Heike schrieb:
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Quote
soulvision
> Kannst du dir vorstellen, wie du
> deinem Umfeld dabei helfen könntest?
> Gute und gleichzeitig auch schwierige Frage. Ich
> denke innerhalb der Situation (also wenn es gerade
> statt findet) ist es schwierig, da bin ich dann zu
> sehr in meinen Emotionen gefangen, um angemessen
> zu signalisieren, was ich gerade brauche.
Ich finde es erleichternd, wenn ich mein Empfinden, meine Gefühle in dem Moment äußern kann, ist natürlich nicht immer möglich. Aber wenn ich mir z.B. Ärger, oder "getroffen sein" verkneife zu zeigen, bleibt es bei mir, rumort wenn es blöd kommt noch weiter. Positive Gefühle zeigen sich da schon leichter, oft wie von selbst. Ein angemessener klarer Umgang mit und äußern der eigenen Gefühle dem Anderen ggü. lassen sich lernen und immer wieder üben, wenn ich gut im hier und jetzt verankert bin.
Verletzungsfrei können wir alle nicht kommunizieren und agieren, aber darüber reden ist möglich. Dabei sind mir 2 Dinge wichtig, jeder Mensch macht Fehler, ich auch. Und was ich mir selbst zugestehe, das gestehe ich auch den anderen zu. Um Entschuldigung zu bitten ist kein Beinbruch und kann vieles eröffnen.
Wenn mich allerdings jemand immer wieder gezielt und gewollt verletzt, setze ich Grenzen und halte sie mir zuliebe ein. Auch das ist Übungssache.
> Ja, einerseits mit welchen seiner "vier" Ohren man
> hört, auf der Grundlage seiner Erfahrungen, aber
> ich denke wenn ich in meinem depressiven Zustand
> völlig versinke, dann habe ich kaum, bis gar
> keinen Zugriff auf die Erfahrung außerhalb der
> Depression. Für mich ist dann das was ich gerade
> wahrnehme, erfahre und erlebe die Realität. Für
> mich ist die andere Realität, die mein Umfeld mir
> ggf. klar machen möchte, nicht präsent.
Das ist dann sehr schwer, denn in einer akuten Phase hatte Kommunikation für mich eine andere Lage und Bedeutung oder auch Priorität. Allerdings finde ich dich so reflektiert, dass du dir zumindest nach Abklingen des ganz akuten Zustandes, deine inneren Abläufe erklären kannst und auch für zukünftiges nutzen kannst?
>
> Und obwohl ich weiß, wie das bei mir ist, ist es
> schwierig, wenn ich in Interaktion mit einem
> Menschen bin, der anscheinend auch eine gänzlich
> andere Wahrnehmung hat, als ich gerade, die
> vielleicht gerade nicht in tiefen depressiven
> Zustand ist. Zwei verschiedene Wahrnehmungen, wo
> finden sie eine Entsprechung? Wie finden sie
> zueinander? Müssen sie überhaupt zueinander
> finden? Worauf kann man sich einigen?
Dann spielen vielleicht nicht nur die 2 verschiedenen Wahrnehmungen eine Rolle, sondern auch der (Un)Wille so oder so oder noch ganz anders zu kommunizieren, neben Befinden, Vermögen und individuellen Erfahrungen. So ganz manipulationsfrei sind wir ja alle nicht beim kommunizieren, wenn es dann aber Ausmaße annimmt, kann mir schon der Hut hoch gehen.
>
> Mein theoretischer Ansatz ist, das wir von Geburt
> an lernen, das was ich sehe, höre, rieche,
> schmecke, fühle, ist wahrhaftig. Daraus baut sich
> meine Sicht der Welt. Wenn ich morgens aufwache,
> bin ich überzeugt, dass das was ich spüre, die
> Realität ist, das ist für die aller meisten
> Menschen ein Selbstverständnis und vor allen
> Dingen, verorte ich mich in dieser Realität und
> daraus baut sich dann meine Identität. Wenn mir
> dieses Selbstverständnis abgesprochen wird, ist
> es vielleicht auch ein Angriff auf meine
> Identität und den Kern meiner Selbst, die es aber
> zu schützen gilt. Deshalb ist es ggf. wichtiger,
> das abzuwehren, um diesen Kern zu schützen, als
> zuzugeben, dass, meine Wahrnehmung wohlmöglich
> nicht stimmt. Vor allen wenn man für sich noch
> keine Alternative gefunden hat.
Diese Theorie von dir finde ich höchst interessant. :)
Die Frage wäre für mich zuerst, wer oder wobei wird mir mein Selbstverständnis abgesprochen?
Jeder Mensch hat so seine eigene Realität, diese stimmen nie so ganz überein, zumindest im Zeitalter des systemischen Denkens nicht.
Manchmal fand ich es einfacher, sich auf diese oder jene feststehende oder festgelegte Realität zu einigen und sich darauf auszurichten. Das war hilfreich, mich nach einer Krankheitsphase wieder zurecht zu finden, neu zu sortieren und zu organisieren auf der Suche nach Sicherheit. In diesen Zeiten wurde mir mein Selbstverständnis durchaus abgesprochen, stigmatisiert. Würde ich schon auch so sehen, denn die Realität war keine Frage der Einigung, sondern sie wurde mit Bestimmtheit festgelegt. Damit wurde meine Identität beschädigt.
Abwehren und Schützen sind ganz wichtig, wenn mir meine Wahrnehmung abgesprochen wird. Ob diese Wahrnehmung nun richtig oder falsch ist, ist völlig sekundär, denn wenn ich jedem seine eigene Wahrnehmung zugestehe, mache ich die Möglichkeiten zur Wahrnehmung auf. Kein anderer hat dann das Recht, diese Wahrnehmung zu bewerten, jeder hat für sich selbst die Deutungshoheit und kann sie auch nur selbst haben. Das kann entlasten.
Diese Denke sehe ich tatsächlich als einen Paradigmenwechsel im sozial - und auch psychiatrischen Bereich an.
Wenn ich dann aber frage, wie kann ich Betroffene begleiten und behandeln, wenn alle Wahrnehmung richtig wie falsch ist?
Ich möchte noch einmal auf den Ausgangspunkt deines theoretischen Ansatzes zurück kommen:
Ab der Geburt entwickelt sich das Selbst auch durch die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit, u.a. des Denkens betrachtet etwa bis zum Alter von 4 Jahren. Ein entscheidender Faktor ist dabei ein entwicklungsförderndes Umfeld, die Bezugspersonen in ihrer Kommunikation, insbesondere emotional, mit dem Baby. Das ist ein spannender und störanfälliger Prozess, denn wie kein Mensch ohne Fehler ist, agiert auch kein Elternteil ohne Fehler dabei. Das Zauberwort dabei heiß auch Liebe und Kommunikation, eigene Fehler zu reflektieren, zugeben und mit dem Kind spielerisch zu lernen. Wer hat das schon so erlebt?
Aber, auch als Erwachsene kann man Mentalisierung noch erlernen und damit Traumatisierungen therapieren. Ich vermute, dass damit eine ziemliche Klarheit der eigenen Kommunikation und des Verhaltens und der Gefühle dabei erarbeitet werden kann.
Vielleicht kann dann das übermäßige sich-selbst-schützen etwas in der Hintergrund treten.
War wieder eine Herausforderung für mich, dir zu antworten. :)
LG
s.