Re: Krankheit verleugnen oder dazu stehen?

10. 09. 2014 10:09
Hallo,

also, ich stehe zu meiner Bipolaren Störung. ch mag meine Meise ;). Nein, jetzt im Ernst. Das ich vor ein paar Jahren in der Psychiatrie war, hatte sich dank meiner damaligen Klatschnachbarin eh rumgesprochen, bzw hatte sie die falsche These aufgestellt, ich wäre in der Suchtklinik/Trockendock gewesen und ich habs grade gebogen.

Nicht falsch verstehen, ich sage nicht, dass jemand mit einem Sucht ein schlechter Mensch ist, denn auch eine Essstörung gilt als Sucht. Aber mir war es wichtig, die falschen Informationen grade zu biegen. Wäre ich im Trockendock gewesen, hätte ich auch dazu gestanden.

Dann gab es nachher eine Phase, in der mein damals Grundschulkind von einem Mitschüler drauf angesprochen wurde, ich wäre in der Klappse gewesen und eben verrückt. Er hat dann nur gemeint, dass dieser Mitschüler was verpassen würde, wenn er eine normale Mutter hat. Mittlerweile, jetzt im Teenageralter, hat sich herausgestellt, dass dieser Junge und auch andere Freunde und Freundinnen meines Sohnes mich viel cooler finden als ihre Eltern, weil ich bin wie ich bin. Weil ich etwas chaotischer bin. Die Ex meines Sohnes zB hatte erst große Angst vor mir, da sie in der Jugendpsychiatrie gewesen war und viele 100km weg von ihrer Familie in einer Pflegefamilie bei uns in der Nähe wohnte. Und als sie dann mitbekam, dass ich selber eine Meise ;) habe, war sie viel entspannter. (Leider habe ich gehört, dass Mädchen ist wohl mittlerweile wieder bei ihrer Mutter statt in der Pflegefamilie und ritzt auch wieder, da die Mutter die Kontaktsperre zum Vater nicht ernst nimmt. Ich hoffe zum Wohle des Mädchens, dass das eine Falschmeldung ist.)
Sie hat sich damals, also vor gut 18 Monaten, da war sie 14 (sie sit älter als mein Sohn), sehr für ihre Narben geschämt und immer lang getragen, und in der Schule wurde auch stark gelästern. In der letzten Nachricht, die ich bekam, sagte sie, sie wolle jetzt dazu stehen, da viele Klassenkameradinnen das cool finden.

Thema: Selbstverletztendes Verhalten. Ich selber habe keine Ritz- oder Schnittwunden, kenne persönlich auch keine bipolare Person in meinem Umfeld, die SSV hat oder hatte. Das kenne ich in meinem Umkreis nur von Borderlinern.
Eine Freundin von mir, schon über 50, ist ein Paraddebeispiel dafür, dass das SSV NICHT ab 40 weniger wird, wie es gern von einigen Psychiatern "meinen" Borderlinern erzählt wird. Sie trägt nie kurze Sachen, da sie ständig offene Wunden an den Unterarmen hat. Es besteht auch immer ein gewisses Infektionsrisiko dadurch. Allgemein steht sie nicht zu ihrer Erkrankung (Borderline plus Alkoholabusus).
Eine andere Freundin von mir hat vor zwei Jahren über Nacht ohne Vorwarnung ihre Sachen und Kinder gepackt und ist weggezogen. Die Gegend hier tat ihr nicht gut und sie hat nur zu ausgewählten Leuten hier noch Kontakt.Seit dem Umzug hatte sie keine Alkoholexzesse mehr, keinen Drang zur Selbstverletzung, keine Promiskuität, endlich einen Job, den sie länger als nur ein paar Wochen hält. Aber, auch sie trägt nichts kurzes wegen den Narben. Sie will nicht, dass es bekannt wird, wegen Vorurteilen.
Ein guter Freundin von mir hat sich mit der Diagnose emotional instabil nie anfreunden können. Nach einem weiteren Psychiatreiaufenthalt, diesmal endlich eine andere Klinik, wurde die Diagnose geändert: Dissoziative Identitätsstörung, also multiple Pesönlichkeit. Er ging in Behandlung, steht zu seiner Meise ;) und hat jetzt eine eigene Familie. Er trägt auch kurze Ärmel, es fallen aber eher seine Tattoos auf, als die Narben.

Und dann ist da mein Ex, der mit Vorliebe seine Narben zeigt, um damit Mitleid zu erregen und sich in den Mittelpunkt zu stellen. Das er Borderliner mit schwerem Alkoholismus ist, sieht er nicht. Er hat nill Krankheitseinsicht. Für ihn sind alle anderen krank, besonders die, die irgendwann hinter seinen vordergründigen Charme sehen und die andere Seite erleben.

Fazit: Es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Dazu stehen oder nicht ist immer individuell.
Es hängt wohl auch vom Alter ab und von den Lebensplänen.
Im Teenageralter scheint es teilweise grade unter Mädchen echt cool zu sein. Ich sehe Mädels an der Schule, die ihre Arme verbunden haben, um drauf angesprochen zu werden, manche Mädels tragen extre kurze Ärmel, weil sie durch die Aufemerksamkeit im Mittelpunkt stehen, was sie sehr genießen.
Wenn es denn nachher ins Berusfleben geht, sieht das wohl wieder anders aus, denn über Ritzer herrschen viele Vorurteile, auch wenn einige Menschen diese Klischees voll bedienen, sind nicht alle so.

Aber das ist wie mit allen Vorurteilen: Es gibt Menschen, da passen sie und es gibt Menschen, da passen sie nicht. Zb Lehrer, weil du das oben erwähnt hast. Ich habe sowohl als Schülerin als auch als Mutter viele Lehrer/innen kennengelernt. Grade an der Grundschule meines Sohnes war eine Zeit lang ein schneller Wechsel, teils mitten im Schuljahr. Es tut mir leid, das so sagen zu müssen, aber ich habe in all den Jahren nur sehr wenige Lehrer kennen gelernt, die wirklich einer Fürsorge nachkamen. Eine davon ist in Frührente, weil sie selber gemobbt wurde unter der Lehrerschaft, nachdem sie sich geoutet hatte. Eine andere hat den Job an den Nagel gehängt, weil sie zu sehr drunter litt, wie die Kinder sich fertig machen und auch die Lehrer die Kinder mitmobben. Und die dritte reißt sich ein Bein aus für die Kinder, die sie unterrichtet und ist am Jugendamt schier verzweifelt, als es um einen Fall von Kindesmisshandlung in der Klasse ging. (Die Geschichte ist heftig und ich war mit involviert, weil mein Sohn sich bei mir über dieses Kind beschwert hatte und ich versucht habe, da zu intervenieren auch mit der Lehrerin gemeinsam, aber die Elternvetretung wollte davon nicht viel wissen. Dieses Kind ritzt mittlerweile auch und stellt sich zur Schau.)

Mittlerweile sehe ich das so: Klappse ist für die meisten Mitbürger nicht mehr schlimm, dank Burnout etc. Aber wenn es sichtbare Zeichen dafür gibt, dass man psychisch krank ist, gilt diese These nicht. Da ist es anders herum, als mit anderen Krankheiten: Brüche sind bedauernswerter als Rheumaarkrankungen oder Stoffwechselstörungen, weil man die ersteren sieht. Krankheiten wie Zöliakie werden abgetan mit "Klar, kann jeder behaupten", Krücken bemitleidet.

Ist jetzt länger geworden, als ich wollte, und ich weiß nicht, ob verständlich ist, was ich sagen wollte. Ich weiß selber, worauf ich hinaus will, kann das aber seit mein Vater gestorben ist nicht mehr klar transportieren. Das ist die Trauer, die man ja übrigens auch nicht sieht, wo es auch heißt: "Reiß dich mal zsuammen, das ist ja schon 5 Monate her, so langsam musst du mal drüber wegkommen:"

Wenn du unsicher bist, ob es richtig ist, dich zu offenbaren, lass es lieber, würde ich sagen. Dann bist zu noch zu verletzlich und eine gewisse Rückfallgefahr ist da. Nur mein Gedanke.

Ich wünsche dir, dass du Menschen hast, die dich lieb haben, wie du bist. Einfach WEIL du bist!

39, alleinerziehend (Sohn 16)
Binge Eating, diagnostiziert aber ohne Behandlung :(
BiPo II, Medi: 2x200mg Lamotrigin
Angst- und Paniksstörung, PTBS
Trigeminusneuralgie, Medi: 2x100mg Carbamazepin, Ibu 600mg und NVS 500mg bei Bedarf
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Krankheit verleugnen oder dazu stehen?

lost- 2074 25. 06. 2014 18:52

Re: Krankheit verleugnen oder dazu stehen?

Millstreet 942 27. 06. 2014 11:24

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Katzenfrau 606 27. 06. 2014 14:01

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Kicherliese 776 27. 06. 2014 13:53

Re: Krankheit verleugnen oder dazu stehen?

neomo 587 27. 06. 2014 14:02

Re: Krankheit verleugnen oder dazu stehen?

mausileyn88 612 27. 06. 2014 17:08

Re: Krankheit verleugnen oder dazu stehen?

RichardII 628 27. 06. 2014 17:32

Re: dazu stehen? @ Richard & all

neomo 586 27. 06. 2014 18:36

Re: dazu stehen? @ lost

Rogo 657 30. 06. 2014 05:06

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Colt 685 30. 06. 2014 09:05

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Herbstnebel 690 30. 06. 2014 10:58

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JPL 551 07. 09. 2014 19:34

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JPL 524 07. 09. 2014 19:51

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Mayisa 688 20. 12. 2014 19:16

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maniker20 553 30. 06. 2014 20:54

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Portia 560 07. 09. 2014 22:02

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Nachteule80 511 07. 09. 2014 22:15

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dry 485 07. 09. 2014 22:39

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blended73 545 08. 09. 2014 10:43

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Drachenreiterin 891 10. 09. 2014 10:09

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Kiphard12 651 14. 11. 2014 13:15

Re: Krankheit verleugnen oder dazu stehen?

Rudi 617 25. 12. 2014 20:40



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