Man würde sich wünschen, dass es etwas Vergleichbares im deutschsprachigen Bereich gäbe.
Ich hatte sogar mal deutsche Untertitel für den ersten Teil erstellt, das Video damit müsste immer noch irgendwo im Netz umhergeistern.
Die Frage nach dem Knopf ist nicht jedermanns Sache und mag den Einen oder Anderen triggern, der im Leben sehr mit der Krankheit struggelt ... doch sie ist legitim und stellt sich nach Jahrzehnten sicher dem Einen oder Anderen, denn wer über sehr lange Zeit intensiv damit zu tun hat, der kann oft gar nicht wissen, wie sein Leben ohne sie aussehen würde, Biografie, persönliche Entwicklung und Krankheit sind oft untrennbar miteinander verwoben und werfen die Frage auf, wer man ist, wenn man nicht bipolar wäre.
Auch die Frage nach der Behandlung aus der Sicht von jemandem, der lange Zeit ohne Diagnose und Behandlung bipolar gelebt hat, die sich Stephen Fry am Ende stellen muss und die offen bleibt, ist nicht so einfach zu beantworten, wie es Manchem erscheinen mag. Ich spreche da nun auch aus eigener Erfahrung, vielleicht bin ich dieser Doku deswegen sehr wohlwollend gegenüberstehend, da Stephen Frys Ausgangssituation meiner damaligen nicht ganz unähnlich ist. Die Frage nach Störung, Krankheit, Behandlung, Stigma, Identität, das mag sich einem in jüngeren Jahren vielleicht noch nicht immer so stellen, wer aber größere Teile seines Lebens ungebremst bipolar gelebt hat und wessen Biografie sonst ganz anders verlaufen wäre, kommt zwangsläufig bei einer Selbstreflexion differenzierter ins (nichtdepressive) Grübeln.
Die persönliche Sichtweise der Dokumentation, die die eines Betroffenen mit Spätdiagnose ist, macht es Betroffenen leicht, sich ohne Scham dem Thema zu nähern, gleichzeitig gibt sie Angehörigen die Möglichkeit, die Sicht eines Betroffenen ohne eigene persönliche Verflechtung mit ihm zeitweise einzunehmen und besser zu verstehen.
Deutsche Dokumentationen sind dagegen fürchterlich psychiatriezentriert und lassen die heiklen positiven Erlebnisse, die Betroffene in Hypomanie und Manie haben, entweder aus oder verbannen sie ausschliesslich entwertet in die Ecke des "kranken Erlebens". Sie bleiben oft an einer klinischen Oberfläche, und das ist nicht, was die Betroffenen erleben, das hat wenig mit ihrer Gefühlswelt zu tun oder mit den Fragen, denen sie sich stellen müssen, und die sie für Jahrzehnte begleiten. Betroffene können nicht einfach in sechswöchigen Aufenthalten denken, sie müssen für den Rest ihres Lebens denken, wenn es darum geht, wie sie ihr Leben bewältigen wollen.
Vieles hat mit der deutschen Art zu tun, Fachleuten unter den Behandlern die Kompetenz zuzusprechen und den Betroffenen aber nicht zuzugestehen, was ein großer Fehler ist. Der vielangestrebte Trialog, der hierzulande immer wieder beschworen wird, als wäre er eine Tatsache, findet bei genauerer Betrachtung nur in der Theorie statt. Stereotypisierung, Stigmatisierung und Diskriminierung von Betroffenen durch Angehörige oder bei einem Outing durch das gesamte Umfeld, genauso wie zu einem absolut nicht unerheblichen Teil durch Ärzte und insbesondere Psychiater findet bewußt oder unbewußt ständig statt. Ich halte diese Idee für ein Ideal, das nur auf dem Papier funktioniert, weil Angehörige und Ärzte nicht wirklich in Dialoge mit dem Betroffenen treten, ihn als schwächstes Glied, "das Problem", "den Kranken" sehen, also in einer unterlegenen Position, und de facto ist er das auch, alleine schon durch die PsychischKrankenGesetze der Länder, die Zwangsbehandlung beinhaltet. Zwangsbehandlung ist ein tiefgreifender, traumatisierender und gewalttätiger Vorgang, der zu schnell als Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Deutschland hat sich in dieser Beziehung noch nie mit Ruhm bekleckert, die alltägliche Praxis ist durchaus international Gegenstand von berechtigter Kritik. Von der Inklusion der (nicht nur) durch Bipolarität Behinderten will ich gar nicht erst anfangen ...
Der BBC geht Themen mit psychischen Erkrankungen schon immer ganz anders an, als es in Deutschland möglich wäre. Was würde ich mir doch eine deutsche Synchro für diese Doku wünschen, aber mir ist schon irgendwie klar, warum sowas nicht stattfindet. Es ist höchstwahrscheinlich einfach nicht gewünscht. Andere Dokus aus diesen Bereichen, die höheren Unterhaltungsfaktor haben, werden synchronisiert ...
Liebe Grüße an alle aus dem Off und ein freundliches Wochenende!
M.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 22.02.20 19:16.