Ich sitze also noch auf ein halbes kleines Bier in dieser Kneipe und grübele vor mich hin. Meine Freundin, mit der ich eine Fernbeziehung führe, ist gerade in Portugal und trifft dort möglicherweise, wie angekündigt, einen Liebhaber, freie Liebe und so. Zugegeben, das hat mir in den letzten Tagen ein bißchen zu schaffen gemacht, ist ja aber ihr gutes Recht laut unserer ursprünglichen "Vertragsvereinbarung".
Neben mir am Tresen sitzt eine Studentin, Anfang 20, und fragt mich, ob sie meinen Aschenbecher mit benutzen dürfe. Wir kommen ins Gespräch, sie studiert auf Lehramt, wir reden über's Lehrerdasein und meine Erfahrungen mit dieser Spezies, sie ist auch an meinem Beruf sehr interessiert. Kurz, es ist ein richtig netter Abend, bis ich irgendwann aufstehe und gehe.
Sie so, mit vorwurfsvollem Unterton: "Du gehst?!"
Ich so: "Ja, ich gehe."
Sie so: "Es war sehr schön, mich mit dir zu unterhalten."
Ich so: "Ja, fand ich auch.
Sie so: "Und, bist Du öfter hier?"
Ich so: "Ja, schon."
Sie so: "Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder."
Ich so: "Ja. Bestimmt!"
Steige auf mein Velo und radele fliegenden Jäckchens davon.
Am nächsten Morgen fass ich mich an die Omme und frage mich: Mayer, was hat du denn da wieder vollbracht?!
Ich habe gründlich den ganzen Tag darüber nachgedacht und die Sache analysiert, bei stetig sinkender Stimmung.
Unter anderem bin ich dabei zu folgendem Ergebnis gekommen.
Es handelte sich ja, wie beschrieben, um einen suboptimalen Kommunikationsverlauf, in dem ein eklatanter Ziel-Mittel-Konflikt zum Tragen kommt.
Dabei habe ich den entscheidenden Satz des Dialogs gründlich missverstanden bzw. missinterpretiert.
Die meisten männlichen Mitteleuropäer meines fortgeschrittenen Alters würden wohl den Satz einer hübschen Studentin so verstehen, dass er erst übersetzt, will sagen decodiert werden will.
"Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder." - Bedeutet demnach wörtlich: "Eyh, Du Typ! Rückst Du jetzt mal endlich Deine Handynummer raus!!"
Ich aber verstehe den Satz wörtlich als vagen Ausdruck einer ungewissen Aussicht: "Ja, wenn es denn die Schicksalsgötter so wollen, dann sehen wir zwei beide uns vielleicht eines schönen Tages zufällig einmal wieder."
Also ein bißchen wie in den Geschichten, die mit 'Es war einmal' beginnen, und nicht wie im digitalen 21. Jahrhundert.
Und darauf antworte ich nun also wörtlich: "Ja, ich glaube schon, dass wir uns bestimmt irgendwann mal zufällig wiedersehen. Man sieht sich ja immer zwei Mal."
Nur, um ehrlich zu sein, das war gar nicht das, was ich der attraktiven jungen Frau in dem Moment gern sagen wollte.
Die ganze Geschichte hat mich sehr nachdenklich gemacht. Wie oft in diesem kaputten Leben bin ich in Missverständnisse gekommen, weil ich depressiv oder manisch, oder besoffen, irgendwas war ich ja meistens, mich sozial und kommunikativ nicht angemessen verhalten oder ausdrücken konnte.
Wie oft habe ich in meinem Leben Frauen einfach so sitzen lassen, ohne zu wissen, warum. So viele Beziehungen und Ehen, die alle nicht lange gehalten haben. Schon von meiner ersten Freundin mit 18 habe ich mich nach einem Jahr aus einer Laune heraus getrennt, ohne wirklich zu wissen, warum. Später wusste ich dann: Es war eine Depression.
Und so bin ich jahrzehntelang lieber in die Bordelle gelaufen und habe dort ein Vermögen ausgegeben und mich endgültig ruiniert. Bin insolvent, hab keine eigne Wohnung mehr, fahre Fahrrad etc.
All das trat mir sehr deutlich gestern wieder vor Augen, und hat mich nachhaltig runtergezogen.
Und warum das alles? Weil ich auf die Frage einer hübschen Studentin, ob wir uns einmal wiedersehen, nicht einfach antworten kann: "Ja, das würde ich auch schön finden. Ich geb Dir einfach hier mal meine Handynummer."
Warum ich das nicht kann? Weil ich grad depressiv bin, und in der Depression bin ich stets in meinen Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Quasi leicht autistisch.
Und ich hab es so satt. Und bin es so leid.
Aleksis