Achtung lang: Mein Medikamenten-Report und: Prophylaxe mit Edronax?

Friedericke
29. 10. 2002 16:42
Hallo,


ich (w, 33) habe mich lange nicht mehr mit dem Thema md befasst, obwohl ich eine entsprechende Diagnose längst habe und mir auch sicher bin, dass ich die eine oder andere Phase in meinem Leben als leichten manischen Schub bezeichnen kann. Hypomanien kenne ich also ziemlich gut und muss zugeben - keine schlechte Sache, da ich noch nie etwas angestellt habe, was die anderen weitläufig als 'verrückt' bezeichnen würden. (Na, die wissen ja auch nicht alles :-)) Die Kehrseite der Medaille ist bei mir dafür derart ausgeprägt und hammerhart(so sehr, dass ich das Wort Depression wirklich nur ungern in den Mund nehme ... bääääääähhhhhhh), dass mein oberstes Ziel lautet: Stabil bleiben - egal in welche Richtung.

Also, auch wenn die Einsicht natürlich nicht sofort kam, irgendwann habe ich mich nicht nur auf die medikamentöse Depressionsbehandlung eingelassen, sondern auch auf die Prophylaxe. Bisher hatte mir einmal Zoloft ziemlich rasch aus dem tiefsten Höllenloch geholfen und davor hatte ich auch mal das wirklich aufregende und bestverträgliche Medikament Aurorix in niedriger Dosierung bekommen .. aber das ist nochmal ein Thema für sich

Zur Prophylaxe. Lithium wollte ich nicht nehmen, also bekam ich Ergenyl 300 - davon hab' ich dann morgens und abends eine genommen, was wohl nicht viel ist, oder?
Anfangs war das voll in Ordnung, weil ich mit der Behandlung zu einem Zeitpunkt begannen hatte, als ich einen guten Energiepegel hatte, so dass mich das Medikament überhaupt nicht gestört hat.

Dann aber, mit der Zeit hab' ich mich nicht mehr so wohl damit gefühlt. Nicht dass ich depressiv gewesen wäre, es war viel mehr so eine körperliche Schwere - ein ständiges Schlapp-sein. So ein gemäßigtes vor sich hin schleppen. Naja und dann hatte ich auch das Gefühl, dass das Denken irgendwie langsamer ist und da ich für meine Arbeit viel denken und auch kreativ sein muss, war das ein arges Elend.

Daraufhin verschrieb mir mein Arzt Edronax dazu und plopp: Eine Stunde nach der Einnahme konnte ich aus der langweiligsten Statistik Schlüsse ziehen und wieder ganz normal denken. Kann sich eigentlich nur um einen Plazebo-Effekt handeln, mein Arztz meint aber, dass Edronax auch ein gutes Medikament sei.

Mit der Kombination hab' ich ganz tapfer vor mich hingelebt. Nicht, dass ich mich permanent wohl gefühlt hätte, aber jammern konnte ich auch nicht. Diese komische Schwere nahm ich in Kauf, hauptsache mein Hirn ließ mich nicht im Stich, das war doch schon mal was. Das ist genau genommen die Hauptsache (für mich)

Leider führe ich nicht gerade das allerglücklichste Leben, will sagen: Die Umstände sind oberflächlich in Ordnung, ja könnten sogar toll sein, aber über meinen Mann muss ich mich doch mindestens alle zwei Wochen sehr ärgern ;-), dann sind wir relativ neu in unserer Stadt und daher einsam ... und überhaupt so ein Chaotenleben hinterlässt halt seine Wunden - das Bewusstsein, wegen der Medikamente und des eigenen unsteten Charakters niemals eine richtige Famile zu haben, einsam zu arbeiten (ich bin Freiberuflerin, also auch hier mach ich nur halbe Sachen), einsam zu sterben ach und das Jammern fand kein Ende. (Aber Depression ist nochmal was anderes, Leute!)

Einmal, als ich wieder bei meinem Arzt war und so gejammert habe, meinte der, dass etwas gegen Depressionen fällig wäre. Ich bekam zum Probieren eine Packung Nefadar für zwei Wochen mit. Weil ich am Ergenyl so schwer zu tragen hatte, durfte ich es absetzen.

Na toll. Nefadar ist zwar ein modernes Medikament, braucht aber, wie trizyklische ADs ein bisschen länger bis es wirkt, außerdem hat es ordentlic Nebenwirkungen am Anfang.
Stellt Euch einfach noch ein bisschen mehr körperliche Schwere vor und noch einen Schuss Müdigkeit ab und an so mitten am Tag und hin und wieder ein Seufzer ... Nach einer Woche Rücksprache mit dem Arzt, der mich zum Durchhalten aufmunterte.

Nach einer weiteren Woche tapferer Einnahme hätte ich dann mal wegen eines Rezepts für's Nefadar aktiv werden müssen. Aber das hab ich nicht mehr geschafft. Ich war so was von schlapp und lustlos, dass ich zum einen direkt zwei Tage im Bett geblieben bin und zum andern einfach keine Lust hatte, meinen Arzt anzurufen, dass er mir ein Rezept schickt. Zwar gibt mir meine Apothekerin um die Ecke alles auch ohne Rezept, wenn ich es nachreiche - aber um die Ecke gehen: Das war nicht drin.

Am übernächsten Tag setzte etwas ein, was ich bisher noch nicht kannte: Absetzsymptome. Boah. Und das nach nur zwei Wochen Nefadar. Ich konnte nicht mehr aufstehen, ohne dass mir schlecht und schummrig wurde. Mein Herzlein pochte phasenweise wie irre. Dieser Zustand dauerte sage und schreibe eine ganze Woche. Mann war mir schlecht.

Dumm war, dass ich in dieser Woche unseren Urlaub vorbereiten sollte, also Wäsche wachen und bügeln und so.
Wäsche waschen ging so: Kurz aufstehen, zum Wäschekorb rennen, ganz schnell sortieren, Waschmaschine an und zurück ins Bett rennen. Und das dann mehrmals täglich. Gebügelt hat dann mein Mann am Wochenende. Peinlich.

Auch auf der Fahrt in den Süden war mir noch total schummrig, obwohl wir sie um einen Tag verschoben haben. Dann bei meinen Eltern Zwischenstop gemacht und es passierte das unvorstellbare: Nachdem ich sehr früh zu Bett gegangen war, wachte ich um zehn Uhr auf, holte mein Laptop und die Mappe 'To do' ins Bett und schrieb endlich meine Rechnungen, die ich bereits vor 3 Wochen hätte schreiben sollen.

Am nächsten Tag Weiterfahrt über die Alpen - ich immer noch wacklig auf den Beinen aber so kurz vor Mailand war ich wieder einigermassen fit, dass ich das Steuer übernahm. Und dann passierte etwas, das mich bis heute Schmunzeln lässt: Als der Verkehr um Mailand immer Chaotischer wurde und mehr Spuren hinzukamen und man höllisch aufpassen musste ... ab diesem Moment war ich wie ausgewechselt. Hellwach, fit und voller Energie.

Ab da ging's mir dann blendend und ich fand alles total schön. Alles, was mir vor die Augen kam, war schön, sogar Hunde und jedes Essen, das ich zu mir nahm, war das Beste ... Und das schöne Licht machte die Bilder so scharf (naja im September ist das Licht aber auch phänomenal) Dann kam die Aufregung am 11. September und so hart das auch klingen mag: Es war endlich wieder etwas los in meinem Kopf. Dann die vielen 'schönen' Aufnahmen von Afgahnistan ... habt Ihr mal das Licht dort gesehen? Im September? So hoch droben in den Bergen? Alles so klar und der blaue Himmel ...

Keine Frage: Kleiner manischer Schub. Der ging aber sang- und klanglos und auch ohne Folgen vorrüber, keine Depression danach ... hab mich ganz einfach ein paar Wochen nach dem Urlaub wieder eingependelt und außer, dass ich statt einem Bikini gleich zwei gekauft hatte, gab es keine Folgen.

Und jetzt kommts. Ich hatte seit dem keine nennenswerten Schwankungen mehr. Weder nach oben noch nach unten. Ich leide halt gewaltig unter PMS, aber wenn man weiss, dass das wieder vorübergeht, kann man damit leben und lässt sich davon nicht runterziehen.

Das Edronax habe ich die ganze Zeit hindurch genommen und es auch tapfer und regelmäßig eingenommen und zwar 8 mg / Tag. Ich schlafe gut und verspüre null Nebenwirkungen. Außer wenn ich es mal 2 Tage vergessen habe - das sollte nicht so oft passieren - dann krieg ich Nacht abartige Träume und ich schreie laut.

Nicht, dass mich das Zeug glücklich macht, aber es ist erträglich, das Leben. Und auch wenn es mir mal schlecht geht - ich kann trotzdem noch denken und arbeiten, weil die Konzentration bleibt. Ein klarer Kopf führt dazu, dass ich Probleme lösen kann und das bringt einen gewissen Grad an Zufriedenheit. Nach oben ist die Stimmung nicht mehr ausgeschlagen.

Also es ist vielleicht ungewöhnlich, aber: Kann es sein, dass in meinem Fall der Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer Edronax eine prophylaktische Wirkung hat?

Gibt's hier jemanden, der das auch nimmt und vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht hat?

Sorry, dass es so lange geworden ist, aber ich habe jetzt bestimmt zwei Jahre lang bewusst nicht mit anderen Betroffenen diskutiert. Das hatte ich zuvor intensivst betrieben bis dann die Erkenntnis kam: Das Leben spielt sich draussen ab und es gibt auch andere Aspekte als nur die Krankheit. Also war ich lange schreib- und redeabstinent (Dafür besteht jetzt Nachholbedarf)


Viele Grüße
Friedericke (ist ein Pseudonym, ich hoffe es ist o.k. für Euch)
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Friedericke 704 29. 10. 2002 16:42

Re: Achtung lang: Mein Medikamenten-Report und: Prophylaxe mit Edronax?

MARA 157 29. 10. 2002 20:34

Re: Achtung lang: Mein Medikamenten-Report und: Prophylaxe mit Edronax?

Friedericke 140 30. 10. 2002 10:11

Re: Achtung lang: Mein Medikamenten-Report und: Prophylaxe mit Edronax?

MARA 187 31. 10. 2002 20:57

Re: Achtung lang: Mein Medikamenten-Report und: Prophylaxe mit Edronax?

Matthias 164 30. 10. 2002 15:36

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Friedericke 189 30. 10. 2002 16:05

Re: Achtung lang: Mein Medikamenten-Report und: Prophylaxe mit Edronax?

Matthias 159 30. 10. 2002 16:12

Re: Achtung lang: Mein Medikamenten-Report und: Prophylaxe mit Edronax?

tecki 192 01. 11. 2002 06:45



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