Re: DGBS Newsletter 11/2018 - Meine Vorstellungen zu den Fragen

05. 12. 2018 11:52
Was verstehe ich unter einer trialogischen Fachgesellschaft? Wie kann der Trialog auch innerhalb einer Fachgesellschaft gelebt werden?

Für mich bedeutet Trialog nicht nur, dass die drei Perspektiven "Erfahrenenexperten", "Angehörige" und "Fachexperten" irgendwie vertreten sind, sondern dass es einen gleichberechtigten Austausch gibt, der aufeinander eingeht, aneinander interessiert ist, voneinander lernen möchte und in seinen Überlegungen die anderen Perspektiven immer auch mitdenkt.

In einer Organisation bedeutet es auch eine gleichberechtigte Teilhabe und Entscheidungsfindung, die jede Person als Mensch sieht. Mitsprache und Mitbestimmung sind gleichberechtigter Natur. Dies ist vor allem auch eine Haltung, die allen Personen gegeben sein sollten. Diese innere Haltung ist das Wichtigste, um einen Trialog auch innerhalb einer Organisation zu leben. Wer an alten Machtstrukturen festhält, kann keinen Trialog leben, das schließt sich von vornherein aus.

Wenn es hier nicht um "Selbstdarstellung" gehen soll, dann auch nicht für die FachkollegInnen, die evtl. meinen sich damit ihr Ego und ihre Vita noch etwas aufpolieren zu können oder sich über die Fachgesellschaft Publizierungsmöglichkeiten erhoffen. Wenn dann sollte es auf allen Seiten um die "Sache" gehen.

Die Sache wäre dass eine trialogische Fachgesellschaft sich verstärkt um ein trialogisches Denken und Handeln in der Praxis einsetzt. Auch hier geht es ganz praktisch in der Sozialpsychiatrie um geteilte Entscheidungsfindungen und dort wo es erst noch nicht möglich ist, Strukturen schaffen, dass Zwang immer weiter heruntergefahren wird, sowie eine Haltung und andere Strukturen implementiert werden, die über z.B. Behandlungsvereinbarungen, Patientenverfügungen etc. ein Mitbestimmen möglich ist. Siehe auch Weddinger Modell, Recovery- und Personenorientiertes arbeiten.

In der Forschung um die Partizipation von Erfahrungsexperten und Angehörigen, entweder, dass sie in der Forschung als aktive Partner mit einbezogen werden oder dass Strukturen geschaffen werden, durch Fortbildung, dass Erfahrungsexperten und Angehörige selbst Forschung anstoßen und betreiben können. Hamburg geht dort bereits schon die ersten Schritte. Hannover folgt gerade.

Deutsche Forschungen in Bereich Recoveryerfahrungen, Opendialogue, etc. Natürlich hier alles unter dem Fokus der bipolaren Störung.

Es gibt viel Forschung und Arbeit für eine trialogische Fachgesellschaft für bipolare Störungen.

Wieviel Ehrenamtstätigkeit ist gut? Oder Wann wird ehrenamtliches Engagement auch ausgenutzt bzw. wann geht die Person selbst in Eigenausbeutung?

Unter gesetzlichen Bestimmungen, z.B. bei einer Zeitrente oder Hartz IV wird ehrenamtliches Engagement unter 15h wöchentlich als unkritisch gesehen, darüber hinaus, kann es die Rente oder ALGII gefährden.

Darüberhinaus empfinde ich es gesellschaftlich auch bedenklich, wenn ehrenamtliches Engagement, gerade auch bei Menschen mit wenig Einkommen zu einer Vollzeitbeschäftigung wird oder sogar darüber hinaus geht und dies alles unentgeltlich. Schön zwar für die Wirtschaft und Gesellschaft, aber der "Ausbeutung" ist Tür und Tor geöffnet.

Hier muss es ein gutes Austarieren von unentgeltliches Engagement geben. Wenn es, z.B. kurzfristig (2 Wochen) mal zu einer Mehrbelastung kommt, mag das vielleicht noch im Einklang stehen, aber nicht, wenn es zu einer Dauereinrichtung wird.

Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, sollen sich hinterher nicht wie die Deppen vom Dienst fühlen und ggf. dass ein Anderer sogar noch die Lorbeeren dafür einsammelt.

Welche Strukturen und Fürsorgestrategien braucht es, um ein "Ausbrennen" zu verhindern?

Wer sich ehrenamtlich engagiert und sogar für eine "Sache" brennt, bekommt manchmal selbst nicht so mit, dass er sich selbst gerade "ausbeutet" und viel zu viel macht. Da ist es gut, wenn andere dafür eine gute Antenne dafür haben und nachfragen.

Ebenso sagen viele leicht "ja mache ich", wenn sie eigentlich innerlich lieber ein "nein" gesagt hätten. Auch hier sollte immer wieder nachgefragt werden, Hilfe angeboten werden, etc. pp.

Intervision und Supervisionsmöglichkeiten bereitstellen, das Vorhalten von Vertretungen. Interne Schlungen für Achtsamkeit und Selbstfürsorgestrategien.

Wenn eine Organisation immer darauf vertraut, dass es doch schon irgendwie "gutgehen wird", weil es bisher ja so war, auch bei knappen Personalressourcen, wird eben dann irgendwann in ein Krisenjahr hineinfahren. Hier muss evtl. generell über Arbeits- und Organisationsstrukturen nachgedacht werden. Eine Krise setzt nicht plötzlich ein, sie hat oftmals eine lange Vorlaufzeit.

Wie soll mit Krisensituationen umgegangen werden?

Eine Gesellschaft für bipolare Störungen, sollte ein Wissen um Krisen besitzen, auch das Wissen, dass jederzeit, bei jedem Menschen (Fachpersonen eingeschlossen) eine Krise losbrechen kann.

Deshalb solle sich eine Gesellschaft mit allen Parteien hinsetzen und genau darüber diskutieren und dann verbindliche Richtlinien festlegen, wie man in einem solchen Fall verfahren möchte. Erfahrungsexperten können auch im Vorfeld schon sagen, was ihnen im Falle einer Krise geholfen hat, was kontraproduktiv ist und was eher zur Eskalation beiträgt. So könnte etwas ausgearbeitet werden, was im Falle eines Falles dann passieren soll und wie miteinander umgegangen werden sollte.

Datenschutz muss auf jedenfall gewährleistet sein, auch wenn jemand in einer Krisensituation diese selbst nicht mehr einhalten kann. Die Anderen müssen sie einhalten, es gibt keine Entbindung des Datenschutzes, nur weil eine Person diese evtl. gebrochen hat.

Nach einer Krisensituation könnte es die Möglichkeit einer Aussprache geben unter Beteiligung eines unabhängigen Mediators, falls es gewünscht wird. Ebenfalls wäre es dann auch klug, sich nochmals die vorher erarbeiteten Richtlinien vorzunehmen und ggf. zu überprüfen, was war gut, wo braucht es noch Anpassungen.

Umgang mit Fehlern und Beschwerden

Wir sind alle nur Menschen und dort wo gearbeitet wird passieren Fehler. Auch jene Fehler, die es eigentlich nicht geben dürfte. Leider sind wir Menschen oft so gepolt, dass Fehler machen als etwas ganz Schlimmes empfunden wird und entweder wertet man sich dafür selbst ab oder aber man versucht es abzustreiten.

Deshalb braucht es eine gute Fehlerkultur, die Fehler und Beschwerden als Chance begreift. Und zwar alle Menschen, die in einer Organisation arbeiten, also die FachkollegInnen mit einbegriffen.

Das Mindeste, was ich wohl voraussetze, dass man sich für etwas, was nachweislich wirklich falsch gelaufen ist, entschuldigen kann. Bei einer ernstgemeinten Entschuldigung, gibt sich das Gegenüber meist schon versöhnlich.

Aber auch sonst sind Beschwerden eine Möglichkeit, sich selbst oder die Arbeit, das Selbstverständnis, die bisherigen Ziele mal zu hinterfragen. Manchmal wird man einfach auch Betriebsblind und da ist es dann ganz gut, wenn mal von außen jemand auf Dinge aufmerksam macht.

Geht es doch um Verbesserungen, nicht nur in der Organisation, sondern im gesamten psychiatrischen System. Aber die Verbesserungen fangen häufig bei einem selber an, bei seiner Haltung, bei einem Innehalten, bei Versuch, den anderen Standpunt zu verstehen, sich dahin zu öffnen.

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So das waren jetzt mal meine Vorstellungen zu den aufgeworfenen Fragen.

Viele Grüße Heike

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Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.

"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).
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