Folgendes Problem:
Ich arbeite ja als Köchin, was genau mein Ding ist. Aber... die gewöhnliche Gastronomie ist ein Pool von Freaks und gescheiterten, von Leuten, die Brüche in ihrem Leben haben... wer nix wird, wird Wirt... ;-) Vielleicht ist es ja wo anders genauso, das weiss ich nicht. Einerseits fühl ich mich deshalb da gut aufgehoben, weil ich mehr mit Menschen anfangen kann, die durch die Brüche in ihrem Leben eine gewisse Tiefe erlangt haben.
Aber... andererseits scheine ich für Emotionen anderer Leute wie ein offenes Scheunentor zu sein, nur, dass hinten zu ist :-D
Aktuelles Beispiel: eine Kollegin, die wir anlernen. Ich will zu Anfang betonen, dass sie sehr gut arbeiten kann, wir hätten ihr sonst nicht angeboten, ihr das Kochen beizubringen, nur für denn Fall, dass ihr denkt, ich will sie hier fertiog machen. Darum geht es nicht, sie ist auch eine Seele von Mensch und ich weiss, dass sie nichts, aber auch überhaupt gar nichts dafür kann, was mit ihr los ist.
Mein Verdacht lautet emotional instabil, passt auch zur Vergangenheit. Sie schwankt zwischen "kann ich nicht, hab ich noch nie gemacht, komm ich nicht mit klar, das müsst ihr mir nochmal zeigen, das trau ich mich nicht, ich hab Angst, was falschzumachen, ihr dürft nicht böse sein" und "ich bin doch keine fünf mehr, ich bin erwachsen, ich weiss, was ich tue, irgendwann reicht es mir mal mit dem Gemecker und außerdem hab ich bei xy einen Fleck an der Fliese gefunden und dauernd werde ich benachteiligt, andere kriegen nie einen Anschiss".
XY bin im Zweifelsfall ich. Der Küchenchef hat nun schon mehrmals gesagt, dass ein "Lehrling" sich auf seine Arbeit konzentrieren soll, anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen und dass es ihr nicht zustehe, meine Arbeit zu beurteilen. Damit war ich erstmal zufrieden und mein Küchenchef kennt mich auch gut genug, mich da ein bisschen abzuschirmen. Über "die putzt nie richtig" lacht er nur vergnügt :-D
Diese Woche kam es dann (nachdem sie sich, wie ich jetzt weiss, täglich bei jemand anderem über mich ausgeheult/-gekotzt hat), trotzdem zu einem Gespräch mit Chef, Küchenchef, Sous-Chefin (ich) und "Lehrling". Die Anschuldigungen gegen mich wurden nochmals ausgesprochen und dann (von allen anderen) einfach ignoriert, wieder wurde gesagt: Konzentriere dich auf deine Arbeit, zeige nicht dauernd mit dem Finger auf andere und mache einfach das, was du gesagt bekommst, ohne zu diskutieren, denn wir haben schlicht und einfach die Erfahrung, die du noch nicht hast. Gleichzeitig haben wir unsere Wertschätzung für die bisherige geleistete Arbeit ausgesprochen und aber auch gesagt, dass es eben noch nicht reicht, Küche ist ein harter Job.
Ich war erstmal beruhigt und froh, denn der Küchenchef hat mich aus dem Schussfeld genommen und sich auf kein Gehetze gegen mich eingelassen.
Die Kollegin jedoch hat da irgendwie alles missverstanden... entwickelt nun noch mehr Höhe, hielt mir nochmals einen Vortrag darüber, dass sie gelobt werden möchte - in der Küche gilt eigentlich "nicht gemeckert ist genug gelobt" - und wir loben sie ja auch, aber ich mach das doch nicht auf Kommando! In der Küche herrscht manchmal ein rauer Ton, wobei ich sagen muss, dass das in unserer Küche ganz, ganz moderat ist. Auch die Kellner sagen uns das immer, dass sie sie froh seien, dass wir keine brüllenden, sarkastischen, cholerischen Köche sind. Ironie allerdings steht natürlich an der Tagesordnung.
Die Kollegin beschwert sich aber über meinen Ton, während ich gleichzeitig mitkriege, dass der Küchenchef viel krassere Dinge zu ihr sagen kann und sie das dann noch lustig findet - aber teilweise dann auch nicht ernst nimmt. Zuguterletzt berichtete sie mir auch noch, dass sie sich ja schon ganz oft mit dem Küchenchef darüber unterhalten habe (und nicht nur mit ihm, jedem Kellner, dem Chef, dem Putzmann...), wie ich sie schikaniere (das hat sie so vielleicht nicht gesagt, aber es kam so durch).
Dass ich davon nichts mitbekommen habe, werte ich als positiv: es weiss jeder, dass ich die letzte bin, die jemanden schikaniert und jeder weiss, dass sie mir noch lange nicht das Wasser reichen kann - was sie auch nicht muss, sie lernt ja noch. Denkt es aber schon.
Ich will es jetzt auch nicht weiter ausführen, denn es soll ja nur ein Beispiel sein.
Mir ist klar, dass sie sich nicht ändern wird, es wird immer das Problem sein, dass sie sachliche Kritik nicht versteht, weil bei ihr alles nur auf der Beziehungsebene ankommt. Und sie wird immer schwanken zwischen "ich bin so toll, ich muss mir gar nichts sagen lassen" und "ich hab das Gefühl, ich bin hier nicht erwünscht" und "ich tue alles für euch".
Ich bin nicht in der Lage und auch nicht dazu bereit, mich von ihren Gefühlen gängeln zu lassen, zumal es ihr ja auch nichts nützt. Aber irgendwie schaff ich es auch nicht, eine akzeptable Grenze zu ziehen. Ich mache dann eher ganz dicht und schalte auf professionelle Kommunikation um, was bei ihr wahrscheinlich wieder einen Sturm an negativen Gefühlen auslöst und was dann wieder auf mich zurückfällt.
Am Ende könnte mir das alles egal sein, denn es ist ihr Problem.
Mein Problem ist aber, mein Scheunentor. Ich kann wegen solcher Geschichten nicht gut oder gar nicht schlafen, kann mich nicht mehr gut auf meine Arbeit konzentrieren, mache schon Fehler - auf die mein Küchenchef mit einem Lächeln reagiert, weil er mich kennt und weiss, woran es liegt - mir kommen da echt die Tränen vor Rührung - aber auf Dauer geht das natürlich nicht.
Ich will mich jetzt aber drum kümmern, dass ich in Zukunft lerne, mich da besser abzugrenzen. Ich kann es mir einfach nicht leisten, dass andere ihre Emotionen bei mir abladen und ich die dann nicht mehr loswerde, da es mich schon genügend Energie kostet, meine Wut einigermaßen zu unterdrücken und mich einfach weiter auf meine Arbeit zu konzentrieren. Es löst kleine Phasen bei mir aus und das, obwohl ich eigentlich mittlerweile ohne dauerhafte Medieinnahme klarkomme.
Ist es eine normale Reaktion, wenn mir die Halsschlagader schwillt, weil jemand, der Köchin werden will beim Anblick von Bohnen schreit: "Iiiih, Bohnen! Die sind ekelig, die ess ich nicht, mochte ich noch nie... zeter, zeter"? Ich liebe meinen Beruf, den ich nicht gelernt habe und erwarte von anderen eine Einstellung dazu, die den Dingen, mit denen wir unser Geld verdienen, die wir Leuten auf die Teller tun, die dafür Geld bezahlen und sie die genießen sollen, einen gewissen Respekt zollt. Bin ich da zu streng? Muss ich das ertragen? Tappe ich in eine Falle, wenn ich der Kollegin das auseinandersetze, weil sie es wahrscheinlich nicht versteht, sondern wieder als persönlichen Angriff wertet? Wie werd ich da meinen Unmut los, ohne anderen damit auf die Nerven zu gehen?
Wo lernt man das? Wie setzt man da Grenzen? Ich habe da ein enormes Problem damit.
Einfach raushalten kann ich mich nicht, wir sind ein kleines Team, wenn der Küchenchef nicht da ist, habe ich den Hut auf und die Verantwortung trage ich sehr gerne. Es funktioniert auch, wenn alle mitmachen.
Aber ich stehe nie sicher auf meinem Standpunkt - nur beim Küchenchef, mit dem kann ich leidenschaftlich Rezepte und Putzpläne diskutieren, ohne dass das irgendwas an unserer Beziehung ändern würde.
Ich hatte das Problem in anderen Formen schon gefühlte 1000mal in meinem Leben. Mit Suchtkranken, emotional instabilen, Narzissten, uneinsichtigen Bipos etc.pp.
Mal verknappt ausgedrückt: Ich lasse mich als Schutthalde für alle möglichen Emotionen benutzen und wenn ich voll bin und dann dicht mache oder zurückgebe, weil einfach nichts mehr reingeht und ich merke, dass ich mich dabei verliere, bin ich der Arsch und es führt dann leider oft kein Weg mehr zurück. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich nicht entblöden kann, jedesmal gute Ratschläge zu geben, die beim anderen niemals ankommen, geschweige denn angenommen zu werden, weil das gar nicht vorgesehen zu sein scheint. Mir passiert das immer, immer, immer wieder.
Versteht ihr das, habt ihr ähnliche Probleme, wie arbeitet ihr dran?
Selbstredend rede ich außer mit dem Küchenchef (und mit dem auch nicht ausführlich, denn er weiss es ja) mit niemandem darüber, wie sehr mich solche Sachen durcheinander bringen. Ich bin da, um meine Arbeit zu machen. Empfinde es aber natürlich als ungerecht, dass andere Rücksicht auf ihre Emotionen einfordern.
Momentan denke ich, ich sollte zumindest den Chef mal drüber aufklären, wie es sich da bei mir verhält. Andererseits denke ich mir dann wieder: Wozu? Ich werde wegen meiner Arbeit geschätzt, es ist immer nur eine Person, die ein Problem mit mir hat und die hat das Problem dann auch nur mit mir, weil mein Scheunentor offen steht und ich meine Grenze als letzte setze.
Angenommen, ich wäre an der Stelle der Kollegin und man würde mich plötzlich behandeln wie ein rohes Ei und mich beobachten, ob ich heute mal Kritik vertrage oder nicht... ich käme mir total doof vor und würde nach einem halben Tag vor Wut platzen :-D
Ich weiss ja aber auch, dass ein Chef sich irgendwann denkt: Hm, wenn es Probleme gibt, ist immer Sumosimi drin verstrickt. Also muss ja was dran sein.
Ich danke dem lieben Gott täglich auf Knien, dass ich schon fast zehn Jahre mit meinem Küchenchef zusammenarbeiten darf, es ist der anständigste Mensch, den ich kenne, er kennt mich wie seine Westentasche, vertraut mir zu 100%, steht immer hinter mir und hat sich schon ein paarmal (wenn es wieder mal ein Kollege auf mich abgesehen hatte) sofort vor mich gestellt, mit aller Konsequenz und aller Macht. Ich drücke schon wieder Tränen der Rührung weg, ganz ehrlich, ich bin sooooo dankbar dafür. Und das tollste ist: er macht das für jeden, der im Team gut mitarbeitet. Ich hab soviel mehr als nur Küche von ihm gelernt, aber wie ich mich abgrenzen kann, das leider noch nicht. Er dient mir auch immer als Gradmesser für meine Hysterie, ich kann ihn jederzeit fragen, ob meine Reaktion übertrieben ist oder ob ich mich grade in was reinsteigere - und das war noch nie peinlich. Ob er überhaupt weiss, was eine bipolare Störung ist, weiss ich noch nicht mal.
Wer bis hierher gelesen hat: vielen Dank.
Ich hab im Juli zum ersten Mal einen Termin in einer Bipolarambulanz. Eigentlich nur wegen dieses Themas. Ich hoffe, die können mir helfen oder wenigstens ne Richtung geben.
Wie sind eure Erfahrungen?
Sumosimi
Taat du nee borom djogol, so djoge mu topola.