Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

09. 10. 2020 16:23
0 Uhr 17. Im Dunkeln sieht man nur das Flurlicht und manchmal huscht ein Schatten an der Zimmertür vorbei. Entfernt hört man ein leises, kaum vernehmbares Lachen. Meine Fitnessuhr leuchtet schwach. Ich habe das Bett genau am Eingang.Neben mir steht der Mülleimer des Zimmers. Ich schiebe ihn immer weiter von mir weg. Trotz einiger kleiner „Helferlein“, fällt mir das Schlafen unglaublich schwer. Ich spüre wie dieser Umstand mich immer mehr destabilisiert. Doch, so rede ich es mir ein, wird es irgendwann klappen. Je länger ich im dunklen Zimmer liege, um so stärker scheinen die „Krankheits-Dämonen“ in meinem Kopf wach zu werden.

Gerade denke ich wieder an das Ereignis, welches mich auf diese Station gebracht hat. Nein, ich verdränge es, ich lasse es los. Warum sollte ich meine Dämonen festhalten?
Ich muss jetzt kurz aufstehen. Sehr viele Patienten scheinen innerlich unruhig zu sein oder auch schlecht zu schlafen. Man hört so manchen Seufzer. P. im Bett neben wechselt ungefähr jede Minute die Liegeseite. Er ist so ein lieber Mensch.
Gestern hat man mir verboten auf der Station mit meiner Familie zu skypen.Das macht mich unendlich traurig, da ich nur jeden Tag 30 Minuten, nach dem Abendessen, geskypt habe. Meine Familie versteht es auch nicht und ist auch sehr traurig.Gerade in Corona-Zeiten sollte dies doch wohl auch eine Erleichterung sein.
Fortschritte, im eigentlichen Sinn, mache ich nicht, aber dafür kann niemand etwas.

Heute hatte ich wieder einen Termin mit dem Oberarzt, der mich so herablassend behandelt hat.
Ich habe mir nichts anmerken lassen. Ich habe den Eindruck, dass er mir überhaupt nicht aktiv zuhört, sondern sein Hierarchieverständnis und die „Lösung“ für mich eh schon im Kopf hat. Mir scheint, das das Gespräch im Kern nicht viel mehr als eine Farce ist. Schade, denn ich glaube, dass er den Patienten eigentlich viel „geben“ könnte.
In meiner nächtlichen Runde treffe ich Fatih. Fatih und ein Teil seiner Family säubern am späten Abend oder auch in der Nacht die Stationen. Ich schaue auf die „Bahnhofsuhr“: 1 Uhr 55.
Es ist etwas Wunderbares mit einem Menschen zu reden, ihm zuzuhören, der seine Familie so liebt. Ich atme tief durch. Das tut so gut! Er hört auch mir AKTIV (!) zu. Wir verabreden uns für die kommende Nacht. Ich freue mich jetzt schon!
Ich würde den Aufenthalt hier gerne beenden, warte aber noch etwas ab.Schließlich sind dies hier Profis und können sie mir vielleicht doch noch helfen! Das wäre toll! Diese Hoffnung habe ich noch!!!
Zum „Medikamentenroulette“ muss ich nicht zwingend hier sein. Da habe ich schon viel Erfahrung, jahrelange Erfahrung.
Ich lege mich jetzt noch einmal hin, da kommt Schwester H. und sagt zu mir:“Hallo Herr F....wieder unterwegs? Sie denken zu viel.“ Es ist jetzt 3.32 Uhr. Die Nacht verschluckt mich doch noch.
Es dämmert, unser Zimmer wird ganz „vorsichtig“ , langsam und sanft erhellt. Ich stehe auf. Unser „Chefstationsornithologie“ klärt mich auf, dass die Amsel der erste Vogel ist,der morgens anfängt zu pfeifen, vor dem Sonnenaufgang. Ich liebe Tiere so sehr.
Auf Station liegen Menschen, die von (scheinbar) Lithium begeistert sind und andere Menschen deren manche Organe gerade schwer angegriffen wurden.
Bei mir wirkt einfach NICHTS! Da macht sich schon etwas Verzweiflung breit. Ich werde müde, sehr müde........ Ich brauche Kraft, aber woher soll ich Kraft bekommen? Woher bekommt denn ihr Kraft?
In meinem Kopf ist immer ein Film, der auf youtube steht :“Auf einem anderem Stern“. Für mich ist dies der beste Filme über die bipolare Störung, den ich kenne. Ich hoffe, dass es dort nochmals einen zweiten Teil gibt (Regisseurin und Mutter eines bipolar erkrankten Sohnes:Christina Profili).
Ich möchte mich bei allen entschuldigen, die mein „Geschreibsel“ nervt, oder die es negativ sehen. Irgendwo kann ich dies irgendwo auch verstehen ( falls dies so ist).
Ich schaue im Moment auf die „Frühstückswagen“. T. schaut, wie immer, nach der Elektrik der Essenswagen. Er hat panische Angst, dass irgendwo Strom fließt, wo er nicht sollte. Ich beruhige ihn, oder zumindest versuche ich es. Er steckt auch immer die Steckdosenleisten aus,obwohl dies eher kontraproduktiv ist.
Entschuldigung,wenn ich euch „zugelabert“ habe.
DANKE!

Frankkk


Viele meiner Gefühle und Gedanken über die Nacht stammen von Reinhard Mey (Ich bringe Dich durch die Nacht). Abruf :www.Reinhard-Mey.de am 6.Oktober 2020 um 5 Uhr 47 Uhr; Alle Lieder – Toutes les chansons - öffentlich abrufbar, nicht kommerziell


[edit: Bitte keine Vollzitate]


Herzlichst


Frankkk

Gebt niemals die Menschlichkeit preis.
„Bitte seid Menschen“ (Holocaust-Überlebende)



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 09.10.20 17:45.
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Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

Frankkk 1079 09. 10. 2020 16:23

Re: Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

fünkchen 253 09. 10. 2020 17:28

Re: Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

Milla 227 09. 10. 2020 18:13

Re: Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

Roquentin 306 10. 10. 2020 02:50

Re: Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

Gedankenwelt75 291 11. 10. 2020 18:12

Re: Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

kinswoman 165 11. 10. 2020 21:17

Re: Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

Frankkk 181 12. 10. 2020 03:45

Re: Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

Frankkk 172 12. 10. 2020 03:49

Re: Es ist wieder spät geworden - Betrachtungen in (aus) einer psychiatrischen Station

Miramis 449 12. 10. 2020 06:13



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