Gutachten und Stellungnahme der DGPPN zu den Auswirkungen der Patientenverfügung in der Psychiatrie

17. 04. 2010 17:40
Stellungnahme vom 15. April

Auswirkungen des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (Patientenverfügungsgesetz) auf die medizinische Versorgung psychisch Kranker: Rechtsgutachten und Stellungnahme der DGPPN

Gutachter: Professor Dr. iur. Dirk Olzen, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Rechtsfragen der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Download des kompletten Gutachtens: [media.dgppn.de]

Auszüge aus der Stellungnahme:

Das argumentativ schlüssige Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Festlegungen einer Patientenverfügung auch für den Fall einer psychischen Krankheit mit Einwilligungsunfähigkeit verbindlich sind und auch durch Behandlungsrechte, die sich aus den Unterbringungsgesetzen bzw. Psychisch-Kranken-Gesetzen (Psych-KG) der Bundesländer oder gerichtlich eingerichteter Betreuungen ergeben könnten, nicht relativiert werden können. Die gerichtliche Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung kann eine Patientenverfügung aber nicht abwenden.

Ein gesunder oder bereits psychisch erkrankter Mensch kann nun im Wege der Patientenverfügung bestimmte Behandlungsverfahren und Arzneimittel partiell oder gänzlich für den Fall künftiger psychischer Erkrankung bzw. Rezidive ausschließen. [...] Das heißt, im Extremfall resultiert, dass der Patient unbehandelt bleibt.

Damit kann die paradoxe Situation eintreten, dass diese Patienten durch eine Nichtbehandlung ein Wiederauftreten ihres Leidens sowie damit verbunden einen vorübergehenden oder länger andauernden Verlust der Einwilligungsfähigkeit riskieren. Eine Verschlechterung der Prognose und Chronifizierung der Erkrankung können die Folge sein.

Indem der Gesetzgeber mit dem Gesetz auf das Lebensende zielte, entsprechende Beschränkungen der Reichweite einer Patientenverfügung aber nicht vorgesehen hat, werden psychisch kranke Menschen dem Risiko ausgesetzt, ihre Gesundheit nachhaltig zu schädigen. Auch wenn die DGPPN u.a. in einem parlamentarischen Gespräch den Gesetzgeber auf die spezifischen ethischen Implikationen für psychisch kranke Menschen hingewiesen hat, sind diese im Rahmen der parlamentarischen Beratungen nicht thematisiert und folglich im Gesetz nicht berücksichtigt worden.

Das von Professor Olzen für die DGPPN erstellte Gutachten zeigt, dass die denkbaren Konsequenzen aus der neuen Rechtslage je nach Standpunkt und Argumentation zu sehr divergierenden Prognosen führen. Diese reichen von der Ausrufung des Endes der angeblichen „Zwangspsychiatrie“ bis zur Schreckensvision einer Krankenhauspsychiatrie, die etwa bei Abwendung einer akuten Selbstgefährdung infolge psychischer Erkrankungen auf die alleinige Anwendung von Zwangsmaßnahmen wie Unterbringung, Fixierung und Isolation zurückgeworfen werden kann.

Wenn eine Verfügung vorliegt und der Patient diese aktuell nicht zurücknimmt (was wahrscheinlich aktuelle Einwilligungsfähigkeit voraussetzt, auch wenn das Gesetz jederzeit den formlosen Widerruf zulässt), darf der Arzt auch im psychiatrischen Notfall nicht nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten (Geschäftsführung ohne Auftrag) handeln, sondern hat die Verfügung zu respektieren. Falls dies zum Schutz des Patienten oder Dritter Zwangsmaßnahmen wie eine Fixierung verlangt, kann es geboten sein abzuwägen, ob die Verfügung einzuhalten dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht, ob also nicht eine vorübergehende Psychopharmakotherapie trotz entgegen stehender Verfügung gegenüber körperlicher Gewalt die angemessenere Alternative darstellt. Wie ein ggf. später vom Patienten angerufenes Gericht einen solchen Verstoß gegen die Verfügung beurteilen würde, ist nicht abzusehen.

Link zur kompletten Stellungnahme: [www.dgppn.de]

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Carbamazepin 1.200 mg, Hydromorphon 16 mg, Venlafaxin 37,5 mg, Melatonin 10 mg

Stud. Med.

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Gutachten und Stellungnahme der DGPPN zu den Auswirkungen der Patientenverfügung in der Psychiatrie

Colt 6248 17. 04. 2010 17:40



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