Normal ist nicht normal (für mich)

25. 10. 2019 23:00
Kennt ihr das? Wenn ich aus einer Depression auftauche (die letzte hat zwei Monate gedauert, die vorletzte zwei Jahre), dann habe ich immer das Gefühl, ich hätte vergessen, wie sich Normalität anfühlt. Alles ist wie verwandelt, eine Sensation. Als hätte ich in der Depression komplett vergessen, wie überhaupt gewöhnlicher Alltag geht. Plötzlich ist Putzen, einkaufen und abwaschen etwas, (was ich sonst hasse, was oft gar nicht geht), eine Offenbarung. Ich möchte dann auf die Knie sinken vor Dankbarkeit. Ich fühle mich pudelwohl, bin wieder aktiv, und kann das alles gar nicht wirklich glauben und verstehen. Nichts ist selbstverstänlich. Alles ist ein Geschenk Gottes, eine große Gnade, für die ich danke.

Ich kann kaum glauben, daß ich noch oder besser wieder eine Partnerschaft habe, eine total glückliche, und verstehe nicht, wie das überhaupt sein kann. Ich bin seit 43 Jahren fortschreitend bipolar. In der Folge insolvent. Habe keine eigene Wohnung mehr, ein WG-Zimmer, mit 56 (!), kein Auto mehr, bin aufs Fahrrad umgestiegen und wegen der Schulden chronisch pleite.

Und in all den depressiven Jahren, ach Jahrzehnten, habe ich mich mehrfach komplett aufgegeben und irgendwie mit dem Leben abgeschlossen. Ich denke, so etwas verändert tiefgreifend die Persönlichkeit. Ich habe dann tatsächlich oft nur noch auf den Tod gewartet. Und wenn ich dann aufwache aus dem depressiven Koma, dann ist überhaupt nichts mehr selbstverständlich. Ich verstehe nicht, daß ich noch einen Job habe. Wie kann das sein? Ich habe eine äußerst liebevolle Freundin, und ich verstehe nicht, wieso. Wie ich das geschafft habe. Warum sie mich liebt.Alles ist neu, immer wieder. Und es ist atemberaubend.

Nein, ich bin nicht hypomanisch. Ich schreibe ja immer so, mindestens leicht zugespitzt. Eine Berufskranheit. War gestern mit einer bipolaren Mitpatientin aus meinem letzten Klinikaufenthalt Kaffee trinken, und habe sie gefragt, ob sie Anzeichen von Hypomanie wahrnimmt. Sie hat das verneint: Keine Überdrehtheit, keine Gedankensprünge, kein schnelleres Sprechen, und so weiter. Da war ich etwas beruhigt. Habe immerzu Angst, in die Hypomanie zu kippen. Beobachte mich wahrscheinlich zu intensiv. Aber das, wovor ich Angst habe, ist bislang nicht eingetreten.

Lass zur Zeit sogar mein ärztlich verordnetes und von der Techniker Krankenkasse bezahltes Cannabis weg, brauche es einfach nicht, und genieße die Nüchternheit und Natürlichkeit meiner Wahrnehmung und meines Empfindens. Will einfach spüren, wie sich alles ohne dieses Hilfsmittel, diese Krücke anfühlt. Fühle mich selten so frei wie zur Zeit.Werde generell die Dosis halbieren.

Bin ich vielleicht einfach glücklich?

Alexander
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Normal ist nicht normal (für mich)

Aleksis 1566 25. 10. 2019 23:00

Re: Normal ist nicht normal (für mich)

Milla 803 26. 10. 2019 08:41



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