Hallo soulvision,
zunächst, danke dass du Dir soviel Zeit nimmst und dann ausführlich darauf antwortest. Übrigens, es ist nicht meine Absicht eine "Herausforderung" für Dich zu sein ;-).
Mich interessiert dieses Thema durchaus, da es im alltäglichen Leben für mich immer mal wieder eine Herausforderung darstellt, sowohl vor allem berechtigte Kritik anzunehmen, ohne gleich verletzt zu sein, wie auch selbst Feedback zu geben, so dass die andere Person etwas damit anfangen kann, ohne gleich in den Rückzug zu gehen. Wie du schon schreibst, Kommunikation darüber, auch über das Wie und die Gefühle (Meta-Ebene) kann sehr wichtig sein. Gerade auch im Nachgang, wenn von beiden Seiten die Emotionen wieder abgeflacht sind und eine etwas klarere Sicht ggf. möglich ist.
Vor allem wenn kritisches Feedback dazu da ist, weiter zu kommen, daraus sich neue Erkenntnisse bilden, sein eigenes Handeln und sein Weltbild mal ab und zu in Frage zu stellen, immer mal wieder zu überprüfen oder aber einer anderen Person diese Möglichkeiten zu geben.
Dient Kritik eher dazu, jemanden "klein" zu machen, hat es den Sinn in meinen Augen verloren. Dann wird es eher als verbale "Waffe" eingesetzt und Macht demonstriert. Wobei natürlich die Person, die kritisches Feedback erhält, das so empfinden kann, ohne das der Feedback-Gebende das in seinem Sinn hatte.
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soulvision
Ich finde es erleichternd, wenn ich mein Empfinden, meine Gefühle in dem Moment äußern kann, ist natürlich nicht immer möglich. Aber wenn ich mir z.B. Ärger, oder "getroffen sein" verkneife zu zeigen, bleibt es bei mir, rumort wenn es blöd kommt noch weiter. Positive Gefühle zeigen sich da schon leichter, oft wie von selbst. Ein angemessener klarer Umgang mit und äußern der eigenen Gefühle dem Anderen ggü. lassen sich lernen und immer wieder üben, wenn ich gut im hier und jetzt verankert bin.
Verletzungsfrei können wir alle nicht kommunizieren und agieren, aber darüber reden ist möglich. Dabei sind mir 2 Dinge wichtig, jeder Mensch macht Fehler, ich auch. Und was ich mir selbst zugestehe, das gestehe ich auch den anderen zu. Um Entschuldigung zu bitten ist kein Beinbruch und kann vieles eröffnen.
Wenn mich allerdings jemand immer wieder gezielt und gewollt verletzt, setze ich Grenzen und halte sie mir zuliebe ein. Auch das ist Übungssache.
Im Ausgangsposting, worauf du dich beziehst, ging es mir darum, dass berechtigtes kritisches Feedback auf einen inneren Zustand in mir trifft, der schon vor der Kritik angeknackst war, also mit der Kritik selbst nichts zu tun hat. Wenn also mein Selbstbewusstsein eh schon in einem unsicheren Fahrwasser verweilt. Dann ist es für mich schwierig, die Kritik nicht auf meine gesamte Person zu beziehen. Die andere Person versteht ggf. nicht meine genrelle Abwehr oder meinen "getroffenen Rückzug", da sie ja gar nicht beabsichtigt hat, meine gesamte Person zu kritisieren, sondern nur einen bestimmten Punkt.
Deine vorherige Frage,
"Kannst du dir vorstellen, wie du deinem Umfeld dabei helfen könntest? ", verstand ich so, ob ich meinem Umfeld in dieser Situation signalisieren könnte, wie es in mir aussieht und was ich dann brauche. Das habe ich bisher noch nicht geschafft, es bleibt bisher leider entweder bei der generellen Abwehr (möglicherweise auch hier als Schutz zu verstehen?) oder eben umgekehrt, ziehe ich mir den Schuh so stark an, dass ich meine Person selbst dann abwerte und ziemlich geknickt daraus hervorgehe.
Wie oben weiter beschrieben, ist es dann, wenn die Möglichkeit besteht, durchaus gut, später nochmals darauf zurück zu kommen, um über Gefühle zu reden und ggf. Missverständnisse auszuräumen.
Und ja, mir hat es auch geholfen, eine andere Sicht auf eigene Fehler zu bekommen und zu wissen, dass dies nun mal zum Menschsein dazugehört. Sich dann auszusprechen und ggf. auch zu entschuldigen, kann viel dazu beitragen, sein soziales Umfeld zu erhalten.
Nur zur Abgrenzung, das was ich hier beschrieben habe, ist noch vom "akuten" Zustand abzugrenzen. Hier geht es um eine innere Unsicherheit, die noch nichts mit einem akuten Zustand gemein haben muss.
Akuter Zustand und dadurch andere Wahrnehmung/Realität
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soulvision
Das ist dann sehr schwer, denn in einer akuten Phase hatte Kommunikation für mich eine andere Lage und Bedeutung oder auch Priorität. Allerdings finde ich dich so reflektiert, dass du dir zumindest nach Abklingen des ganz akuten Zustandes, deine inneren Abläufe erklären kannst und auch für zukünftiges nutzen kannst?
Bisher kann ich nur außerhalb des akuten Zustandes reflektieren. Ich denke, das macht durchaus auch Sinn, das mit den Personen zu tun, die davon betroffen sind, die sich mein Verhalten nicht erklären konnten und ggf. selbst verletzt waren. Sich den Vorgängen und der anderen Wahrnehmung bewusst zu werden. Sich klar zu werden, "das war ich auch", auch wenn es mir außerhalb des akuten Zustandes völlig fremd vorkommt. Dem anderen wird vielleicht klar, dass Feedback in solch einer akuten Situation nur bedingt ankommen kann und ggf. auch gar nicht mehr.
Es mag möglich sein, auch im akuten Zustand, wenn man viel vorher reflektiert hat, ggf. auf Erfahrungen zurückgreifen zu können, aber ich würde das nicht als eine Handlungsanweisung sehen wollen. Denn dann gerate ich wieder unter Druck, wenn ich beim nächsten akuten Zustand, wieder für andere nicht so ansprechbar bin. Das würde für mich eher mit "Schuldgefühlen" verbunden sein, nach dem Motto: "nun habe ich es doch schon so oft erlebt, eben so oft darüber reflektiert und ich Tölpel habe es immer noch nicht im Griff".
Ich könnte mir aber vorstellen, dass es eher helfen kann, schon vor einem ganz akuten Zustand seine Gefühlslage und das Abdriften in eine andere Wahrnehmung zu erkennen und ggf. schon frühzeitig gegensteuern zu können. Und es kann dem Umfeld durch vorherige gemeinsame Reflektion helfen, zu verstehen, warum es nicht geht oder ggf. zu wissen, was mir dann in solch einer Situation eher hilft.
Aber wir wissen ja auch, dass es durchaus in solchen akuten Zuständen auch klare Momente gibt, wo evtl. dann eher eine Ansprache helfen kann. Wie das funktuioniert, ist glaube ich sehr individuell gelagert.
Nun werde ich gerade unterbrochen, ich schicke das jetzt erst mal so ab und hoffe, dass ich noch auf den letzten Teil später eingehen kann.
Viele Grüße Heike
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Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.
"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 01.03.20 13:53.