Heimat finden (nach Lukas 14,16-23)

24. 12. 2021 19:33
Heimat finden

Das Haus ist schon alt. Es hat einen großen Garten, Fenster bis zum Boden und einen Tisch für viele. Die Platte ist aus Eiche,
das Holz voller Kerben, Spuren der Jahre. Brot wurde dort geschnitten, Wein verschüttet, Geburtstage wurden gefeiert, Heiratsanträge gehört, auch der Tod saß manchmal mit am Tisch. In dem Haus wohnt Gott.

Eines Morgens entscheidet Gott, ein Fest zu feiern. Es ist still so allein. Alle sollen kommen, alle, die er lieb hat.
Die, mit denen er verbunden ist, alle, die ihm treu sind. Er lädt sie ein.

"Was feiern wir?", fragen sie.
"Das Leben", antwortet Gott.

Er beginnt mit den Vorbereitungen: Bärlauchsuppe, frisch aus dem Garten. Ein Lamm im Ofen geschmort. Neue Kartoffeln.
Und zum Schluß eine Apfeltarte. Es gibt da ein paar alte Apfelbäume, die tragen gut. Er holt die weißen Tücher aus dem Schrank. Das Geschirr mit goldenem Rand. Vergissmeinnicht von draussen. Das Feuer brennt im Kamin.
"Trink deinen Wein und iss dein Brot mr Freuden", murmelt Gott. "Nimm das Leben als ein Fest."
Sie sollen sich zu Hause fühlen.

Die Uhr geht auf acht. Alles ist bereit. Sie können kommen. Aus der Küche duftet es. Der Wein wartet. Er auch.
Er hat seine schönsten Kleider angezogen. Die Kerzen spiegeln sich im Fenster. Es ist still, bis auf das Ticken der Uhr.
Nichts geschieht.

"Wo bleiben sie?'", fragt er sich. "Wo bleiben sie nur alle?"
Um halb neun beschließt Gott, sie anzurufen.

"Richtig", hört er, "deine Einladung. Die hatte ich ganz vergessen ... tut mir Leid, aber ich habe so viel zu tun.
Wieder mal Überstunden. Die Arbeit, die Akten, ich kann hier unmöglich weg!"

Er ruft die zweite an:
"Ich muß dir was erzählen", entgegnet sie. "Ich habe mich verliebt. Er kommt heute Abend vorbei.
Wir wollen nur für uns sein, das verstehst du doch sicher? Ein andermal, bis bald!"

Er wählt ein drittes Mal.
"Ja, eigentlich wollte ich schon vor einer Stunde los, aber ich habe einen neuen Computer.
Ich bin noch dabei, ihn zu testen, großartig, was der alles kann. Das glaubst du nicht!
Vielleicht komme ich später, warte nicht auf mich!"

Gott legt den Hörer auf und schaut auf die Kerzen, den Wein, die Vergissmeinnicht. Der Salat beginnt langsam zu welken.

"Sie kommen nicht", murmelt er und lässt sich auf einen Stuhl fallen. "Meine besten Freunde."
Damit hat er nicht gerechnet. Gott fühlt sich sehr allein.

Da gibt er sich einen Ruck, er greift nach seinem Mantel, stürmt zur Tür und läuft auf die Straße. Er denkt nicht nach, sondern schlägt den erstbesten Weg ein. Auf dem Marktplatz sitzen ein paar Männer mit ihren Schlafsäcken. Sie sehen ungepflegt aus, und wahrscheinlich haben sie getrunken. "Kommt", ruft er, "ich lade euch ein, wir feierm ein Fest! Es gibt Lamm und Wein und Käse hinterher." Die Männer gucken ungläubig, aber weil sonst nichts passiert, gehen sie mit. Sie laufen zum Kiosk und holen die immer frierende Verkäuferin, dann die Jungs von der Tankstelle und schließlich den Mann mit den Akkordeon. Jeden Nachmittag sitzt er im Strom der Einkäufer und spielt das Lied vom Schiff, das kommen wird und den Einen bringt.
Er strahlt, als er sie sieht, und dann packt er seine Sachen zusammen und geht mit.

Sie sammeln ein paar Kinder ein, die stets mehr Lärm machen als angenehm ist und auch den sonderbaren Alten von nebenan, der immer vor sich hin murmelt und sich umschaut, als würde er verfolgt.

Sie kommen alle mit. Spannung liegt in der Luft, Aufregung. Wann gibt es das: Ein Fest für sie?
Neugierig drängen sie ins Haus. Der Tisch wird voll, voller, als er je war. Unsicher greifen sie nach den Servietten.
"Womit haben wir das verdient?", fragen sie. Aber Gott winkt ab und schenkt ihnen ein, die Gläser randvoll.
Er gibt, was er hat, verteilt das Brot und das Lamm, und es reicht für alle.

Und dann feiern sie bis in den Morgen. Dem Mann mit dem Akkordeon fallen nach und nach wieder andere Lieder ein, Lieder vom Glück und von der Heimat und von der Liebe. Die Klänge bleiben hängen in der Luft, so dass das Fest nicht endet, nie mehr. Es ist der Himmel auf Erden. Für alle.


(aus "Soviel du brauchst" von Susanne Niemeyer)
- wiedergegeben mit Genehmigung der Autorin -
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Eine Geschichte ...

Deborah 2725 22. 12. 2021 05:32

Re: Eine Geschichte ...

Miramis 467 22. 12. 2021 05:54

Re: Eine Geschichte ...

Milla 465 22. 12. 2021 07:59

Re: Eine Geschichte ...

soulvision 413 22. 12. 2021 10:48

Re: Eine Geschichte ...

Mexx55 385 22. 12. 2021 11:00

Heiligabend - Die Weihnachtsgeschichte der Bibel

Deborah 526 24. 12. 2021 05:41

Frohe Weihnachten!

Deborah 410 24. 12. 2021 17:57

Heimat finden (nach Lukas 14,16-23)

Deborah 408 24. 12. 2021 19:33

Re: Heimat finden (nach Lukas 14,16-23)

Miramis 415 24. 12. 2021 19:57

@ Miramis

Deborah 420 25. 12. 2021 06:55

Re: @ Miramis

Miramis 531 25. 12. 2021 08:14

Eine Geschichte zum Jahresende!

Deborah 503 30. 12. 2021 07:12

Re: Eine Geschichte zum Jahresende!

Miramis 388 30. 12. 2021 07:50

@ Miramis

Deborah 432 30. 12. 2021 11:17

Re: @ Miramis

Miramis 402 31. 12. 2021 07:09

Re: Eine Geschichte zum Jahresende!

soulvision 436 30. 12. 2021 12:45

@ soulvision

Deborah 465 30. 12. 2021 14:51

@ soulvision

Miramis 1608 31. 12. 2021 07:14



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