Das Ende des Glücks - wenn Medikamente nicht mehr wirken

03. 01. 2015 17:39
Hallo miteinander,
mir geht es bei diesem Thema um die Dauerwirksamkeit von Medikamenten, die es wohl scheinbar - wenn man lange Zeiträume betrachtet - leider doch nicht gibt. Was dann? Menschen wie wir müssen uns doch verlassen können...

Nun, habe mit 56 einiges mitgemacht, Übles, Schönes, Irres, Gipfel und Täler, Sonne und Hölle...
Mehr als einmal dem Sensenmann die Nase gezeigt, und viele Male traurig drüber, es nicht geschafft zu haben.
Das ganze Glück und Leid einer BIP-II- oder gar BIP-III-Biographie.

Also, mein größter Lottogewinn war das Kennenlernen von Carbamazepin, 25 Jahre nach den ersten Medi- und Drogen-Versuchen, irgendwie ein Leben zu erfahren in einigermaßen verlässlicher Normalität, hatte sämtliche Medis durch, aber ich wollte keine halben Sachen. Lithium hat mir nur einen Gleichklang gegeben, langweilig - dann macht das Leben doch keinen Spass mehr.
Naja, egal, wollte nur einen Kurzabriss aufzeigen, aber das Carba hat es geschafft: keine Ärzte mehr, keine Kliniken.. welch ein Glück!

Das war 98 - wie gesagt, ein Lottogewinn. Keinerlei andere Medikamente ausser etwas SSRI, glaube 20 mg Fluvo. Aber den großen Turn hat eindeutig das Carba verursacht, alles andere war nur Herumbasteln.
Dann folgten 6 Jahre normales Leben, Firmenaufbau, Sohn geboren - und dann Herbst 2004 wieder die erste große Depr., - das Carba wirkte nicht mehr, wahrscheinlich verhindert durch eine explodierende Hepatitis. Frau ist 05 nach 16-jährg. Ehe mit Sohn nach USA mit der Begründung, das Kind solle nicht dem Vater beim Sterben zusehen - was ein Schlag in die Magengegend! Allerdings hatte ich selbst am wenigsten geglaubt, dass ich es nochmal schaffen würde, also bin ich nur traurig, allein gelassen worden zu sein, aber ich verstehe es ja im Nachhinein. Weiß nicht, ob ich es solange überhaupt an der Seite einer solcherart "Behinderten" ausgehalten hätte.

06 erfolgte Interferon - und nach Absetzen durfte ich dieses Wunder des normalen, völlig gesunden Lebens zum zweiten Mal erleben (die Lebererkrankung wurde zurückgedrängt, und damit alle Symptome, die mit ihr einhergingen. Zunächst, für ein paar Jahre jedenfalls).
Ich war ein echtes medizinisches Wunder, viele Nebenerkrankungen der HCV verschwanden einfach wie Diabetes, Bluthochdruck etc. Dachte, schau mal einer an, BIP ist eine reine Mangelerkrankung, und Carba substituiert, was mir fehlt - und schon bin ich GESUND. Dachte, wenn ich so gesund bin, werfe ich jeden Lottogewinn in den Wind - meine Gesundheit und Kraft ist mein täglicher Lottogewinn. Fühlte mich wie ein 15-jähriger. Aber dann ging es jedes Jahr etwas schlechter, und heute wirkt es vielleicht noch ein Viertel von dem, wie es anfangs gewirkt hat. Bin untröstlich, denn ich werde keinesfalls dorthin zurückkehren, von wo ich gekommen bin. Das war kein Leben.
Und an manchen Tagen wirkt es eigentlich gar nicht mehr.

Seit 2012 ziehe ich Bilanz - da starb meine Schwester, indirekt an unerkannter Depression, direkt an Leberzirrhose. Ein schrecklicher Tod, und es wirkt in mir nach wie ein Trauma - kann die Bilder einfach nicht vergessen.
2 Wochen bevor sie starb, hat meine Lebensgefährtin endgültig ihr wahres Gesicht gezeigt - sie wollte ausziehen, weil ich mich um meine Schwester gekümmert habe. Das war dann ok, denn ich wollte mit keinem Menschen zusammenleben, der meinen Schmerz derart mit Füßen tritt - habe trotzdem schrecklich gelitten. Aber ich bin selbst schuld, weil ich die Zeichen nicht frühzeitig erkannt habe: sie wollte die Kontrolle über mich, was nicht funktioniert, wenn ich mich (teilweise) um meine eigene Familie kümmere.
Meine Mutter stirbt wegen eines Meningioms so vor sich hin (wird mich bald nicht mehr erkennen), und mein Vater, ebenfalls in zweiter Ehe mit einer kontrollsüchtigen Frau verheiratet, verleugnet aus Angst ihr gegenüber eine gewisse Verantwortung, die er als massiver Trinker auf sich geladen hat, als er seinen beiden Kindern Kindheit und Jugend raubte durch seine üblen Eskapaden und natürlich die Zerstörung der Familie. Er hatte langphasige Depressionen, aber sein Glück war Lithium. Leider hat er nicht das Verständnis, das er haben sollte, insbesondere weil sich schon der Bruder seines Vaters umgebracht hat - die lange Geschichte des Krankheitsbildes in dieser Familie sollte eigentlich eher Solidarität als Verleugnung hervorrufen...
Wie auch immer, mein Ziel ist es ja nicht, hier zu jammern - aber wenn ich denke, dass ich noch 2006-2009 die Kraft gehabt hätte, etwas von mir an andere Leidensgenossen weiter zu geben, aber statt dessen Krankheits-, Finanzamts- und Scheidungsschulden abgearbeitet habe, und jetzt immer schwächer werde, bekomme ich schon Verbitterung.
Es muß doch irgend einen Sinn gehabt haben, dass ich "soviel Glück" hatte, im Gegensatz zu meiner amen Schwester, die trotz Abstammung aus einer der reichsten Familien Deutschlands unter Hartz-IV-Verhältnissen ihr Leben lassen musste..? Ja, das dachte ich, und das hatte mir Mut gegeben, weiter zu machen - ...
Aber nein, ich werde immer schwächer. Als Selbstständiger kann man sich das aber nicht leisten - und so geht das gesamte Leben drauf, irgendwie meine Kleinstfirma am Leben zu erhalten.
In meinem Alter kann man auch nicht so einfach umswitchen in einen anderen Beruf - und so sehe ich kommen, dass ich spätestens in ein paar Jahren auch in Hartz ende. By the way, man darf auch nicht glauben, dass in 10 oder 20 Jahren noch ausreichend Geld für die Unterschicht da sein wird - und Hartz- oder Sozialhilfe-Empfänger werden sich noch umschauen.
Natürlich, das ist nur ein Gefühl, vielleicht wird es ganz anders, aber ich habe keine Lust, mich weiter aufzuarbeiten in diesem Hamsterrad, nur um dann in einem Dead end zu landen, dem ich sowieso schon nahe genug bin.
Oje, das hört sich verdammt nach Jammern an. Aber nein, musste nur etwas Hintergrund erzählen.
Jetzt jedenfalls, nach 56 Jahren, blicke ich auf so viele grundsätzlich gute Freundschaften und Lebensoptionen zurück, die alle wegen dieser heimtückischen, nicht planbaren Behinderung nach vielversprechenden Anfängen zerstört wurden. "Diese Person ist nicht verlässlich, mal kann er reden wie ein Buch, und plötzlich verschwindet er in wochen- oder monatelanger Langeweile" - wer macht das auf Dauer mit? Vieles hat Jahre oder Jahrzehnte gehalten - aber eben dann doch zerbrochen...

Hatte noch eine Geheim-Alternative: Begann an einem Buch zu schreiben, vor ein paar Jahren, stehe jetzt bei ca. 1.000 Seiten - aber je nachdem wie ich gerade drauf bin - up oder down - gefallen mir ganze Kapitel nicht mehr und ich schreibe dann um, nur um beim nächsten Mal drüberlesen in anderer Stimmung, wieder Mißfallen an der neuen Ausfertigung zu haben. Dann schreibe ich wieder um. Und so korrigiere ich und korrigiere ich, und weiß ganz genau, dass ich bei stabiler Stimmung wesentlich besser vorwärts käme.
Das erzeugt Misstrauen mir selbst gegenüber, denn jetzt muss ich gar befürchten, dass meine Kreativität schwindet - das letzte an Gaben, was ich für mich beansprucht habe, zumindest im Up.
Dann wäre es ganz aus.

Habe früher immer wieder irgendwie die Kurve gekratzt, bin dann wieder wie der Phönix aus der Asche gestiegen, und ja, diesmal schaffen wir es, und ja, Carbamazepin ist das Wasser für meine Wüste...
Aber jetzt ist es anders - ich nehme das Zeug mit HCV-bedingter Unterbrechung 13 (meist gute) Jahre. Jetzt wirkt es kaum noch, es hat meine Linsen getrübt, so dass sie bereits getauscht werden mussten, Vasculitis verursacht und so einige andere unangenehme Dinge bis hin zum Gewichtsverlust von einem Drittel.

Jetzt dringen Ärzte in mich, doch in die Klinik zu gehen - aber was ist dann mit meiner Firma? Kann mich gerade so ernähren auf meinem IT-Sektor, aber das wird immer schwerer - dann noch für unbestimmte Zeit in die Klinik ohne Rücklagen? Gefährliches Spiel...

Mir wird Seroquel empfohlen, aber eines weiß ich: Habe früher schon keine Neuroleptika vertragen, Restless u.ä. hätte mich beinah in den Wahnsinn getrieben. Es muss doch einen (biochemischen) Grund geben, warum Carba so ausgesprochen gut gewirkt hat, und da empfinde ich die Abarbeitung der Leitlinien als nicht zielführend.

Mir fällt auf, dass ich jede Menge geschrieben habe, eigentlich hab ich mich auch ein wenig "erleichtert", obwohl ich mich nicht leichter fühle. Ich möchte nur eines: Etwas weiter geben können, ein letztes Mal die Kraft aufbringen, anderen zu helfen - denn ich weiß ja eigentlich, dass es Chancen gibt, das Rad zu verlassen...
Dazu muss man allerdings gesund sein, verlässlich und präsent.

Drum meine Bitte um Hilfe an Euch:
a) Hat sonst jemand so gute Erfahrungen mit Carba gemacht?
b) Hat jemand erlebt, dass eine langjährig gute Wirkung nachgelassen hat?
c) Ist jemand im Forum mit BIP-III ?

Ne Menge Fragen, und es ist mir plötzlich total peinlich, mein Geschreibsel auf Euch loszulassen, aber es ist vielleicht die bessere Alternative zum "Schalter umlegen"
VLG
BlueMoods
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BlueMoods 2433 03. 01. 2015 17:39

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dino 578 03. 01. 2015 19:04

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BlueMoods 740 03. 01. 2015 20:50

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Bipolar1994 462 04. 01. 2015 07:34

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BlueMoods 478 04. 01. 2015 20:28

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Bipolar1994 487 04. 01. 2015 23:31

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BlueMoods 355 04. 01. 2015 23:57

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Bipolar1994 921 05. 01. 2015 07:10

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BlueMoods 373 06. 01. 2015 19:59

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Bipolar1994 331 07. 01. 2015 16:11

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BlueMoods 392 07. 01. 2015 23:21

Re: @BlueMoods

Bipolar1994 276 08. 01. 2015 08:21

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BlueMoods 296 08. 01. 2015 10:00

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Bipolar1994 281 08. 01. 2015 11:41

Re: @BlueMoods

BlueMoods 428 08. 01. 2015 15:31

Re: @BlueMoods

Bipolar1994 376 09. 01. 2015 08:09



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