Moin Punkt,
es gibt nichts zu entschuldigen -
dieses Selbsthilfeforum ist ja dafür da, um Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten ;-)
Wie ich schon schrieb, ist es langwierig und auch sehr anstrengend, sich von den akut kranken Phasen zu erholen.
Das gilt für beide Seiten - den Erkrankten und die Angehörigen.
Für mich selbst konnte ich anfangs nur insofern Verantwortung übernehmen, indem ich alles mögliche dafür zu tat,
um wieder auf die Beine zu kommen. Dabei ging es um Alltägliches: aufstehen, duschen, gut und ausreichend essen,
lange und erholsam schlafen, viel Bewegung in der frischen Luft, regelmäßig Medikamente nehmen und Arzt besuchen.
Nach jeder Phase war ich auf Null, d.h. sobald ich dazu in der Lage war, mußte ich mir eine neue Tagesstruktur erstellen.
An Altes konnte ich nicht anknüpfen, da mein Leben in Trümmern lag.
Ausserdem haben mich die Erlebnisse, die mit den akuten Krankheitsphasen einhergingen (zwangsweise Unterbringung
in der Psychiatrie u.a.) nachhaltig verändert.
So wie meine Angehörigen gelitten haben, habe ich selbst auch gelitten und Schaden genommen,
auch wenn das von aussen vielleicht anders aussah.
Es wird oft übersehen, dass der Erkrankte nicht ungeschoren davon kommt.
Die Geschehnisse der Vergangenheit zu bewältigen, kostet sehr viel Kraft, die manchmal nicht oder nur begrenzt zur
Verfügung steht. Nur damit Du mal eine Idee davon bekommst, wie lange die Rückkehr in ein "normales" Leben
dauern kann. Nach 4 Jahren mit akuten Krankheitsphasen habe ich exakt 6 Jahre gebraucht, bis ich in ein voll-
kommen anderes Leben zurückkehren konnte.
Die Hürden und Kraftakte auf dem Genesungsweg werden oft unterschätzt.
Nur weil die Krankheitsphasen vorbei sind, ist nicht alles wieder gut!
... noch lange nicht! ...
Ich erinnere, dass eine langjährige gute Freundin zu mir sagte: "Du bist doch jetzt wieder gesund. Sei wieder wie früher!"
Mich hat ihr Wunsch fassungslos gemacht.
Kein Mensch kann nach akuten Krankheitsphasen jemals wieder wie vor der Erkrankung sein.
Dass Freunde, Bekannte und Verwandte das nicht verstehen konnten oder wollten, hat mich am meisten belastet.
Hilfe und Unterstützung habe ich mir deshalb bei dem mich behandelden Psychiater und Psychotherapeuten
sowie in einer Einrichtung für psychisch Kranke geholt.
Kontakt zu meinen Familienangehörigen habe ich nicht gesucht.
Zu groß waren die Verletzungen - auf beiden Seiten.
Die seelischen Wunden, die die Erkrankung geschlagen hatte, mußten erst verheilen.
Auch das hat eine lange Zeit in Anspruch genommen.
Verantwortung für das, was ich krankheitsbedingt verursacht hatte (Scherbenhaufen beseitigen, sich entschuldigen und
wo möglich wiedergutmachen) konnte ich erst nachdem ich wieder Boden unter den Füßen hatte.
Heute übernehme ich Verantwortung indem ich alles mir mögliche tue, um nicht erneut akut zu erkranken.
... doch eine Garantie gibt es bei der unheilbaren Bipolaren Störung nicht.
Meine Verwandten und ich haben unanhänglich von einander an der eigenen Genesung gearbeitet.
Erst danach war wieder ein vorsichtiges Aufeinanderzugehen möglich.
Manche Befürchtungen und Ängste sind zurückgeblieben.
Andere Erkrankte und Angehörigen mögen andere Erfahrungen gemacht haben.
Bei mir war es so wie oben beschrieben.
Viele Grüße
Deborah
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Wer etwas will, sucht Wege.
Wer etwas nicht will, sucht Gründe.
Lerne erst laufen,
bevor du versuchst zu rennen.
("zeitzuleben", Ralf Senftleben)
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3-mal bearbeitet. Zuletzt am 08.02.18 05:49.