29. 09. 2019 19:53
Ich will gerne meine Erfahrung teilen, die ich mit meiner bipolaren Störung gemacht habe. Die Diagnose wurde erst vor 2,5 Jahren gestellt und ich habe lange gebraucht um diese zu akzeptieren. Der nachfolgende Text beschreibt meine Gefühle vor und nach der Diagnose.

Dem eigenen Ideal hinterherjagen

Einleitung:

Ich glaube jeder Mensch hat ein ideales Selbstbild von sich im Kopf. Wie man aussehen will. Welchen Beruf man ausüben will. Welche Freunde und Partner man haben will. Dies sind alles normale Gedanken und jeder Mensch strebt danach dieses Ideal zu erreichen.
Auch ich habe und hatte eine genaue Vorstellung davon im Kopf. An manchen Tagen dachte ich, ich hätte mein Ideal erreicht. An manchen Tagen war ich davon in meinen Augen meilenweit entfernt.
Diese Schwankungen belasteten mich sehr. Andere Menschen schienen besser mit diesem Problem klarzukommen und ich fragte mich immer wieso ich so emotional darauf reagierte.
Mit 23 Jahren erhielt ich vielleicht eine Antwort darauf. „Schizoaffektive Störung“.

„Schizoaffektive Störung“. Als mir der Arzt das erste Mal diese Diagnose mitteilte war ich zwiegespalten. Ich war erleichtert das es anscheinend eine Erklärung für meine Stimmungsschwankungen gab. Auf der anderen Seite war ich verängstigt. Werde ich jemals so sein wie ich es mir vorstellte? Hindert mich diese Krankheit daran mein Ideal zu erreichen?

Zwei Monate vor der Diagnose dachte ich, ich hätte mein Ideal erreicht. Ich war endlich die Person, die ich mir im Kopf immer ausgemalt habe. Ich wollte dieses Gefühl nicht verlieren, wie so viele Male davor.

Es gibt schon viele Bücher über bipolare Störungen. Über den Verlauf der Krankheit, den Wechsel zwischen Manie und Depression. Die Behandlungsmethoden.
Ich als Betroffener will mich eher auf das subjektive Empfinden dieser Krankheit konzentrieren.
Wieso ist es so schwer für Betroffene diese Krankheit zu akzeptieren?


Anzeichen
Gab es Anzeichen in meiner Kindheit, Jugend. Ich weiß es nicht. Das Problem bei affektiven Störungen ist immer das subjektive Empfinden der Betroffenen. Man gewöhnt sich an seine Stimmungsschwankungen. Man kennt es ja auch nicht anders. Als Kind machte es mir wenig aus. Ich bin mir auch nicht sicher ob man in der Kindheit schon nach Anzeichen suchen sollte. Ich hatte eine schöne Kindheit mit Freunden, Sport, Musik und Familie.
Wenn ich auf meine Zeit im Gymnasium zurückblicke, kann man schon ein paar Anzeichen erkennen.
Ich wollte praktisch mit jedem befreundet sein. Das war eine Idealvorstellung von mir.


Vor dem großen Knall (2012-2017)

Bipolare Störungen beginnen in den meisten Fällen mit einer Depression. Dies war auch bei mir der Fall. Als ich angefangen habe zu studieren war ich mir unsicher ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe.
Passt dieses Studienfach zu mir? Soll ich in Stuttgart bleiben? Bin ich schlau genug um überhaupt zu studieren? Konnte ich mein Ideal damit erreichen?
Ich wollte immer irgendetwas machen, was anderen Menschen hilft. Ich wollte die Welt verbessern. Eine weitere Idealvorstellung von mir.
Ich beschloss es zu versuchen. Ich hatte über andere Möglichkeiten nachgedacht, war aber der Meinung, dass ich dafür nicht geeignet war.
Ich hatte meine Probleme im Studium, doch ich machte meinen Abschluss als Bachelor of Science.
Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke habe ich sehr gemischte Gefühle. Ich hatte zwar meinen Abschluss und war stolz darauf. Aber meiner Meinung nach bin ich meinen Idealen in dieser Zeit nicht näher gekommen.
Nach meiner Bachelor-Arbeit entschied ich mich zu einem Psychologen zu gehen. Nach dem Gespräch, das mit der Diagnose „depressive Verstimmung“ endete, fühlte ich mich befreit.
Ich hatte eine Erklärung für meine Gefühle und entschied mich etwas dagegen zu tun.
Für ein paar Wochen war ich motiviert und glücklich und sehr aktiv. In dieser Zeit dachte ich, ich könnte mein Ideal erreichen.
Doch sobald Probleme auftraten, oder ich vor schweren Entscheidungen stand, bröckelte dieses hinzugewonnene Selbstvertrauen wieder.
Ich verfiel wieder in meine alten Muster und hasste mich dafür. In meinen Augen hatte ich die Chance verpasst etwas Grundlegendes an mir zu ändern.
Die Zeit, die jetzt kam, war geprägt von Selbstzweifel und Selbsthass. Ich verlor das Interesse an meinen Hobbys und Freunden und zog mich immer mehr zurück.
Meine Freundin trennte sich von mir und ich war allein.

Flucht nach vorn (April 2017 - August 2017)
April 2017

Nach der Trennung von meiner Freundin war ich gefühlsmäßig an meinem Tiefpunkt angelangt. Ich glaube ich erfüllte zu diesem Zeitpunkt alle Anzeichen einer Depression. Doch anstatt mir Hilfe zu suchen wie nach meiner Bachelor-Arbeit, schämte ich mich zu sehr. Ich ging wochenlang nicht in die Uni. Meine Eltern merkten das etwas nicht stimmte, doch ich versicherte ihnen das alles ok ist.
Die Verzweiflung wurde immer größer und ich wusste nicht was ich machen sollte.
Ich erinnerte mich wieder an meine Ideale. Befreundet und gemocht von jedem. Welt verbessern.
Ich entschied mich ein letztes Mal nach diesen Idealen zu streben.

Mai 2017

Während meiner gesamten Studienzeit war ich zu verängstigt einen Hiwi-Job anzunehmen. Ich war mir sicher ich war nicht schlau genug und würde die Leute bloß enttäuschen.
In meinen Augen war ein Hiwi-Job der erste Schritt zu meinem Ideal die Welt zu verbessern. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und suchte nach einem Hiwi-Job an der Uni.
Nach kurzer Suche nahm ich einen Job bei dem Institut an wo ich meine Bachelor Arbeit geschrieben habe.
Mein Selbstvertrauen machte einen Sprung. Ich war mir sicher etwas gefunden zu haben das mich als Person meinen Idealen näherbringt. Ich war wieder motiviert und glücklich.
Ich wollte schon immer in einer anderen Stadt studieren, doch wie so oft hielt mich die Angst zurück diesen Schritt zu wagen. Da mein Selbstvertrauen wieder erstarkt war, wollte ich auch in diesem Bereich einen Fortschritt erzielen. Durch Zufall sah ich einen Stand an der Uni. "Praktika im Ausland“.
Ich fand den Gedanken im Ausland zu arbeiten zu dieser Zeit sehr interessant und ich entschied mich auf den Infoabend zu gehen.
Ich verknüpfte mit dem Praktika im Ausland noch ein weiteren Wunsch von mir. Mehr Freunde und Ereignisse in meinem Leben.
Die Zeit bei der Unigruppe war sehr schön. Die Leute, die ich kennengelernt habe und die Erlebnisse werde ich nie vergessen.
Ich werde gleich ausführlicher auf die Zeit eingehen. Ich dachte ich hätte endlich mein Ziel erreicht, mein Ideal erreicht. Die Jagd ist vorbei. Doch ich erinnerte mich an all die Zeiten wo ich dachte ich hätte mein Ziel erreicht, nur um danach in noch tiefere Abgründe zu fallen. Ich wollte dieses Gefühl nicht nochmal erleben und unternahm alles mein Ideal zu halten.
Im Nachhinein bin ich mir nicht sicher was die Manie, die nun folgte, ausgelöst hat. Sie kam schleichend und ja es gab Anzeichen zu dieser Zeit, aber ich wusste noch nicht das ich krank war. Es ging mir vom Gefühl her noch nie so gut in meinem Leben. Ich war meinen Idealen näher als jemals davor.

Juni 2017

Dieser Monat ist in meinen Augen auch heute noch die schönste Zeit die ich in meinem Leben hatte. Ich traf sehr viel neue Leute und konnte mich sehr schnell mit ihnen anfreunden. Ich war offen, witzig und ohne Sorgen. In der Universität verstand ich den Stoff auch sehr viel besser. Zumindest schien es mir so zu dieser Zeit. Ich hatte Spass in meinem Hiwi-Job und entwickelte immer neue Ideen was ich alles machen könnte. Auch mit meinen alten Freunden verstand ich mich besser.
Die Abende, die ich bei der Unigruppe verbrachte waren für mich in dieser Zeit das Highlight der Woche. Endlich hatte ich eine Gemeinschaft gefunden, zu der ich mich zugehörig fühlte. Ich war in meinen Augen nicht nur Mittläufer, sondern Gestalter.

Juli 2017

In diesem Monat schlug die Euphorie auch oft in Zweifel und Angst um, zumindest in der letzten Juli-Woche. Zwei Wochenenden würde ich dennoch hervorheben.

21. – 23. Juli (Kessel-Weekend)

Die Unigruppe veranstaltet über das Jahr verteilt mehrere Wochenenden in verschiedenen Städten, die von der jeweiligen Gruppe geplant werden.
An diesem Wochenende fand so ein Treffen in Stuttgart statt und ich hatte die Chance zu helfen. Ich habe mich dafür gemeldet, mich um das Essen zu kümmern. Alles verlief eigentlich nach Plan und am Freitagabend kamen die Leute im Camp Feuerbach an und wir haben gegrillt. Der Abend war sehr schön wir haben verschiedene Spiele gespielt und ich habe mich sehr gut mit den fremden Leuten verstanden. Ich glaube an diesem Wochenende war ich schon sehr aufgedreht aber noch nicht manisch.

28.- 30. Juli (München-Wochenende)
An diesem Wochenende setzte dann die Manie in ihrer wirklichen Form ein. Ich kann mich noch erinnern das wir in München ankamen und dann mit der S bahn zum Treffen fahren wollten. Wir waren eine Gruppe von 5 Leuten. Ich wollte dann ein Ticket kaufen. Die anderen meinten für diese kurze Strecke wäre das nicht nötig. Ich wollte aber unbedingt ein Ticket kaufen und bin einfach bei der nächsten Station ausgestiegen und hab mir selber eins gekauft und bin dann alleine zur Location gefahren.
Ab diesem Moment war irgendwie in meinem Kopf eingebrannt, dass die Leute aus Stuttgart mich nicht ernst nehmen oder so was in der Art ich kann es nicht wirklich beschreiben. Also entschied ich mich das ganze Wochenende so wenig wie möglich mit den Leuten aus Stuttgart zu unternehmen.
Das ganze Wochenende war ich dann abwechselnd gereizt oder mega gut drauf. Ich glaube für andere Personen war mein Verhalten sehr verwirrend.
Ich bin dann am Sonntag um 7 Uhr morgens einfach gegangen weil ich es nicht mehr ausgehalten habe.
An diesem Wochenende waren im Nachhinein wirklich erste Anzeichen für eine Manie vorhanden. Die Tage danach waren genauso durcheinander wie meine Gefühlsschwankungen.

4. August 2017 – Absturz

Dieser Tag war der absolute Höhepunkt meiner Manie. Ich versuche den Tag ein wenig zusammen zu fassen:
8 Uhr: Termin beim Zahnarzt, gut gelaunt
9:30 Uhr: Zug nach Cannstatt. Versuchen T. zu erreichen, Verzweiflung kommt auf

10:30 Uhr: Zu hause angekommen, Panik
Anruf bei Psychologischer Hotline: Wieder aufgelegt da ich mich nicht verstanden fühlte
Angst Eltern anzurufen, da etwas auf dem Nach Hause Weg passieren könnte
11:30 Uhr: Ankunft im Unigruppe-Büro, niemand da, Auspacken der Slackline und Aufbau im Stadtpark, Laune bessert sich wieder
12:30 Uhr: Versuchen Freunde zu erreichen und etwas zu unternehmen. Laufe zum Schlossplatz Polizeiauto gesehen,
Panische Angst das ich gesucht werde, Alle Personen reden über einen, versuchen normal zu wirken

13:00 Uhr: Laufe zum Hbf und stoppe bei einem Stand von Ärzte ohne Grenzen, Denke das wenn ich ein Gespräch anfange die
Polizei mich nicht findet, Sehe Poster vom Flughafen, unglaubliches Bedürfniss das Land zu verlassen.

13:15 Uhr: Entschluss gefasst zum Flughafen zu fahren, In falsche Richtung gefahren.

13:30 Uhr: Ankunft in Bad Cannstatt, ziellos rumlaufen bis ich einen Spielplatz sehe, fange an mit den Kindern zu Spielen
15:00 Uhr: laufe zur Wilhelma, fühle mich wieder verfolgt. Kaufe ein Ticket und denke in der Wilhelma findet mich niemand
18:00 Uhr: wieder in Cannstatt, sehe eine Gruppe von Fahrradfahrern von Critical Mass, habe das Gefühl ich gehöre irgendwie zu
der Gruppe dazu, versuche ihnen zu folgen, unbeschreibare Freude

18:30 Uhr: Stadion Neckarpark, Gruppe von Fahrradfahrern verloren, unglaubliches Gefühl der Leere befällt mich.

19:00 Uhr: Bahnhof Bad Cannstatt, Fahrt nach Esslingen, fühle mich wieder verfolgt

19:30 Uhr: Ankunft in Esslingen, Ziellos am Ufer des Neckars entlanglaufen, ablegen meines Rucksacks an einer Hauswand,

20:00 Uhr: Schaue auf mein Handy unzählige Texte wo ich bin. Komme damit nicht klar und will nicht gefunden werden, werfe
mein Handy und Schlüssel in den Neckar

20:15 Uhr: Stoppe neben den Gleisen und gehe in ein Gebüsch, Gedanken machen mich wahnsinnig, denke ich habe etwas
Schlimmes gemacht, denke ich habe im Schlaf irgendetwas gemacht an das ich mich nicht erinnern kann. Kurz davor
mich vor den Zug zu werfen um diese Gedanken nicht mehr ertragen zu müssen.
Irgendetwas hält mich davon ab, rede mir ein ich habe nichts gemacht, ich brauche Hilfe, laufe zum Taxistand und bitte
darum das ein Krankenwagen kommen soll.

22:00 Uhr: Krankenwagen kommt an, ich bin ohne Ausweis ohne Handy, ohne Schuhe, T-Shirt halb zerissen,
Sanitäter stellen mir allgemeine Fragen die ich alle beantworten kann, ich nenne die Nummer von meinen Eltern.
Behaupte aber das ich vergiftet worden bin.
Sanitäter entscheiden sich mich zur Polizei zu bringen.

23:00 Uhr: Ankunft bei der Polizei meine Eltern treffen auch ein, ich vertaue ihnen nicht und will nicht mit ihnen nach Hause. Bestehe
darauf das meine Tante kommt, einziger Person der ich zu dieser Zeit vertaue.
24:00 Uhr: Meine Tante kommt an, ich fühle mich ein wenig sicherer, meine Eltern bestehen darauf, dass ich nach hause mitkommen
soll und nur Schlaf brauche. Ich will das nicht und bestehe darauf, dass ich zu einem Psychologen gebracht werden soll.
Ich weiß irgendetwas stimmt mit mir nicht
01:00 Uhr: Ankunft im Krankenhaus, Erstgespräch, behandelnder Arzt sieht sehr müde aus, ich vertraue ihm nicht. Ich bin mir nicht
mehr sicher was ich ihm erzählt habe. Arzt entscheidet, dass ich im Krankenhaus bleiben soll.
Ich gehe in mein Zimmer, habe immer noch Angst das mir etwas angetan wird und schiebe den Mülleimer vor die Tür,
damit ich aufwache falls jemand ins Zimmer kommt. Fühle mich immer noch unwohl, habe aber Hoffnung das mir
geholfen werden kann

Geschlossene Psychatrie (5.August – 26.August)

Ich wache am nächsten Tag auf, bin immer noch der festen Überzeugung, dass irgendjemand mir etwas antuen will, bin sehr wachsam gegenüber anderen Menschen. Pfleger geben mir Medikamente, ich nehme Sie ein, da ich denke das es nur Placebos sind.
Medikamente die mir gegeben werden helfen mir zu schlafen und meine Gedanken wieder zu ordnen.
Ich weiß nicht wie lange ich meinen Eltern nicht vertraut habe, die einzige Person die mit mir reden konnte und wo ich mich sicher gefühlt habe war meine Tante.
Ich grenze mich von den anderen Patienten ab, da ich in meinen Augen nicht krank bin und nur zu meinem eigenen Schutz in der Psychatrie bin.
Es dauerte wahrscheinlich bis zu einer Woche, bis ich keine schizophrenen Anzeichen mehr hatte und meinen Eltern wieder vertraute.
Die Gespräche mit den Ärzten waren nicht sehr hilfreich in dieser Zeit, sie sagten ich wäre schizophren und hätte eine Psychose. Ich wollte das alles nicht einsehen und dachte nur das ich wegen dem verringerten Schlaf einen Nervenzusammenbruch hatte. Ich fragte immer wieder wann ich denn endlich aus dem Krankenhaus gehen könnte, ich musste so viele Sachen erledigen.
Meine Freunde wussten nicht wo ich bin, da ich kein Handy hatte. Außerdem war Prüfungszeit und ich wollte meine Prüfungen schreiben.
Während der gesamten Zeit in der geschlossenen Psychatrie war ich eigentlich positiv gestimmt, ich dachte der 4. August war nur ein Ausrutscher und alles wird wieder gut. Ich verhielt mich auch den Umständen entsprechend normal und mir wurden immer mehr Freiheiten gewährt.
Am 18. August hatte mein Vater Geburtstag und ich durfte das Krankenhaus verlassen um mit meinen Eltern Essen zu gehen.
Auf dem nach Hause weg hatte ich erstmal den Gedanken „ Was ist wenn die Ärzte recht haben und ich Schizophrenie habe? Wie kann ich so weiterleben?“
Ich wollte unbedingt die geschlossene Anstalt verlassen und ich glaube am 26. August wurde ich dann auf eine halbstationäre Station an der Türlenstraße verlegt
.
Halboffene Station an der Türlenstraße (26. August – 26.September)

Am Anfang war ich immer noch positiv gestimmt, ich weiß nicht ob es an der Manie lag, das es noch Nachwirkungen gab. Aber diese positive Stimmung schlug schnell in Verzweiflung um.
Es gab praktisch kein Programm und man war die meiste Zeit allein auf seinem Zimmer. Mit den anderen Patienten wollte ich nicht reden. Ich fühlte mich fehl am Platz. In dieser Station sind meistens chronisch Schizophrene stationiert.
Für mich war es der Horror. Ich sah diese Menschen und ihr Leiden und ich wusste nicht „Werde ich auch mal so? Gibt es keinen Ausweg?“
Ich verbrachte so wenig Zeit wie möglich auf dieser Station. Ich ging in die Bibliothek und schaute Videos an, ich machte lange Spaziergänge.
Ich dachte viel über mich nach und hatte das Gefühl das mir hier nicht geholfen wird. Ich fühlte mich alleingelassen und wollte so schnell wie möglich weg.
Es wurde entschieden, dass ich stabil genug bin und auf eine Tagesklinik verlegt werden könnte. An dem Tag der Einweisung war ich sehr aufgeregt. Die behandelnde Ärztin war der Meinung die Tagesklinik kommt zu früh. Mir war das egal ich wollte bloß nicht zurück auf die Station in der Türlenstraße.
Es wurde entschieden, dass ich auf die Station 8A in Bad Cannstatt verlegt werden sollte, dort werden schizoaffektive Störungen behandelt.

Bad Cannstatt Station 8a (26. September 2017 – März 2018)

Die Station war sehr viel ruhiger, da hier meistens nur Patienten waren, deren Depression behandelt wurde. Ich beruhigte mich wieder und wurde wieder stabiler. Ich fühlte mich hier den Menschen eher hingezogen, da ich in dieser Zeit sehr negativ dachte. Ich war wahrscheinlich auch depressiv.
Dies sagte man mir, ist der typische Verlauf einer schizoaffektiven Störung.
Es gab ein wenig mehr Programm als in der Türlenstraße und mehr Gespäche mit Ärzten und einem Psychologen.
Am Anfang taten mir die Gespräche und das Programm gut. Doch nach einem Monat war alles eintönig für mich und ich fiel in ein Loch.
Ich weiß nicht wie die optimale Behandlungsmethode für eine schizoaffektive Störung aussieht. Doch ich war immer ein sehr aktiver Mensch und mir fehlte diese Aktivität. Wir hatten jeden Tag effektiv 30 – 60 Minuten Programm. Zieht man davon 8-9 Stunden Schlaf ab, bleiben 14 Stunden wo man mit seinen Gedanken eigentlich alleine ist. Ich wurde immer negativer in meinen Gedanken und dachte ich hätte eine Depression, ich verleugnete eigentlich immer noch die Tatsache das ich eine Manie hatte. Ich dachte immer noch es war nur ein Ausrutscher.
Ich bestand immer darauf, dass meine Medikation angepasst werden soll. Ich weiß nicht ob ich mein Bedürfniss falsch ausgedrückt habe, aber die Ärzte meinten es wäre zu gefährlich, da ich wieder in eine Manie fallen könnte.
Ich hatte zwar zweimal die Woche Ausgang, aber ich habe an diesen Tagen eigentlich nichts unternommen, ich hatte einfach keine Kraft dazu. Ich saß zu Hause und schaute stundenlang Serien an. Meine Eltern versuchten immer mich zu Aktivitäten zu animieren. Wir spielten viele Kartenspiele und diese Zeit tat mir gut.
Ich dachte oft daran mich umzubringen. Ich sah kein Licht am Ende des Tunnels. Doch ich konnte diesen Schritt nicht machen. Ich wollte nicht meine Eltern und Bruder allein lassen.
Ich bestand immer öfter darauf entlassen zu werden. Doch die Ärzte verschiebten den Termin immer jede Woche. „Ich bin noch nicht bereit dafür“. Irgendwann war es mir zu viel und ich forcierte meine Entlassung.



Allein zu Hause (März 2018 – Juli 2018 )

Zu Hause änderte sich nicht wirklich was an meiner Stimmung. Ich versuchte wieder in die Uni zu gehen. Verstand den Stoff aber überhaupt nicht. Ich dachte ich wär jetzt einfach für den Rest meines Lebens nicht im Stande mein vorheriges Niveau zu erreichen. Meine Eltern wurd wussten auch nicht mehr weiter. Wir waren dann bei einer neuen Ärztin und Sie entschied sich die Medikation zu ändern. Ich sollte von Zyprexa auf Abilify wechseln.
Die Veränderung trat fast unmittelbar ein. Ich glaube nicht, dass es wirklich am Medikament lag, sondern daran das endlich eine Veränderung stattfand. Endlich konnte ich wieder ein Gefühl der Freude empfinden.

Juli 2018 – Oktober 2018

Durch den Medikamentenwechsel bekam ich wieder mehr Selbstbewusstsein. Ich war noch weit von meiner „Normalform“ entfernt, aber ich hatte endlich wieder Hoffnung, dass es besser werden kann.
Ich traf mich wieder mit alten Freunden. Ich hatte zwar das Gefühl ich wäre fehl am Platz, aber die Gesellschaft tat mir gut. Ich war kein Außenseiter mehr. In dieser Zeit gjng ich dann auch zu einem Psychologen. Die Gespräche halfen mir sehr weiter.
Mir ging es langsam besser, doch im innersten war ich immer noch nicht überzeugt davon, dass ich vielleicht ein Leben lang Medikamente nehmen muss. Ich drängte weiterhin darauf, dass die Medikation verringert wird. Die Ärztin wollte diesem nicht zustimmen und erst ein Jahr warten bis man entscheidet ob es möglich ist.

Oktober 2018 – Januar 2019

Der zweite Versuch, wieder in der Uni Fuß zu fassen verlief deutlich besser als noch im Mai 2018. Ich hatte zwar immer noch das Gefühl, dass ich mich schwer tat die Sachen zu verstehen, aber es war möglich, wenn ich lange genug übte.
Im Januar 2019 wechselte ich dann wieder die Ärztin. Für mich persönlich war es wieder eine Chance, dass die Medikation doch verringert wird.
Die neue Ärztin stimmte zu, die Medikation langsam zu verringern. Dies sah ich als großen Erfolg an. Endlich vertraut man mir, dass ich auch mit weniger Medikamenten stabil bleibe.

Januar 2019 – April 2019

Die Medikation wurde stetig verringert und auch ich hatte das Gefühl, dass ich mich stetig verbessere. Im Februar begann dann die Prüfungszeit, der erste große Stresstest. Ich war aufgeregt aber doch zuversichtlich das ich es schaffen kann. Ich bestand alle 4 Prüfungen. Ich hatte mir selbst bewiesen das es möglich war mit der Krankheit ein normales Leben führen zu können.

April 2019 – August 2019

Im Zweiten Semester nach meiner Erkrankung war ich nicht so motiviert, meine beste Freundin hatte ihr Studium abgeschlossen und ich kannte nun kaum noch Leute an der Uni. Ich fühlte mich dann immer einsam wenn ich in der Uni war und besuchte eigentlich nur die Vorlesungen und ging dann nach Hause.
Ich machte dann mehr außerhalb der Uni. Hier hatte ich meine Freunde und konnte Spass haben.
Die Medikation war um die Hälfte reduziert und ich hatte jetzt wieder grössere Gefühlsausschläge.
Nach fast einem dreiviertel Jahr ohne wirkliche Emotionen, war diese Erfahrung schön und in meinem Kopf gefährlich zugleich.
Was, wenn ich nicht einschätzen kann, ob diese Gefühlsschwankungen normal sind oder ich wieder in die Manie abdrifte.
Ich hatte zwar mit meinen Ärzten und Psychologen Frühwarnzeichen aufgeschrieben und die Maßnahmen die ich ergreifen soll, aber die Angst war einfach, dass ich dieses unbeschreibliche Glücksgefühl wieder ausleben will.
Wie gesagt, zu dieser Zeit war ich immer noch der Meinung ich kann es auch ohne Medikamente schaffen, weil ich weiß was die Anzeichen für eine Manie sind.
Ende des Monats laß ich dann das Buch „An unquiet Mind“ und ich konnte mich sehr gut mit der Autorin identifizieren.
Zum ersten mal konnte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, ein leben lang Medikamente zu nehmen. Mein Leben lief jetzt in stabilen Bahnen ab und mir wurde bewusst wie viel Glück ich hatte. In der Manie hätte ich auch sterben können.
Durch das Buch sehe ich meine bipolare Störung nicht als „Behinderung“ meiner selbst an, sondern als eine weitere Facette meines Wesens.
Solange ich meine Medikamente nehme und ehrlich zu mir bin, kann ich mir sicher sein, dass die Manie nicht wieder ausbrechen wird.
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Bipolare Störung - eigener Verlauf 2012-2019 (Idealbilder)

Idealitätsfern 1564 29. 09. 2019 19:53

Re: Bipolare Störung - eigener Verlauf 2012-2019 (Idealbilder)

Milla 523 29. 09. 2019 20:33

Re: Bipolare Störung - eigener Verlauf 2012-2019 (Idealbilder)

Irma 496 30. 09. 2019 09:35

Re: Bipolare Störung - eigener Verlauf 2012-2019 (Idealbilder)

Idealitätsfern 621 30. 09. 2019 10:25

Re: Bipolare Störung - eigener Verlauf 2012-2019 (Idealbilder)

Ceily 568 30. 09. 2019 11:21

Re: Bipolare Störung - eigener Verlauf 2012-2019 (Idealbilder)

Idealitätsfern 749 01. 10. 2019 08:40



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