das ewige lied (oder leid) der medikation

09. 03. 2003 22:17
hallo aus bonn,

in den letzten zwei jahren habe ich eine ziemliche odyssee hinter mich gebracht. ein blitzentschluß buisiness-class für fast ein ganzes monatsgehalt einer anwaltsgehilfin nach wien zu fliegen (im 25,00-marks-jogging-anzug), dort den ganzen tag herumzulaufen und mich letztendlich an die flughafenpolizei zu wenden, die dann dafür sorgte, daß ich in die psychiatrie kam, war nur eine sache. der gipfel lag wirklich darin, daß meine mutter, die geschäftsfrau ist und alles andere als die mutter einer verrückten sein will, eine gesetzliche betreuung einleitete. dies hatte zur folge, daß eine anwältin die betreuung übertragen bekam, deren kanzlei sich wirtschaftlich überhaupt nicht trug und die jetzt meinte, im betreuungsbereich sich eine goldene nase verdienen zu können, ohne überhaupt eine ahnung von psychischen erkrankungen zu haben.
als gelernte anwaltsgehilfin, die ich ein gewisses vertrauen in die deutsche gesetzgebung hatte, hat es mich wirklich erschrocken, daß bei meinem ersten besuch beim vormundschaftsrichter für ihn offensichtlich schon klar war, daß ich überhaupt nicht ernst genommen werden könne, die als betreuerin beigeordnete rechtsanwältin mir jeglichen einblick in meine persönlichen angelegenheiten verwährte (sie leitete sämtliche post zu sich um und unterrichtete mich noch nicht einmal von privaten grüßen, verbot der bank mir kopien meiner kontoauszüge auszuhändigen etc.) und ließ mich ohne daß irgendein grund dafür bestand, ewigkeiten auf einer geschlossenen station unter würdeverletzenden bedingungen auf einer geschlossenen station der rheinischen kliniken bonn festhalten. wer manien kennt, weiß daß man in einer solchen sicherlich kein dickes buch von vorn bis hinten lesen kann und dessen inhalt versteht, was ich auf der geschlossenen station getan habe.

es hat mich wirklich lange zeit und mühen gekostet, mich aus dieser situation zu befreien und nur meiner hartnäckigen brieflut und regelmäßigen vorsprachen beim vormundschaftsrichter habe ich es zu verdanken, daß ich die betreuung zwischenzeitlich los geworden bin.

der langen, viel zu hoch dosierten medikation zufolge, fühlte ich mich seit vergangenem sommer nicht mehr imstande, dem täglich 12-stündigen stress einer anwaltsgehilfin, gerecht zu werden. seither bin ich freiberuflich in einem anderen (meinetwegen anrüchigen) bereich tätig, verdiene bedeutend mehr als zuvor bei wesentlich geringerem zeitaufwand.

die freiberufliche tätigkeit gibt mir auch den raum, mich einfach mitten am tag einmal ins bett zu legen und entspannung zu finden. ich empfinde es als sehr angenehm, nicht mehr nach der stechuhr leben zu müssen und auch dann wenn meine belastungsgrenze schon überschritten ist, noch präsent sein zu müssen.

ein problem, mit dem ich sehr zu kämpfen habe, ist daß durch langjährige neuroleptika-depot-spritzen mein gewicht mittlerweile auf den absoluten höhepunkt von über 140 kg gestiegen ist (vor der langen psychiatrie-karierre bis dezember 1984 wog ich 63 kg). es ist nun halt mal so, daß diese medikamente den stoffwechsel verlangsamen, appetit anregen und meines erachtens auch ein suchtverhalten (gesteigerter nikotin-konsum) fördern.

jeder allgemeinmediziner würde die hände über'm kopf zusammenschlagen!!! aber für die psychiater ist der körperliche zustand offensichtlich völlig uninteressant. der psychiaterin, die mich über 10 jahre ambulant behandelt hat, habe ich berichtet, mein bruder habe gesagt: "wenn du so weiter machst, brauchst du dir in 5 jahren überhaupt keine gedanken mehr machen, dann tritt die biologische lösung ein." woraufhin sie erwiderte: "das ist mir ganz egal, was ihr bruder sagt. ich reduziere die medikamente nicht." "gut", sagte ich, "dann möchte ich aber noch eine andere ärztliche meinung hören." ich vereinbarte mit der psychiatrischen ambulanz der uni-kliniken bonn einen termin und mir wurde gesagt, daß ich einen grünen berechtigungsschein vom arzt mitbringen müsse. hierum bat ich die ärztin telefonisch. daraufhin sagte sie: "dazu besteht keine medizinische notwendigkeit, das bezahlen sie bitte selbst."

das war anfang november. ich rief meine krankenkasse an und fragte, ob ich mir das bieten lassen müsse. die mitarbeiterin war sehr verständnisvoll und meinte, daß wir in deutschland freie arztwahl hätten und ich doch einfach zu einem anderen niedergelassenen arzt gehen solle, zusehen solle, wie ich mit ihm zurecht käme und notfalls könne ich dann immer noch zur uni-klinik gehen.

seit november nun wurde schrittchenweise die dosis auf eine minimaldosis um die hälfte reduziert.

da sich an meiner absoluten trägheit, meinem gewicht und allgemeinen lebensgefühl seither rein gar nichts geändert hat, habe ich wirklich eindringlich mit dem neuen psychiater gesprochen, der zunächst in die pharmazeutische trickkiste greifen wollte und wieder allerlei ausprobieren wollte. dann hab ich aber klar gesagt, daß ich nichts von alledem wünsche und es wirklich noch einmal ohne medikamente versuchen möchte. "o.k.", sagte er, "wir sehen uns in vier wochen wieder."

jetzt habe ich mir wirklich bis in den hintersten winkel meines kopfes eingeprägt, daß ich keinesfalls wieder die touren zu meiner mutter anfangen werde, weil dadurch nur alles schlimmer wird. wichtig ist einfach, für den notfall eine freundin oder einen freund zu finden, der sich bereit erklären würde, einmal für zwei bis drei wochen bei mir zu übernachten, so daß ich, wenn die manie über mich kommt, nicht vor der einsamkeit meiner wohnung flüchte (die ich nur in krankheitsphasen so erlebe) und ich nächtelang auf touren bin. ein wenig halt in dieser zeit, ein gemeinsames abendessen, ein wenig gesellschaft und notfalls vielleicht der ambulante psychiatrische pflegedienst könnten mir - da bin ich sicher - in einer krisensituation eine sanfte fußfessel anlegen, die mich wieder auf den boden zurückbringt (...und soll dann ruhig wieder vorübergehend die pharmazeutische rosarote brille aufgesetzt werden müssen, kann ich damit auch leben).

was meint ihr?

eure

ute
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das ewige lied (oder leid) der medikation

Molly.Madeleine 612 09. 03. 2003 22:17

Re: das ewige lied (oder leid) der medikation

Sabine 245 10. 03. 2003 16:02

Prophylaxe

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Re: das ewige lied (oder leid) der medikation

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Re: das ewige lied (oder leid) der medikation

Heike 309 24. 03. 2003 12:05

Re: das ewige lied (oder leid) der medikation

Patrick 215 24. 03. 2003 12:49

Re: das ewige lied (oder leid) der medikation

Heike 370 24. 03. 2003 13:45

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Patrick 243 24. 03. 2003 14:16

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ulli 220 24. 03. 2003 14:48

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lilli 220 24. 03. 2003 23:39

Re: das ewige lied (oder leid) der medikation

Molly.Madeleine 239 25. 03. 2003 02:38

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lilli 237 25. 03. 2003 23:41

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Friday 258 27. 03. 2003 10:10

Re: das ewige lied (oder leid) der medikation

lilli 324 31. 03. 2003 03:01



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