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Sue.
01. 11. 2002 21:33

 


Wie können Rezidive bei bipolaren Störungen verhindert werden?

Ziel ist, Anzahl und Schweregrad der Phasen sowie das Suizidrisiko zu vermindern

Jörn Conell und Werner Felber

Patienten mit bipolaren Psychosen, das heißt mit manischen und depressiven Krankheitsphasen, wird heute eine medikamentöse Dauerbehandlung empfohlen, um Rezidiven vorzubeugen. Als Alternative zur Rezidivprophylaxe mit Lithium werden mittlerweile auch mehrere Antiepileptika in Mono- oder als Kombinationstherapie eingesetzt. Gute Erfahrungen hat man außerem mit einer L-Thyroxin-Hochdosisbehandlung gemacht.

In den letzten Jahren hat sich eine tiefgreifende Umwälzung in der Behandlung von Patienten mit bipolaren Störungen - Synonyme sind bipolare Depressionen, bipolare Psychosen, manisch-depressive Erkrankungen vom bipolaren Typ - angebahnt. Im wesentlichen besteht diese Veränderung darin, daß herkömmliche Neuroleptika in der Behandlung bei Manien vermieden werden und daß eine konsequente Rezidivprophylaxe bei Patienten mit bipolaren Störungen vorgenommen wird. Außerdem nehmen Vielfalt und Differenzierung der Störungen zu, ebenso die zur Verfügung stehenden Medikamente zur Rezidivprophylaxe.

Patienten mit bipolaren Krankheitsverläufen benötigen nach heutigem Wissensstand eine jahrzehntelange rezidivprophylaktische Behandlung. Denn bipolare Psychosen gehen mit massiven gesundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen aufgrund des spontanen Krankheitsverlaufs einher: Die einzelnen Krankheitsepisoden können mit der Dauer der Erkrankung zunehmen, was mit entsprechenden Krankenhausaufenthalten und Akutbehandlungen verbunden ist. Auch haben diese Patienten im Vergleich zu Gesunden eine verkürzte Lebenserwartung: Es kommt bei ihnen drei- bis fünfmal häufiger zum Suizid als in der Bevölkerung.

Wesentliche Ziele der Rezidivprophylaxe sind daher

* die Zahl und den Schweregrad der Rezidive zu senken und damit die Lebensqualität der Patienten wieder zu verbessern sowie
* das Suizidrisiko und damit auch die Mortalität zu vermindern.



Lithium ist nach wie vor das Mittel der ersten Wahl

Auch mehr als 40 Jahre nach Einführung von Lithium gilt dieses Medikament weiterhin als Mittel der ersten Wahl für die Rezidivprophylaxe von Patienten mit bipolaren Störungen. Der Grund hierfür liegt darin, daß es die Zahl der Krankheitsphasen vermindert, die einzelnen Phasen verkürzt und die Symptome abschwächt. Es gibt deutliche Hinweise für antisuizidale und damit mortalitätssenkende Eigenschaften, die bisher für kein anderes Medikament zur Rezidivprophylaxe bipolarer Störungen erwiesen werden konnten.

Die rezidivprophylaktische Wirksamkeit von Lithium liegt in den ersten drei Jahren bei 55 bis 70 Prozent, abhängig davon, ob Rückfallfreiheit oder eine Besserung des Verlaufes als Maßstab gesetzt wird. Für Patienten mit langen Krankheitsverläufen von 20 Jahren und mehr besteht zur Zeit Unklarheit darüber, ob die Lithiumwirkung nachläßt - besonders dann, wenn zwischenzeitlich die Behandlung unterbrochen wurde.

Welche Alternativen zur Lithium-Behandlung gibt es?

Die Beschäftigung mit Sonderformen affektiver Störungen und mit den Non-Respondern einer Lithium-Therapie hat zu einer intensiven Suche nach medikamentösen Alternativen geführt. Zum Beispiel werden heute mehrere Antiepileptika allein oder in verschiedenen Kombinationen zur Rezidivprophylaxe angewandt.

Langjährige Erfahrungen mit Carbamazepin belegen seine Wirksamkeit in der Prophylaxe. Es hat sich bei Patienten bewährt, die auf eine Lithium-Behandlung nicht ansprechen oder dieses nicht vertragen. Außerdem wird es bei schizoaffektiven Störungen eingesetzt. Unter Carbamazepin sind - bei viel kürzerer Beobachtungszeit - ähnliche Responder-Raten zu beobachten wie bei Lithium. Eine suizidprotektive Wirkung wurde allerdings bisher nicht beobachtet.

Valproinsäure ist vor allem bei Patienten mit schnell wechselnden manischen und depressiven Zuständen ("rapid cycling") und dysphorischen Zuständen wirksam.

Gabapentin und Lamotrigin sind im Begriff, sich zu Alternativen für Patienten zu entwickeln, die von einer Lithium-Therapie nicht profitieren. Für Lamotrigin wird auch eine antidepressive Wirkung beschrieben, die Datenlage für eine endgültige Beurteilung ist derzeit aber noch nicht ausreichend.

Offensichtlich eine hohe Wirksamkeit in der Prophylaxe hat die sogenannte augmentative supraphysiologische L-Thyroxin-Behandlung. Die Patienten werden hier mit sehr hohen Dosen von täglich 400 bis 600 µg L-Thyroxin behandelt. Erfahrungen mit dieser Therapieform über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren zeigen, daß bei etwa 60 Prozent der Patienten, bei denen eine Lithium-Prophylaxe wirkungslos war, diese L-Thyroxin-Hochdosisbehandlung Erfolg hatte. Leider beginnt sie sich erst zögerlich durchzusetzen.

Zugehörigkeit zu Selbsthilfegruppen fördert die Compliance

Die Schwierigkeiten, die mit der medikamentösen Rezidivprophylaxe verbunden sind, betreffen die Compliance der Patienten und die Verträglichkeit der Substanzen.

Die früher vieldiskutierten Nebenwirkungen von Lithium (Muskelschwäche, Tremor, gastrointestinale Störungen, Gleichgewichts- und Herzrhythmusstörungen) lassen sich umgehen, wenn die Behandlung einschleichend erfolgt: empfohlen werden hier 4 mmol (4 mval) Lithium pro Woche.

Eine mittelfristig einsetzende Hypothyreose mit Strumabildung ist kein Grund zum Therapiewechsel, da die Zugabe von L-Thyroxin in physiologischer Dosis ausreicht.

Selten führt die heute gängige Einstellung auf einen Lithiumspiegel von morgens 0,6 bis 0,8 mmol / l - bei älteren Patienten auch bis 0,5 mmol / l - zu einer exzessiven Gewichtszunahme, bei der dann eine Therapieumstellung auf eine alternative Substanz notwendig ist.

Das größte Problem bei Patienten mit bipolaren Psychosen ist die mangelnde Compliance. Hier kann durch geeignete Betreuungsformen, zum Beispiel Selbsthilfegruppen und eine basale Psychotherapie, versucht werden, die Therapietreue der Patienten zu erhöhen. Die Zusammenarbeit von Hausärzten und psychiatrischen Spezialambulanzen ist dafür eine Voraussetzung.


FAZIT

Patienten mit bipolaren Störungen benötigen eine meist lebenslange Rezidivprophylaxe. Am besten untersucht ist hier Lithium, das sowohl die Häufigkeit und Dauer der Krankheitsphasen reduziert als auch die Suizidrate senkt. Hausärzte sind als Betreuer dieser Patienten unverzichtbar.



Dr. Jörn Conell, Prof. Dr. Werner Felber Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Fetscherstr. 74, 01307 Dresden Tel.: 03051 / 458-2760, Fax 458-4324



Langzeitbetreuung kann von Hausärzten übernommen werden

Hausärzte haben eine wichtige Funktion bei der Behandlung von Patienten mit bipolaren affektiven Störungen.

Sie sind meist der erste Anlaufpunkt für Betroffene, sie sind dann diejenigen, die die (Verdachts-) Diagnose zuerst stellen und die als erste eine Behandlung beginnen - sofern die Patienten überhaupt zum Arzt kommen.

Hausärzte sollten dann den psychiatrischen Facharzt zu Rate ziehen, wenn

* es sich um Patienten mit schweren Ausprägungen einer bipolaren Störung handelt,
* die Patienten nicht auf die Therapie ansprechen,
* es zu Rezidiven kommt,
* Suizidalität erkennbar wird.



Bei Patienten mit funktionierender Rezidivprophylaxe sind die Hausärzte dann wieder Mit- oder Hauptbetreuer, wenn eine gute Zusammenarbeit mit den Fachärzten oder mit einer Spezialambulanz funktioniert. (Conell / Felber)




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Sue. 1320 01. 11. 2002 21:33



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