von den
Engeln, die erden
Wenn ich weiterdenke, gibt es allerdings Probleme in Himmel.
Zum Beispiel, wen man liebt. Wird die Jugendliebe dann doch noch in Erfüllung gehen?
Und was ist, wenn sie inzwischen verheiratet war? Wird das dann ein glücklicher Dreier?
Ich seufze ein drittes Mal, weil solche Fragen nirgendwo hinführen.
Ausserdem will ich die Erfüllung nicht für den Himmel aufsparen.
"Man sieht ja auch keinen da oben", sage ich. "Müsste man nicht die ganzen Gestorbenen sehen?"
"Nee", sagst du, "das wäre ja komisch. Stell dir all die Toten vor, was da oben los wäre! Ausserdem
würde man dann bestimmt nur noch in die Luft gucken. Dann kriegst du ja vom Leben nichts mehr mit."
"Wäre vielleicht nicht schlecht." Ich denke an Kriege, doofe Nachbarn und solche Sachen.
Aber du widersprichst: "Wozu gäbe es dann das Leben, wenn im Himmel sowieso das bessere Dasein stattfindet?
Dann könnte man sich das Erdenleben doch gleich schenken. Warum diese Extrarunde drehen?"
Stimmt auch wieder. Der Himmel als besserer Ort ist keine Lösung.
"Der Himmel ist mitten unter euch", zitierst du. Natürlich kenne ich die Worte. Habe sie oft genug gehört.
Sie gehen einem leicht von der Zunge, wenn die Erde ein guter Ort ist. Aber jetzt?
Es ist einfacher, den besseren Ort in der Ferne zu lokalisieren.
Dann bleibt die Hoffnung. Dann kommt noch was.
"Vielleicht ist es wie mit den Wolken", sagst du.
"Was meinst du?" Ich bin skeptisch, weil Vergleiche mit Wolken meistens kitschig enden.
"Wolken sind Wasser. Nur in anderer Form."
"Und?"
"Wasser verdampft, Du siehst es nicht mehr, aber es ist trotzdem da.
Vielleicht sind die Menschen im Himmel auch da. Nur in anderer Form."
"Gasförmig?"
"Nimm es doch nicht so wörtlich. Wer sagt denn, dass das Sein an den Körper gebunden ist?
Vielleicht existiert es auch ohne ihn. Dann braucht es keinen Himmel als Ort.
Dann könnte es überall sein. Hier zum Beispiel, zwischen uns."
"Was ist mit Gott? Wo ist der in deinem Konzept?"
"Dazwischen. Zwischen uns und zwischen dem Stein und dem Gras, zwischen zwei Molekülen und zwischen den Zeiten.
Ich glaube, Gott ist überall dazwischen."
Ich schaue nach oben, weil ich den Himmel über mir ungern gehen lassen will. Er ist so blau, so weit, so weich.
Ich glaube, es geht dir genauso. Die Sehnsucht wohnt verheißungsvoller in der Ferne. Wir können uns nicht losreißen.
Da treten zwei Weißgekleidete in unser Blickfeld.
Sie fragen: "Was liegt ihr da und seht zum Himmel?"
Wir fühlen uns ertappt. Wir haben sie nicht kommen sehen.
Aber wir wissen, was sie sagen wollen. Wir richten uns auf. Es ist Zeit nach Hause zu gehen.
Den Himmel nehmen wir mit. Worte haben wir, nicht Flügel. Die Weißgekleideten nicken zum Abschied.
Woher sie wohl kommen?
aus "Fliegen lernen" von Susanne Niemeyer
(wiedergegeben mit dem Einverständnis der Autorin)