Hallo soulvision,
sorry, dass ich jetzt erst antworte, ich hatte vorher nicht so die Ruhe dazu.
In den Antworten in unseren Diskussionen empfand ich dich immer sehr auf das Thema bezogen und ich spüre ebenfalls dein eigenes Interesse, also mehr erwarte ich gar nicht :-).
Zunächst, meine "Abwehr" oder das gänzliche "den Schuh anziehen" passiert nicht nur in der Depression, sondern auch wenn mein Selbstbewusstsein durch Streß oder durch andere Ereignisse gerade angeknackst ist und es mit der ruhigen Reflexion nicht klappen möchte. Will sagen, dass was ich mir durch Therapie oder anderem Üben schon angeeignet habe, von "Gefühl" und "Bewertung" mir bewusst zu machen, erst einmal in Ruhe zuhören und die andere Pespektive zu verstehen, Fehlerfreundlichkeit etc., ist als Ressource da, aber der Zugriff darauf, ist mir leider nicht immer gegeben. Hier kann ich nur präventiv oder im Nachhinein arbeiten.
Das "generell" bedeutet hier, dass ich in solchen Situation leider kaum noch unterscheiden kann zwischen dem Kritikpunkt (also ein spezielles Verhalten oder eine enttäuschte Erwartung...) und meiner Person als "Ganzes". Schutz (hier als Frage gestellt) bedeutet bei der "generellen" Abwehr der Kritik, als Schutz der eigenen Person zu verstehen. Das Umfeld weiß aber von meinen inneren Abläufen nichts und bleibt ggf. hilflos zurück.
Ist mein Selbstbewusstsein einigermaßen stabil, dann kann ich auf meine Ressourcen gut zurückgreifen, dann bin ich in der Lage, mir das kritische Feedback in Ruhe anzuhören, die Perspektive nachzuvollziehen, falls berechtigte Kritik, diese dann auch anzunehmen, dazu stehen zu können ohne das sich nun meine Person als ganzes "angegriffen" fühlt.
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soulvision
Ich sehe das Zugestehen einem jeden Einzelnen seiner Realität eher als ein Konstrukt an, eine theoretische Denkweise, die erleichtern kann, ein Anders-sein anzunehmen zu akzeptieren bei sich selbst oder bei anderen. Doch brauchen wir in der gleichen Realität, in der gleichen Welt, in der wir leben, Sicherheit, Vertrauen, Verantwortung für uns selbst, für und von anderen, gemeinsame Prämissen, auf die Verlass ist bei gleichzeitig ebenso vorhandenen individuellen Perspektiven. Für mich stellen diese verschiedenen Realitäten und gemeinsame akzeptierte Realitäten ein Kontinuum dar, eine immer wieder neu anzustrebende Balance.
Hilflos stehe ich auch so manches Mal Menschen gegenüber, die im Moment nicht erreichbar sind. Das eine ist der theoretische Konstrukt in meinen Augen, das andere die ohnmächtig scheinende Situation wenn vermeintlich unvereinbare Realitäten aufeinander treffen.
Ja, das ist sehr gut ausgedrückt und nochmal gut zusammengefasst, danke!
Durch die Behindertenrechtskonvention hat sich sicherlich schon einiges geändert. Aber die Realität auch in der sozialen Gemeindepsychiatrie, ist trotz aller Bemühungen doch noch eher so, dass gerade auch Menschen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen eher noch Angebote, Arbeitsmöglichkeiten und Kontakte im sozialpsychiatrischen Bereich zu finden sind.
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soulvision
Ja, es stellt einen Schutz dar für die Kinder, eine Möglichkeit damit umzugehen. Nachvollziehbar, das hat die Natur für´s erste gut eingerichtet. Wenn die Bedingungen aber so bleiben, dann wird dieser plausible Schutz zur chronischen Erkrankung, sie sind hinein gegangen, finden aber nicht mehr hinaus, sind auf irgend einer Mentalisierungsstufe stehen geblieben oder greifen darauf zurück wenn es brenzlig wird oder zu werden scheint, denn sie haben keinen anderen Umgang damit gelernt, der trägt, oder ausprobieren können, der ihnen schon einmal Sicherheit brachte.
Das ist immer ein Problem, nicht nur im Erwachsenenalter.
Ich werde nicht müde zu betonen, Mentalisierung ist erlernbar in jedem Alter.
Natürlich ist immer ein anderer Umgang erlernbar. Doch einerseits braucht es dazu auch die Möglichkeiten, sprich Therapiemöglichkeiten, Möglichkeiten der Begleitung und auch bei den Behandelnden ein anderes Paradigma, welches sich löst von den alleinigen oder zumindest hauptsächlichen biochemisch-genetischen Erklärungsversuchen, denn damit wird ja dieser Eindruck, dass ich selbst nichts ändern kann und das ich einfach ein "Spielball" meines biochemischen Stoffwechsels und meiner genetischen Disposition bin, oftmals verfestigt.
Danke nochmals für deine Gedanken zu diesem Thema.
Viele Grüße Heike
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Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.
"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 09.03.20 12:43.