Hallo Oli, zwei Tage sind jetzt her, seit wir das letzte Mal voneinander gehört haben. Drei Tage ist es her, seitdem ich meine Maus gesehen habe. Sie ist nach Texel gefahren, will Ruhe finden und über sich im Klaren werden, ob alles eine Zukunft hat, ihre schwarzen Gedanken verschwinden lassen. Seitdem wandern auch meine Gedanken nur noch darum, ob ich diesen Stress auf Dauer selbst mit auffangen kann. Meine letzten 8 Monate waren selbst eine Berg-und Talfahrt. Die Feststellung, dass ich anders bin als andere. Die Feststellung, dass ich nach 32 Jahren heterosexuellem Leben plötzlich Empfindungen für mein Geschlecht feststelle. Die Feststellung, dass meine Eltern - vor allem meine Mutter - mich "so" nicht mehr lieben wollen. Die Erpressungen meiner Mutter mit Selbstmord, die Verbote in meiner eigenen Wohnung w/ der Nachbarn und das, was wohl andere denken könnten. Das Gefühl zu bekommen, dass man nur noch dann geliebt wird, wenn man wieder "normal" wird. Es war die "Hölle". Jetzt folgt natürlich das, was kommen musste. Solch eine Belastung hält keine Beziehung aus, die gerade erst begonnen hat. Der Druck, der auf beiden lastet, unüberwindbar. Ich für meinen Teil stelle fest - ich mache jetzt zu. Eine gute Freundin, der ähnliches passiert hat, gab mir mal mit auf dem Weg: Trennen Dich von dem, was Dich krank macht! Vielleicht hatte sie recht. Krank machen mich meine Eltern, meine Wohnung nebenan - wo ich immer unter Kontrolle stehe, eine Liebe zu einer Frau - die so nicht erwidert wird, weil sie einfach ebenfalls dicht gemacht hat. Völlige Verzweiflung - bis letzte Woche - so tief lag ich noch nie auf dem Boden. Die Frage kommt auf - wer ist hier eigentlich manisch depressiv - meine Maus oder ich? Oder wir beide? Oder einfach nur völlig fertig?
Fakt ist, dass ich mich im zweiten Monat meines Coming outs von meinem Schatz mit einem Messer in der Hand erwischen lassen musste, ich hatte mir vor lauter Wut in den Arm geschnitten, weil ich nicht wußte, wie ich sie sonst loswerden sollte. Ich hasste mich, weil ich nicht "normal" bin - sondern ich musste mir das Wort "LESBE" gefallen lassen.
Der Abstand hat gutgetan am Wochenende. Nach unserem letzten Kontakt hier im Forum habe ich für mich entschlossen, dass ich jetzt sofort nur noch Dinge tun werde, die MIR guttun. Als allererstes werde ich am Montag eine Wohnung anschauen gehen in einer anderen Stadt - weg von den Eltern. Ich denke, meine Mutter wird wieder völlig durchdrehen, weil sie denkt, ich ziehe mit meiner "FREUNDIN" zusammen - aber Fakt ist - es wird eine sichere Zuflucht nur für MICH sein. Keiner mehr, der heimlich während meiner Abwesenheit in meinen Schränken rumschnüffelt, aus dem Fenster meine An- und Abwesenheiten kontrolliert. Und wenn das alles mit meiner Wohnung fertig geregelt ist - dann werde ich wieder für mich und meinem Sport da sein - Marathon laufen wie letztes Jahr. Seit des coming outs habe ich das alles völlig vernachlässigt - mich vollkommen aufgegeben, weil ich mich selbst nicht mehr sehen konnte und meine körperliche Verfassung es nicht mehr zuließ.
Insofern wird der ganze Streit etwas in meinem Leben erreicht haben: Ich weiß jetzt, was ich will und wer ich bin. Ich stehe dazu, "anders" zu sein und liebe dieses Leben, ich werde es nicht mehr aufgeben. Und ich werde ab sofort mit neuer Energie an mein Leben gehen. Ob mit oder ohne meine Maus - wie auch immer sie sich entscheiden wird. Kein Mensch auf der Welt hat das Recht dazu, einem anderen weh zu tun.
