... "Erst kommt der Hase nach Hause", hat Oma immer erzählt. "Dann das Rotkehlchen.
Und zum Schluss kommt der Opa."
"Was sich hier alles angesammelt hat ...", staunt Marie. "So viele Schrauben, Blechdosen, Marmeladengläser -
und schau, eine ganze Kiste voller Kerzenstummel ." Manuel nickt und murmelt: "Die Lichter eines ganzen Lebens."
Als die beiden zurück ins Haus gehen, läuft ihnen Mutter entgegen. "Da seid ihr ja! Ihr könnt mich doch nicht einfach
mit der Oma allein lassen!"
Manuel setzt sich auf Opas Stuhl. Aber Oma sieht ihn nicht mal an. Wenn wir nur etwas tun könnten, denkt er.
Aber ihm fällt auch nichts ein. Es beginnt langsam, dunkel zu werden.
"Die Kerzen", flüstert Marie. "Man müsste einfach all die Kerzenstummel anzünden ..."
Natürlich, denkt Manuel. Die Lichtbrücke. Plötzlich weiß er, was zu tun ist. Was Opa getan hätte.
Er zieht Marie mit sich in den Schuppen. "Hier, nimm die Kerzen, ich nehme die Kiste mit den Marmeladengläsern!"
Dann gehen sie zum Bach. An der Brücke erklärt Manuel Marie, was sie machen soll und läuft zurück.
"Kommt", sagt er, "kommt alle ans Fenster!" Oma schüttelt den Kopf. "Tu es für mich", bittet Manuel und weil Manuel,
wenn er lächelt, ein bisschen wie Opa aussieht, steht Gerda tatsächlich auf, dem Jungen zuliebe.
Zusammen stellen sie sich ans Fenster. Gerde blickt hinaus ins Dunkel. Da sieht sie das Licht.
Erst eins, ein zweites, dann ein drittes, immer mehr Lichter flackern in der Nacht, bis die ganze Brücke strahlt.
"Hier." Manuel hält Oma den Brief entgegen. "Von Opa. Der lag im Schuppen." Gerda nimmt den Umschlag.
Ihre Hände zittern, als sie ihn öffnet. Sie liest: "Für das Licht meines Lebens. Damit du es nie vergisst:
Weder Tod noch Dunkelheit können uns trennen ..." Gerda holt ihr Taschentuch raus, schnäuzt sich die Nase
und wischt sich die Augen. Dann blinzelt sie.
Erst glaubt sie nicht, was sie sieht: Über die Brücke kommen Leute. Sie erkennt die Nachbarn und Helge, den Bäcker
und selbst Tante Irma vom anderen Ende des Dorfs. "Gerda", rufen sie. "Wir haben das Licht gesehen! Was für eine wunderbare Idee!" Und plötzlich merkt Gerda, dass sie lächelt. Nein - sie strahlt. Sie strahlt ihnen entgegen.
"Kommt", sagt sie zu Anneke und Manuel, "jetzt wird es aber wirklich Zeit, den Waffelteig zu rühren!"
Steh auf und werde licht; denn dein Licht
kommt, das deine Finsternis erhellt.
Gottes Glanz geht auf über dir wie die Sonne.
AUS JESAJA 60
aus "fliegen lernen" von Susanne Niemeyer
(wiedergegeben mit der Erlaubnis der Autorin)