Hurra, ich bin stabil

22. 01. 2003 19:08
Hurra, ich bin stabil

Ich bin nun seit 6 Monaten stabil und das ist für mich schon ein bemerkenswertes Ereignis. Ich möchte allen denen, die sich momentan in einer Manie oder gar in einer Depression stecken etwas Mut machen.

Was ist geschehen:

Mit 29 Jahren hatte ich wohl meine erste Manie, es folgten viele Zyklen von Depressionen und Manien. Nach meiner gescheiterten Selbstständigkeit und die Tatsache das meine Ehe zum scheitern verurteilt war, wollte ich mir im März 2001 das Leben nehmen. Nach dem Scheitern von meinem Selbstmordversuch bin ich zum erstenmal in der Psychiatrie gelandet. Dort war ich 7 Monate lang und hatte nun die amtlich Diagnose, manisch depressiv zu sein. Ein Wiedereingliederungsprogramm (Hamburger Modell) scheiterte und ich landete zum zweitenmal in der Klapse und wieder vergingen 6 Monate.
Nun bin ich Arbeitslos und habe einen Schwerbehindertenausweis mit 50% GDB und lebe von meiner Familie getrennt.
In diesem Jahr werde ich 39 Jahre alt und ?feiere? wohl Jubiläum, 10 Jahre MD zu sein.

Was ist mit mir passiert:

Ich bin seit März 2001 für 1 ½ Jahre krankgeschrieben gewesen und in der Psychiatrie habe ich einiges über mich gelernt. Traf auf Leidensgenossen, ich spiegelte mich in den verschiedenen Lebensgeschichten wieder, ich fing an mich zu beobachten, dokumentierte meine Gefühlsschwankungen und flüchtete aus meiner selbstgestrickten Isolation des Funktionierens.
Ich habe gelernt mit der Krankheit zu leben und habe sehr langsam mein Verhaltensmuster geändert. Ich nehme regelmäßig meine Medikamente und sorge für ausreichenden schlaf.

Was war ich:

Ich war ein fleißiger, dynamischer und kreativer Mensch der immer bemüht war für alle und jeden da zu sein. War Abhängig von dem Zuspruch dritter Personen, nur so konnte ich mich definieren. Buhlte immer nach Liebe und Anerkennung, weil ich mich selber hasste. Ich war Beziehungsunfähig und kein treuer Mensch. Ich liebte die Manie, diesen Zustand der Angstlosigkeit, dieser Erfolgssucht, der unbändige Trieb ob nun beruflich oder privat. War immer bemüht, nach außen einen erfolgreichen Menschen darzustellen, einer, der es geschafft hat. Ich war nie Einsam, stand immer im Mittelpunkt und diesen Status versuchte ich mit aller Macht zu halten. Ich lebte auf großen Fuß, arbeitete hart und war erfolgreich.
Aber eigentlich war mein Selbstbewusstsein nie sehr stark ausgeprägt, ich hatte immer Selbstzweifel und konnte nie nein sagen, habe mich hochgedient und mich dabei selbst verloren.

Was hat sich in mir geändert:

In der Psychiatrie habe ich erfahren, das ich auch einen Wert darstelle, ohne einen doppelten Rittberger hinzulegen. Ich werde geliebt und gemocht auch wenn ich mal nicht funktioniere. Mein Wertegefüge hat sich verändert und die Einstellung zur Leistung. Schuldgefühle wurden abgebaut und ich schämte mich nicht mehr für meine Gedanken und Neigungen. Ich lernte mit meinen Fehlern zu leben, mich anzunehmen, so wie ich bin. In vielen Gruppen und Einzelgesprächen konnte ich feststellen wer ich eigentlich bin. Ich hörte auf mich zu projizieren, ein Bild zu malen dem ich nicht entspreche. Ich lernte meine ekligen Seiten kennen, sah was ich bewirken konnte und welche kalte Gestalt in mir wohnte. Ein ganz neues Lebensgefühl ist in mir gewachsen. Ich habe alles verloren aber ich habe mich gewonnen.

Auf dem Weg zu einer gesunden Einstellung:

Ich musste lernen nicht mehr zu oft zurück zu blicken. Ich habe einige Spiralen und Gefühle die mich nach unten reißen. Den Unterschied zu begreifen, wo die löbliche Selbstkritik anfängt und wo es nur noch reine Selbstzerfleischung ist, um die eigene verhasste Person zu vernichten. Die Vergangenheit zu glätten, sie nur noch in einem matten Spiegel zu sehen, durch den Spiegel zu treten um sich eine neue Zukunft und Existenz aufzubauen. Ich habe gelernt mit meinen Ängsten umzugehen, ich fliehe durch meine Manien nicht mehr vor der Angst sondern ich habe gelernt sie in depressiven Stimmungen zu ertragen. Die Angst zu durchleben und zu ertragen war einer der Voraussetzungen damit ich gesunde. Die Angst macht mich manisch und ich gehe dadurch immer wieder in die gleichen Verhaltensmuster. Es war ein langer Weg um zu erfahren, wieso ich so bin wie ich bin und mich und meine Fehler anzunehmen. Ich habe lange gebraucht um festzustellen, dass hinter einem löblichen Gedanken ein falsches Verhalten steht. Ich stellte fest welche Gefühle welche Gedanken in mir hervorrufen und durch Dritte wurde mir klarer, welchen Menschen ich eigentlich darstelle. Das leben besteht nicht nur aus Sekt, sondern das einfache Wasser spendet genug Lebensenergie. In der Ruhe liegt die Kraft, es muss kein manischer Akt sein um sich wahr zu nehmen. Heute kann ich mich wieder im Spiegel betrachten und mir ein lächeln schenken. Ich verachte mich nicht mehr, ja ich liebe mich sogar. Ich durfte erfahren, Menschen zu helfen ohne Erwartungen zu knüpfen und dafür auch geachtet, respektiert und gemocht zu werden.

Was war mein größtes Problem:

Mich in der Phase Null zu ertragen, im Zustand ?normal? also weder manisch noch depressiv zu sein. Der normale Alltag, der normale Wahnsinn, dieser fahler langweiliger Alltagsbrei hat mir die meisten Schwierigkeiten gemacht. In dieser Phase fühlte ich mich schlecht, hatte keine große Meinung von mir, fühlte mich so durchschnittlich und mit Fehlern durchfressen. Nichts hatte einen Inhalt, gähnende Leere. Mir fehlte die magische Kraft der Manie, meine Kreativität, mein Antrieb unvorstellbares zu schaffen. Meistens begab ich mich in die Vergangenheit und summierte meine begangenen Missetaten und verurteilte mich. Ich war mein härtester Kritiker der kein gutes Urteil zu seiner eigenen Person abgab. Ich war nichts mehr Wert, ich konnte nichts mehr und dann sah ich mir immer wieder die selben Taten in der Vergangenheit an. Ich vergab die Schuld nur mir alleine für
die gescheiterten Beziehungen, für Misserfolge im Beruf und für mein Verhalten. Das war die beste Methode um in die Depression zu verfallen und die Angst vor der Angst stieg ins unermessliche.

Wie schaffe ich es stabil zu bleiben:

Immer noch habe ich Träume und Vorstellungen die mich jederzeit in die Manie treiben können und immer noch beherrsche ich es mich in die Melankolie zu begeben aber eines hat sich geändert, ich erkenne nun früher mein Verhalten, was mich runter zieht oder hoch treibt. Wichtige Voraussetzung war es mein Verhalten zu ändern. Ich schlafe nun regelmäßig 7 Stunden, entspanne mich öfters, nehme meine Medikamente ein. Ich habe Routine gewonnen im Umgang mit meinen Gedanken und Gefühlen. Ich erlege mich nicht mehr einem Gedanken oder lasse mich nicht mehr von einem Gefühl überlisten. Die ganze Wertigkeiten wurden verändert. Nachts durcharbeiten ist kein besonderer Fleiß mehr, nein es hat mehr Gefahren als Vorteile. Eine neu Bekanntschaft ist nicht mehr die Liebe des Lebens, Arbeit ist nur noch Mittel zum Zweck der Existenzsicherung und Freundschaften sind mir wichtiger geworden, ein halt, eben Sicherheit die dir im beruflichen Alltag keiner geben kann. Ich leiste mir heute den Luxus, ein Gefühl auch mal auszusitzen, abzuwarten was kommen mag. Ich gewinne von Gefühlsattacke zu Gefühlsattacke immer mehr Sicherheit diesen Mechanismus zu begreifen und für mich zu nutzen. Mit der richtigen Übung kostet es auch nicht mehr soviel Kraft, immer wieder gegensteuern zu müssen.

Was habe ich vom Leben zu erwarten:

Ich werde ein Leben lang an dieser Krankheit leiden, darauf habe ich mich eingestellt das ist eben mein Schicksal. Ich kämpfe nun nicht mehr gegen mich an und nehme es einfach hin. Ich bin stolz auf das was ich bisher erreicht habe und die Tatsache das ich nun gesellschaftlich abgerutscht bin und alles verloren habe,kann mich nicht mehr runterziehen, so habe ich meinen Lebenswillen wieder gefunden. Ich kann mich des Lebens wieder erfreuen. Kaufen kann ich mir nun nicht mehr soviel, aber waren die Werte aus der Vergangenheit denn auch wirklich das A und O. Heute bin ich froh, wenn nur einer mir zuhört und versucht mich zu verstehen und dieses Jahr wird mein Jahr. Eines Tages wird schon einer erkennen was in mir steckt, was ich vermag zu leisten mit dieser neuen Einstellung zum Leben ergeht es mir einfach besser. Es gibt Tage, da hänge ich einfach ab und verharre wieder in diesem trügerischen Zustand und fange wieder an, alte Gedankenmuster zu stricken, was sollst, die Zuversicht ist stärker es zu schaffen. Was soll es, ich hab kein tolles Auto mehr, ich muss alle nur möglichen Hilfeleistungen in Anspruch nehmen um überhaupt über die Runden zu kommen, ich kann nicht mehr in Urlaub fahren, da ich sonst kein Geld für meine Kinder mehr habe. Meine Kinder sind mir wichtiger geworden, als alles an Status, was ich je hatte. Kein Mensch auf dieser Welt kann mir das nehmen, was ich nicht früher selbst aufgegeben habe, die Achtung vor sich selber. Ich achte und respektiere mich und meine Mitmenschen.

Ich habe mit meiner Vergangenheit abgeschlossen:

Nicht alles was ich in meinem Leben so angestellt habe war in Ordnung, ich habe viele Fehler gemacht, aber was bringt es mir mich dafür heute zu ohrfeigen. Zudem Zeitpunkt, wo ich den Fehler begangen habe, habe ich es nicht besser vermocht, aus welchen Grund auch immer. Ich habe gelernt mir zu verzeihen und das versetzt mich in die Lage auch selber anderen verzeihen zu können. Ich bin nun nicht mehr der Perfektionist der andere Menschen mit seiner ?Unfehlbarkeit? unter Druck setzt. In den letzten 1 ½ Jahren habe ich mich verändert, aber es war ein langsamer Prozess mit vielen Rückschlägen. Aus dem verkohlten Baumstamm ist doch wieder eine neue Pflanze erwachsen und somit nutze ich mein Scheitern um zukünftig mehr Strapazen zu ertragen, ich werde robuster.

Im Kern bin ich noch der selbe:

Es gibt noch viele vorbehalte und Vorurteile gegenüber der Psychiatrie, viele haben einfach nur Angst, das was mit Ihnen geschieht, was sie selber nicht mehr unter Kontrolle haben. Ich möchte diese Zeit nicht mehr missen, ich habe dort die Gelegenheit gehabt, mich auf eine neue Art kennen zu lernen. Im Kern bin ich der selbe, doch die Hülle, der Rahmen, die Bedingungen haben sich geändert. Ich bin weiterhin ein gefühlsbetonter Mensch, aber alles hat seine Grenze. Ich bin ein starker Charakter und ich mag mich nun gut leiden. Meine Anlagen sind positiv und die Therapien haben veranlasst, zu sich selber zu finden und herauszufinden, was man vom Leben noch zu erwarten hat. Ich genieße nun den Augenblick, die Gegenwart und verharre nicht in der Vergangenheit oder lasse mich nicht mehr von Zukunftsängsten lahm legen.

Ich liebe das Leben und eines Tages finde ich Sie, die liebe meines Lebens, es braucht nur Geduld.
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Hurra, ich bin stabil

Michael 1285 22. 01. 2003 19:08

Re: Hurra, ich bin stabil

Schnecke 354 22. 01. 2003 20:28

Re: Hurra, ich bin stabil

Sophia 295 23. 01. 2003 03:54

Re: Hurra, ich bin stabil

Uwe 307 23. 01. 2003 17:12

Re: Hurra, ich bin stabil

Friday 364 23. 01. 2003 20:01

Re: Hurra, ich bin stabil

Michael 315 28. 01. 2003 12:46

Re: Hurra, ich bin stabil

W.G. 280 29. 01. 2003 17:26

Re: Hurra, ich bin stabil

Birgit S. 295 30. 01. 2003 22:47

Re: Hurra, ich bin stabil

kobold 319 07. 04. 2003 14:06



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