Hallo Buniatishvili,
in der EX-IN-Qualifizierung ist es anders, als man es sonst so gewohnt ist, wenn es um's Lernen geht. Zunächst wird bei einem Thema die eigenen Erfahrungen mit diesem Thema herausgearbeitet und sein eigener Erfahrungsschatz gehoben. Falls ein Begriff zunächst unbekannt ist, wie z.B. Empowerment, wird kurz dieser Begriff erklärt, bzw. die Übersetzungsmöglichkeiten dargestellt (z.B. Selbstwirksamkeit, Selbstbefähigung, Selbstbestimmung ...), aber welche Erfahrungen haben die TeilnehmerInnen selbst mit diesem Thema, denn es geht um "Erfahrungswissen" und nicht um "Buchwissen".
In einer "Du-Übung" wird dieses subjektive Erfahrungswissen ggf. in Interviewform einem anderen Teilnehmer mitgeteilt und darüber gegenseitig ausgetauscht, um sowohl gleichwertige, wie auch verschiedene Erfahrungen mit dem Thema zu erörtern. Aber auch, dass man sich beim Erzählen einem selbst noch einiges bewusster wird.
Im dritten Schritt, gibt es danach Kleingruppenarbeiten, die nun die subjektiven Erfahrungen eine Abstraktions-Ebene höher betrachten, um das sogenannte "Wir-Wissen" zu generieren. Dabei werden ggf. übergreifende Aspekte eines Themas sichtbar, aber eben auch die verschiedenen Perspektiven und Vielschichtigkeit eines Themas.
Die verschiedenen Gruppen stellen danach ihre Ergebnisse über Flipchart dem Plenum vor. Dabei wird ersichtlich, wie verschieden manche Gruppen eine Fragestellung verstehen und bearbeiten. Hierbei ist der Findungsprozess innerhalb der Klein-Gruppe ebenso wichtig, wie das Ergebnis selbst.
Durch die verschiedenen Perspektiven, Meinungen und Persönlichkeiten in der Gruppe und das Umgehen damit, ist es ein wenig wie Learning by doing, denn in der Genesungsbegleitung wird man auf sehr unterschiedliche Menschen treffen, die selbst ihre Meinungen und Temperamente haben. Denn in der Genesungsbegleitung geht es vor allem um eine Haltung, der den Menschen vor sich sieht, die Erfahrungen desjenigen ebenso anerkennt, ihn mit all seinen Facetten wahrnimmt, seine Ressourcen und Möglichkeiten mit ihm zusammen ggf. aufspürt und nicht so sehr, was man selbst für eine Meinung zu einem bestimmten Thema hat. Die eigenen Erfahrungen lässt man, wo es passt einfließen, aber eher als Möglichkeit oder, wenn es gefragt ist, seiner eigenen subjektiven Sichtweise und nicht, um es den anderen überzustülpen.
Meine Erfahrung mit EX-IN ist, dass ich durch die vielfältigen Selbstreflektionsthemen und den Austausch darüber selbst nochmal ein ganz erheblichen Schritt des inneren Wachstum und Klarheit in machen Belangen erlebt habe. Bei der Kleingruppen-Arbeit, wurden mir noch weitere Aspekte und Perspektiven bewusster. Aber auch der ganze Gruppenprozess hat mich gestärkt, obwohl es manchmal nicht ganz einfach war. Ich war froh, dass ich noch in therapeutischer Behandlung war und so einiges für mich nochmals durchleuchten konnte.
Reflektionsarbeit kann natürlich auch etwas antriggern, ebenso der Gruppenprozess selbst, deshalb ist es wichtig, während dieses Jahres über ein gutes soziales Netzwerk zu verfügen und/oder weiterhin in therapeutische Begleitung zu sein, um sich entlasten zu können. Auch sollte man nicht gerade z.B. durch Umzug, Medikamentenumstellung oder dergleichen in möglichen belastenden Situationen sein, denn das Jahr kann ganz schön intensiv sein. Eine relative Stabilität, Reflektionsfähigkeit und Gruppenfähigkeit sollte man mitbringen.
Viele Grüße Heike
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Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.
"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 22.01.20 12:24.