Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

12. 07. 2003 10:50

Hierauf erhebe ich Copyright! Veröffentlichung und Verwendung nur mit genehmigung der Autorin Janis Creative!

Wenn der Tag 48 Stunden bekommt - bei Beibehaltung eines 8-stündigen Schlafs - und mir an dieses Leben gleich noch eines drangehängt wird, dann schreibe ich auch dieses von 160 geplanten Büchern. Und der Titel lautet so:
?Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung".

Wenn sich am Samstagmorgen in der Wohnung ein stechender Gasgeruch ausbreitet, dann ist das nicht wirklich das Problem. Man kennt die Vorsichtsmaßnahmen, die Telephonnummer der Gaswerke ist bei der immer anwesenden ordentlichen Nachbarin ins Büchlein eingetragen - man selbst findet sie schließlich nicht mehr. Vom Gasgeruch bis zur medienträchtigen Explosion ist es immerhin noch ein ganz langer Weg. Länger als die 2 Meter bis zur Leckstelle. Über die üblichen Chaoshaufen kann man schnell ein paar gebatikte Bettücher werfen, deren Muster vom ?Darunter" ablenkt. Man ist schließlich sehr kreativ! Doch wie soll man den verzweifelten Gasleuten erklären, warum der ansehnliche Säulen aus Zeitschriften den Zugang zur Rohrleitung nahezu unmöglich machen ? Und warum sich ausgerechnet zwischen Waschmaschine und Wand diese Monumente des Wissensdurstes befinden, wo andere Leute bestenfalls einen Wasserkasten aufbewahren?

Zuzugeben, ein ?Messie" zu sein, ist durchaus etwas peinlich, doch ist man als ein solcher in guter Gesellschaft: Namhafte Industrielle geben zu, für Ordnung keine Zeit zu verschwenden - Time is money. Designer werden vom Chaos als Urstoff neuer Ideen inspiriert. Bei vielen Lehrern ersetzen Papiere den Bodenbelag. Und wenn das nicht mehr hilft, gibt es noch diese witzigen Schilder: ?Nur kleine Geister halten Ordnung - ein Genie beherrscht das Chaos".

Und wenn dem ?Messie" die klugen Sprüche ausgehen, löst ein Gang in Buchhandlung oder Bibliothek schon bald das Problem. Sarah Felton und andere Volkspsychologen aus dem Land der Sterne und Streifen haben Abhilfe parat. Ja, auch sie haben es geschafft. Im Chaos blühten wieder Rosen, in soundsoviel Schritten ist man am Ziel. Die Wohnung wird ordentlich, die Gäste geben sich wieder die Klinke in die Hand.
Ein ?Messie" ist besonders wisssensdurstig, interessiert, kreativ - alles sehr positive Eigenschaften! Krank? Aber nein, auf keinen Fall! Und wenn schon, dann höchstens Bandscheibenvorfall vom ständigen Verräumen der schweren Bücherkisten oder weil einem einmal der Inhalt eines ganzen Regals voll gusseisernem Kochgeschirrs auf den Kopf gefallen ist. Und in die Psychoecke darf man einen ?Messie" auf keinen Fall stellen.

Wenn man nur lernt, Wesentliches vom Unwesentlichen zu unterscheiden, dann hat man nicht nur Ordnung, sondern auch mehr Geld und Zeit! Statt Läden und Sperrmüllhaufen abzugrasen, nährt man sich nun von geistiger Kost, indem man z. B. über die Bekehrung zur Ordnungsfrau liest.
Krank oder annähernd krank ist man erst beim Vermüllungssyndrom, etwa wenn man sich von Hühnerbein in Joghurtbecher und Kippe in Eierschale nicht mehr trennen zu können glaubt. Doch auch das ist noch ein eigenständiges Ding, das Vermüllungssyndrom" eben.

Mit einer Studie kann ich nicht aufwarten. Gucken wir uns bloß einmal die Spezialisten des Chaos im eigenen Umfeld an:
Als Erster wäre natürlich mein Vater und Vorbild zu nennen. Keller, Gartenhaus und Büro sind Gefahrenzone Nummer eins. Im Schlafzimmer bräuchte man kein Bettgestell mehr, denn die mächtigen Bücherstapel würden schon einen Lattenrost mit Matratze tragen. Die weltliche Erklärung des Problems ist ?Papiermagnetismus" und unbestimmte ?Sammelwut". Was wird wirklich davon gelesen? Maximal ein halbesb Prozent- ungefähr zwei Bücher pro Jahr. Tage gehen dahin mit dem Sortieren von Papieren.

Und als Spross dieser Familie muss ich natürlich auch mit mir selbst hart ins Gericht gehen. Den ?Papiermagnetismus" habe ich geerbt. Aber als äußerst kreativer Mensch (Inspirationsschübe, Kreativitätsräusche, gesteigerter Schaffensdrang) mit leichter Inspiration durch Surrealismus und Dadaismus bin ich natürlich immer auf der Suche nach einer künstlerisch verwertbaren ?trouvaille? (Fundstück, das dem eigenen Inneren gleicht, so die Surrealisten). Wie die Sache ausgeht, das hängt von der Toleranz des Vermieters und der Nachbarn ab, aber auch vom Platzangebot. Derzeit geht es gut, denn das Haus ist groß und alt und längst schon abgeschrieben, dem Verfall preisgegeben, die Abrissbirne leider nicht mehr weit.

Ein Freund aus dem Land der Messiebücher sammelte 46Chevrolets in Lebensgröße. Jetzt rosten sie im Garten vor sich hin, denn nicht einmal dort, wo die Haltung eines Autos finanziell wenig ins Gewicht fällt, kann man mehr als drei davon gleichzeitig benutzen. Zeitungen würdigen den skurrilen Sammler, die Familie trägt die Sache mit Würde - und Seufzern - angesichts der geringen Grundstückspreise. Er selbst bezeichnet sich immerhin schon als ?a little bit crazy"

Mein Exfreund hat es auf schwerere Hardware abgesehen: Computer, Nähmaschinen, Fahrräder, Schulbücher - immerhin, es dient ja der Dritten Welt. Die Zeitungsartikel über die Projekte lesen viele, die Zusammenbrüche bekommt nur das nähere Umfeld mit, ebensowenig wie die Tatsache, dass es den Mann überforderte, der Freundin eine Dose Klarlack zu besorgen, während das Stapeln von 100 Rädern am tag nur eine leichte Anstrengung war.

Ein arbeitsloser Journalistenfreund klappert Tag für Tag per Fahrrad die Altpapiertonnen ab, wertet Zeitungen und Zeitschriften aus, archiviert die Artikel. Ich danke ihm, denn er hat zu jedem Thema etwas parat. An eine geregelte Arbeit ist natürlich nicht zu denken. Manchmal fühlt er sich paralysiert. Reale Lebensgefahr bestand beim Zusamnenbruch der Regale. ?Der Tod eines Biliophilen", wie ihn Ernst Jünger mit Selbstironie skizziert, geschieht durch derartige Unglücksfälle.

Ein ganz und gar schlimmer Fall ist natürlich die Messie-Miss-Cucaracha-Queeen, meine ehemalige Nachbarin. Die Grenze zur Selbstkompostierung ist fließend. Ein 10 minütiger Aufenthalt in ihrer ?Mülltonnne" (offenbar eine zu große Identifikation mit dem bekannten in der Mülltonne lebenden Protagonisten aus der Sesamstraße) bescherte drei Tage Arbeitsunfähigkeit wegen Übelkeit. Unfähig, sich einen Schritt aus dem Bett zu begeben, geschweige denn ein anderes Nahrungsmittel als Schokolade oder eben Lesestoff zu sich zu nehmen, thronte die ?Prinzessin auf dem Misthaufen" auf einem Klamottenstapel, unter dem eine geblümte Matratze und ein rotes Federbett begraben lag.

Dank der Messie-Bücher kann man es endlich wieder verantworten, auch solchen Leuten wie meinem Vater und mir noch Geschenke zu machen. Immerhin könnten genau diese Werke bei den Betroffenen der Bildungsgut-Sammelsucht die Wende herbeiführen und auf die Dauer zur Entleerung der Wohnung beitragen! Es freut sich die Familie, denn sie hat ein Geschenk, es freuen sich Verlag und Autorin, denn sie haben wieder etwas verdient.

?Und - bei welchen Kapitel bist du schon? Und was hat sich geändert?". ?Ähäm, ich nehm nicht mehr soviel Prospekte mit" - aber das tat ich auch vor der Lektüre schon nicht mehr. Und der Vererber dieser Eigenschaft füllt jetzt Altpapiertonnen - um dann Aktentaschen voll interessanter Lektüre vom Container zurückzubringen.

Ein Umzug ist bei all den Betroffenen nur durch Zuhilfenahme von Kraftsportlern, Gewichthebern , ehemaligen ?Messies" und Manikern in einer entsprechenden Phase zu bewältigen. Doch sie finden sich immer wieder - die beiden erstgenannten gegen Bezahluung - letztere sogar auf freiwilliger Basis.

Aber wir alle sind kerngesund, nur eben etwas sammelwütig und immer noch nicht kuriert, da die Bücher in irgendeinem der 22 Stapel untergegangen sind,. Und wäre da nicht die Spenderin dieser Werke, die immer wieder zur Beherzigung der Ratschläge aus der Lektüre mahnen würde, würden wir uns allerhöchstens einer Selbsthilfegruppe für ?Messies" zugesellen, im Rahmen derer man sich gegenseitig das schenkt, was man aussortiert hat.

Die Konfrontation bleibt dennoch nicht aus. Doch die wissensdurstigen ?Messies" haben auch stets genug Ausreden parat - aber keine Ausreden, warum sie zwar angefangen haben, das Chaos zu reduzieren, aber es denoch nicht gelingt sondern Ausreden, warum sie nicht wirklich das Problem angehen müssen. Nur einige wenige Äußerungen - wenn all die Ausreden selber nicht mehr glaubt - die sind echt:

?Ich fand das einfach sooo süß und konnte nicht widerstehen".
?Ich brauche das alles nicht, bloß ich wollte es haben".
?Ich habe mich deprimiert gefühlt und verspürte ein Glücksgefühl als ich die Sachen kaufte".
?Ich hatte Mitgefühl mit den Sperrmüllobjekten und wollte sie vor der Vernichtung bewahren".
?Ich KANN nicht aufräumen, weil sich die Gedanken im Kopf überstürzen und ich nicht weiß, wo ich anfangen soll".
?Ich kann n nicht Wesentliches von Umwesentlichem unterscheiden, weil meine Psyche eine Chaospsyche ist".

Sammeln, Kaufen, retten ist ganz klar antidepressiv. Man gerät in einen Rausch, setzt ihn gegen die Niedergeschlagenheit. Und die natürlich kommt zurück. spätestens beim Blick auf den Kontostand, beim nächsten Umzug oder nur ganz einfach der immer wiederkehrenden Erschöpfung. Der ?Monte Lumpi" wird zum Mount Everest - unüberwindlich trotz Sarah Felton. Wer diesen Berg erklimmen will, braucht besseres Handwerkszeug als ein Eastpack-Rucksäckchen und Birkenstocksandalen oder auch schneidige Sneakers.

Von Buch zu Buch wuchert die Selbstbelügung wilder. Doch ganz von unten her aus dem Moder - wie Moos und Pilze - wächst immer wieder die Frage nach dem WARUM heran. Die Einsicht ist da, aber sie ist unaussprechlich: ?Messies" sind keine ?Messsies". ?Messies" sind verkappte Maniacs! Und: Oh wie schön wär?s wenn es ?Messies" wirklich gäbe und man könnte einer von ihnen sein, das Problemchen mit dem Büchlein in den Griff kriegen anstatt mit einer schmerzlichen Psychotherapie!



Menschen mit PHantasie langweilen sich nie.
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Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

CreativeChaos 2505 12. 07. 2003 10:50

Re: Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

Ananda 479 12. 07. 2003 13:37

Re: Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

Grit 294 12. 07. 2003 15:02

Re: Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

CreativeChaos 271 12. 07. 2003 15:59

Re: Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

Heike 383 12. 07. 2003 20:29

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Sue 274 12. 07. 2003 20:44

Re: Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

Friday 309 13. 07. 2003 13:27

Re: Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

CreativeChaos 389 12. 07. 2003 22:56

Wasser in den Wein!

Sisyphus 328 13. 07. 2003 13:22

Re: Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

CreativeChaos 323 13. 07. 2003 14:05

Rückfrage

Sisyphus 253 14. 07. 2003 08:52

Re: Rückfrage

CreativeChaos 383 14. 07. 2003 13:37

Re: Der Messie-Mythos - eine schöne Selbstverdummung

Tinehamburg 321 18. 07. 2003 00:00



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