf meine "Stimmung". Das musste ich allerdings auch erst in der Klinik lernen.

Da meine Ex-Ex auch Boarderlinerin war, erinnter mich die Szene stark daran. "Geh weg - verlass mich nicht". Sie wollte mich nicht "loshaben", aus ihrem Leben tilgen, tat es aber trotzdem. Das kann ich auch nicht verstehen, was da abgeht. Schätze das geht auch allen so, die das Bipolare auch nicht kennen. Ob es eine Kombination aus Bipolar und Boarderline gibt/sein kann weiß ich nicht. Aber wie gesagt, ich bin kein Arzt und kann/will daher auch keine Diagnose stellen.

Nur: Wie kommst du auf die anderen "Diagnosen"?
Wenn man das erstemal damit konfrontiert ist, gibt es eine Fülle an möglichen Psychischen Krankheiten und übergänge können fließend sein. In Klinik (in denen ich leider sehr oft uns sehr lange war) habe ich so ziemlich alles gesehen und erlebt. Deshalb schreib ich dir kurz meine Meinung zu deinen ?.

Dissoziative Identitätsstörung
Das wird mit ca. 2% der Allgemeinbevölkerung angenommen ist also sehr selten. Ich kenne nur zwei Krasse Beispiele aber im Allgemeine merkst du das mehr als nur eine Verhaltensänderung zwischen "gut/normal" drauf und schlechtdrauf/agressiv. Der Blick, Bewegungen, Artikulation allgemein verändern sich aber, soweit ich es weiß und mir erklärt worden ist wird es zumindest von dem Betroffenen mit "Erinnerungslücken" wahr genommen. Es ist wie gesagt eine "Identitätstörung" d.h. verschiedene Persönlichkeiten in einer Person und sowas merkt man glaube ich auch bei leichteren Formen sehr schnell.

Depression
Von jetzt auf gleich in eine Depression ist mir bekannt, hatte ich auch.

Durch diesen schnellen wechseln ist es nicht ungewöhnlich, dass dies mit Agression einhergeht. Wie ich oben geschrieben habe, wechselt die Stimmung und ich werde agressiv, aber nur verbal. Körperlich ist noch eine ganz andere nummer entsteht aber (meiner Meinung) einfach aus dieser Hilflosigkeit. Ein Arzt erklärte mir das so, dass das wie bei einem Tier sein kann. Nimm eine Katze die klemmt sich z.B. irgendwo die Pfote ein. Du willst sie befreien aber sie faucht und kratzt dich obwohl sie dich kennt. Das geschieht aus Angst, Schmerz und Verzweiflung. Wir sind aber auch Menschen, lernfähig und können auch in solchen Situationen jemanden an uns "ran" lassen. Aber man muss es eben wissen, was da mit einem passiert.

Das mit dem überall löschen, Kontakt abbrechen kenne ich natürlich auch: Es passiert aus Schahm und Angst. Angst deshalb weil man dann weiß, dass man jemanden "verletzt" hat. Man sieht sich selbst, zu was man fähig ist und Menschen sehr weh tun kann, die man eigentlich mag. Abgebrochen und gelöscht könnte sie dich haben, weil sie sich nicht rechtfertigen kann warum sie das getan hat oder Angst hat, dass du ihr noch mehr an den Kopf schmeist und sich sich immer weiter fertig macht was sie für ein "böser" Mensch sein kann. Das erklärt für mich auch dieses Ausflippen nachdem sie sich entschuldigen sollte: Mal logisch: Wenn sie sich von dir belästigt gefühlt hätte, hätte sie ja am nächsten Tag nicht ja gesagt für ein Treffen oder? Das ergibt keinen Sinn.

Die Aufforderung sich für ein Verhalten (wo man selbst sehr stark darunter zu leiden hat) zu entschuldigen, löst Stress aus. Für sie war es ziemlich scheisse, dass sie euch "Stimmung" versaut hat, sich jeder Sorgen um sie machen musste.

Wird sie dann auch noch von Ihrer Schwester gezwungen sich dafür (wofür sie selbst überfodert war) entschuldigen soll, steigert dass den Stress und die Stimmung kippt wieder. Gannz klassisch bei mir und vielen Bipo ist diese Szene: Man fühlt sich wirklich mieß, ist toal im Keller (Depressiv), ist einfach nur noch fertig und dann geht man zur Familie oder Freunden und die sagen dann: "Hey, ist doch alles nicht so schlimm" BANG. Genau da bin ich vor Jahren das erste und einzige mal hangreiflich geworden: Gegenüber meiner Mutter was mir bis heute sehr leid tut. Das es falsch war, das man sich sehr schrecklich dabei fühlt - das weiß man selber. Das muss einem keiner sagen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das bei ihr auch so ein blöder "Mechanismus" ist und alles kommt wieder hoch.

Ich wage mich jetzt vielleicht etwas sehr weit aus dem Fenster, aber selbst in dieser Verfassung - wenn mir ein Mensch ziemlich egal wäre - dann würde ich nichtmal da so ausflippen. Aber wenn ich mich vor jemanden, den ich sehr gerne habe auch noch entschuldigen soll, flippte ich (damals) auch aus. 1. weil man mir das nicht sagen müsste (das weiß ich selber). 2. weil das suggeriert dass der andere mich (doch) nicht so nimmt wie ich bin (nämlich sprunghaft schlecht drauf) und das führt dann 1:1 zu sehr viel Schmerz, Entäuschung sprich: sehr starken Gefühle demjenigen gegenüber (er findet mich scheisse) und gegenüber einem selbst (ich vertraute ihm, dachte er mag mich/versteht mich). Diese Kobmi lässt genau die "Fehlfunktionen" in einem Bipolaren Gehirn auslösen - sprich "Die Sicherungen brennen" durch bzw. gibts die gar nicht.

Mit jemanden befreundet zu sein der eine Bipolare Störung hat ist sehr sehr Schwierig. Man muss sehr viel schlucken. Wir sagen da einfach Dinge unterhalb der Gürtelinie und je besser wir den anderen kennen, desto mehr wissen wir, wie wir ihn verletzten können. In diesen Momenten sind wir fertig mit der Welt - fertig mit uns. Körperliche Agression oder schreien, ist so gut wie immer ein Ausdruck der Hilflosigkeit (das ist aber nicht Bipolar spezifisch ;-)).

Auch "normale" Menschen neigen zu körperlicher Gewalt, wenn sie sonst nicht mehr weiter wissen.

Aber, um es jetzt nicht zu lang werden zu lassen. Das ist so komplex dass hier jeder wahrscheinlich einen Roman schreiben könnte.

Also und wie gesagt: Das habe ich alles so erlebt aber ich bin kein Arzt.
Aber aus Sicht von jemanden, der Bipolar ist zu den "Tipps"

1) NICHT schlecht fühlen. Du hast nichts falsch gemacht und die wenigsten würden sich nach so einer Attacke soviele Gedanken um machen.

2) Sauer - ja. Das kann dir keiner verübeln, aber sie ist ziemlich sicher ziemlich krank wenn sie so etwas tut, gewollt hat sie das wahrscheinlich nicht

3) Ich würde ihr, über ihre Schwester/Familie etwas zukommen lassen. Vielleicht "old school" einen Brief? Darin würde ich kurz und knapp sagen, dass du sie verstehen kannst, sie nicht belästigen wolltest, dir nur Sorgen gemacht hast und wenn sie will, kann sie sich jederzeit wieder bei dir melden. Böse bist du ihr nicht.
Wichtig ist, dass du ihr keinerlei Vorwürfe machst. Also nicht: "Hey warum hast du das getan. Ich dachte du magst mich?". Persönlich würde ich das nicht machen, da zwingst du sie wieder in eine Situation. Wenn sie dich anruft oder gar treffen will super. Wenn nichts mehr kommt, sie tatsächlich in Ruhe lassen.

4) Du tust 3. nicht und wartest ob sie sich wieder meldet. Ich weiß ja nicht wie alt sie ist und wieviel Erfahrung sie hat. Meist kommt die Entschuldigung von ganz alleine, wenn man wieder "bei Sinnen" ist.
Ich hatte das Glück, eine sehr sehr gute Freundin zu haben (bis heute) die sich sehr sehr krasse Sachen mit mir erlebt hat aber mir immer halt gab. Heute ist es sehr sehr selten der Fall aber gerade vor 5 Wochen hatten wir wieder eine sehr starke Auseinandersetzung die es gerechtfertigt hätte, dass sie mich als Freund in den Wind schießt. Nach zwei Wochen (eben wie ich wieder bei mir war) bin ich zu ihr hin und hab mich entschuldigt. Sie hat zwar gesagt, dass ihr das sehr sehr weh getan hat aber sie kennt mich ja mittlerweile. Seitdem ist wieder alles in Butter ;-)
Das musste ich, wie gesagt, auch erstmal lernen. Den Schahm überwinden und den Mut finden vor dem anderen "fast zu kriechen" ;-)

5) Sie muss in eine Klinik vorallem wenn das ihr Psychater sagt. Mich wundert, dass sie abhauen konnte für gewöhnlich kommt man bei dem schweregrad in eine Geschlossene.
Ich würde auch (je nachdem wie stark das Verhältnis zu ihren Eltern ist und wie die drauf sind, mal darüber reden ob das öfters so ist/war

6) Das wichtigste: Überlege dir, ob sie dir soviel Wert ist, denn wenn es eine Bipolare Störung (oder auch eine andere ist) dann wird das nie völlig aufhören bzw. kann immer wieder kommen.

Wahre Freunde sind auch für die schlimmsten Zeiten in der Nähe, aber es darf nie sein, dass man "sich selbst" wegen eines anderen verliert. Je nachdem wie stabil seine Persönlichkeit ist kann er mehr oder es sogar ganz ausshalten.

Das RapidCycling kann man sehr gut eindämmen bzw. das es nicht so krass wird. Ebenfalls gibt es natürlich einige Präperater gegen die Depression. Medikamente allein sind aber leider nur ein kleiner Teil. Das meiste muss man selbst lernen, sich selbst verstehen und sich selbst einschätzen können.

Ich bin 35 und das alles begann so richtig nach der Pupertät. Ich habe einige Freunde verloren. Vertrauen und Beziehungen zerstört, teils mit höchst Dramatischen Folgen. Und erst seit ca. 6 Jahren kann ich sagen, ich kann es weitgehenst kontrollieren und glücklich leben. Sich behandeln zu lassen, Monate in einer Klinik weggesperrt zu sein und schlussendlich heute hier zu stehen hätte ich niemals ohne Familie/Freunde überstanden die mir stets zur Seite standen und wo ich wusste, dass sie mich verstehen. Man sagte mir und ich lese das auch öfters, dass Bipolarität nicht heilbar ist und manche es später auf einmal nicht mehr haben, aber die Ausnahme ist. Hab aber auch nie davon gehört und schätze das ist eine Art Mutmacher, heist: es bleibt wohl für immer.

Sich selbst zu verstehen, zu analysieren und unter Kontrolle zu bringen, dass man sich selbst und anderen nicht mehr weh tut, ist bei mir selbst jetzt nach über 20 Jahren mit diesem Leiden, immer noch ein Prozess der andauert.

Hoffe ich konnte dir ein wenig helfen. Alles gute und Liebe Grüße
Cosmo

P.s:
Und nimm nicht immer alles krumm bzw. persönlich (wegen dem auf eine Stufe stellen). Hier haben sehr viele sehr viel erlebt, eben auch "Übergriffe" und interpretieren es aus ihrer Sicht was ja auch legitim ist. Ich jedenfalls stelle dich nicht auf diese Stufe. Wenn du das jemals vorgehabt hättest, dann hättest du bei eurem um die Häuser ziehen bestimmt schon mehr als eine Gelegenheit gehabt ;-)



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 10.02.20 16:13.
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