„Trialogische Fachgesellschaft“

02. 12. 2018 02:34
Deine Vorarbeit, einzelne Punkte herauszuarbeiten, die man in den Fokus nehmen und sich somit Gedanken über einzelne Teilaspekte einer hochkomplexen und verworrenen Geschichte machen kann, ist sehr hilfreich, Heike! Danke dafür.

Ich picke mir mal einen Begriff heraus, über den ich schon oft und das sehr vehement diskutiert habe. Mit wem sage ich hier lieber nicht.

„Trialogische Fachgesellschaft“: ein Nonsens-Begriff. Klingt vielleicht schick, ist aber in sich nicht logisch.

Warum?

Weil in „Trialog“ das „Fach“ schon drin ist. Also die „Profis“.

„Trialogische Fachgesellschaft“ zu sagen ist so sinnvoll wie bei „Currywurst“ immer hinzuzufügen, dass da übrigens auch Wurst drin ist. Oder Currygewürz, kommt aufs Gleiche raus.

Eine Fachgesellschaft ist ein Gebilde, in dem sich ausschließlich Fachleute tummeln und auch ganz dezidiert unter sich bleiben möchten. Wikipedia definiert das so:

Eine Fachgesellschaft ist der Zusammenschluss von wissenschaftlich aktiven oder interessierten Personen in einem Fachgebiet. Ziele sind die Vertretung der standespolitischen Interessen des Fachs und der Fachvertreter (dann spricht man auch von Berufsverband), die Verbreitung des entsprechenden Fachwissens und die Berücksichtigung bei politischen Entscheidungen.

Trialogisch ist da nichts, oder? Weder Patienten noch Angehörige haben „standespolitische Interessen“. Sie sind ja gar kein Stand.

Trialog geht von der Grundvoraussetzung aus, dass sich daran drei „Parteien“ beteiligen: Patienten, Angehörige und Fachleute. Auf diesen kleinen gemeinsamen Nenner können sich diejenigen, die schon lange um die Definition, Auslegung und praktische Umsetzung des trialogischen Gedankens streiten, immerhin einigen! Die Reihenfolge spiegelt übrigens die zahlenmäßige Besetzung der drei „Bänke“ in der DGBS wieder. Zwei Drittel der Mitglieder sind Patienten, etwa ein Sechstel machen die Angehörigen aus, bei den „Profis“ ist es nicht einmal das.

Das Beharren auf dem aufgeblasenen Begriff der „trialogischen Fachgesellschaft“ begründet sich wohl vor allem in der Hoffnung, damit mehr „Profis“ anlocken zu können. Und es schwingt auch deutlich spürbar eine Angst mit, zu unwichtig zu werden in einem Verein; weswegen sonst sollte so deutlich herausgestellt werden, dass die Ärzteschaft ein Drittel des Konstrukts ist? Ein Drittel eines Vereins also, der übrigens gerade wegen des Trialogs von einigen echten Fachgesellschaften wie z.B. der DGPPN regelrecht beneidet wird. Obwohl schon recht alt, ist die Idee des Trialogs seit ein paar Jahren „der letzte heiße Scheiß“ auf den oberen Rängen des psychiatrischen Komplexes in Deutschland. Außerhalb des deutschsprachigen Raums versteht man allerdings Bahnhof, wenn man vom „Trialog“ spricht. Es gibt nicht einmal ein englisches Wort dafür.

Trialog klingt ja irgendwie toll und so modern, nach diesen ganzen menschenfreundlich tönenden und eine respektvolle Haltung versprechenden Begriffen wie „Augenhöhe“, „Shared Decision Making“, „Adherence“, „Home Treatment“ - und wie die seltsamerweise fast immer englischen Worthülsen auch lauten mögen.

Ich habe ja selbst lange genug daran geglaubt und diesen Gedanken, diese Haltung zwar nicht missionarisch, aber doch überzeugt von der Richtigkeit und auch der Umsetzung dieser „neuen Linie“ weiterverbreitet. Bis ich dann in diesem Jahr höchst unsanft aus meinen trialogisch-idealistischen Träumereien gerissen wurde. Der real existierende Trialog existierte - zumindest in meinem Fall - nicht.

2018 wird jetzt gerne als „das Krisenjahr“ der DGBS bezeichnet. Wieso, das lasse ich jetzt mal aus. Engeweihte, also Vereinsmitglieder, wissen was ich meine, wenn sie die letzten Monate über nicht taub oder blind waren. Für mich selbst, der da irgendwie zentral, aber doch merkwürdig am Rande beteiligt war, war es auch tatsächlich eine kritische Situation, die ich aber eher als „Stresstest“ denn als „Krise“ bezeichnen würde. Und die als so vorbildlich dargestellte trialogische Gesellschaft hat leider krachend versagt, vergleichbar mit Tschernobyl, vor dessen „Havarie“ damals auch getestet werden sollte, ob der Reaktor Extremkonditionen aushält. Beides ging gründlich schief.

Im Unterschied zur Atom-GAU 1987 in der Ukraine wurde der Belastungstest der DGBS im 19. Jahr ihres Bestehens aber nicht mutwillig herbeigeführt. Es handelte sich eher um ein Aufschaukeln von verschiedenen Befindlichkeiten und auch Missverständnissen bis zum Höhepunkt, der sozialen Lobotomie bzw. Amputation in einem Hörsaal der Universität Hamburg am 7. September 2018. Durchaus eine Kettenreaktion das Ganze, offenbar ähnlich schwer beherrschbar wie die unkontrollierte Spaltung von Atomen, wenn sie erstmal so richtig in Fahrt gekommen ist.

Katastrophen, Missgeschicke, schiefe Entwicklungen, die schlimmstmöglich enden - das alles kann vorkommen. Wichtig ist, was man im Nachhinein daraus lernt. Wenn man nach solchen Zerwürfnissen, die in einem Scherbenhaufen enden, einfach zur Tagesordnung übergehen möchte, ist man entweder dumm und/oder eingebildet und/oder unbelehrbar. Eine Diskussion kann sehr leicht angeregt werden - wenn es dafür gar keine Plattform gibt, verläuft diese Anregung allerdings im Sande.

Obwohl mir in den letzten Monaten dauernd vorgehalten wird, wie destruktiv ich doch unterwegs sei, geht es mir in Tat und Wahrheit um ein konstruktives Ergebnis dieses Stresstests - sonst hätte ich dem jetzigen Vorstand nicht angeboten, diese Krise nachträglich mit der Hilfe einer MEdiation .ä. Aufzuarbeiten, damit für die Zukunft bestimmte Weichen anders gestellt werden können, um Ähnliche Entgleisungen zu vermeiden.

Die satzungsgemäße Struktur des Vereins birgt ein grundsätzliches Risiko, nämlich dass ein Siebtel, im Extremfall sogar zwei Siebtel des Vorstands jederzeit krank werden können (oder sie für krank gehalten werden - aber dieses Fass mache ich jetzt besser nicht auf). Die Patientenvertreter sind ja (logischerweise) Patienten, mit den leitlinienbekannten Schwankungen ihres Gefühls- und Affektlebens.

Es ist völlig absurd, dass diese Menschen, sobald sie tatsächlich zu Patienten werden (oder nur dafür gehalten werden, s.o.), so schnell wie möglich nicht nur aus allem rausgedrängt werden, sondern erleben müssen, dass ihnen weder Verständnis noch echte Hilfsbereitschaft entgegenschlägt, sondern das blanke Gegenteil. Respekt für die Person, auch den Menschen, der sich über lange Jahre immer noch mehr aufhalsen ließ und immer alles termingerecht, zuverlässig und mit durchgehend hoher Qualität der Ergebnisse erledigen konnte? Nicht mehr vorhanden. Verständnis für eine veränderte Ausdrucks- und Umgangsweise, für ein entschiedeneres Auftreten, weil gerade in dieser Situation Haltungen entblößt werden, die man nie für möglich gehalten hätte? Fehlanzeige.

Wo bitte ist die Logik und was sagt es über die Einstellung „krank“ gewordener „Kollegen“ gegenüber aus, wenn diesen die sattsam bekannten und als typisch angesehenen Symptome vorgeworfen, sie dafür verteufelt und am Ende dann „wohlwollend“ rausgeschmissen werden? Und dann wird auch noch nachgetreten, wie hier im Forum zutreffenderweise festgestellt wurde - da kann sich der Verfasser gewisser Zeilen rauswinden wollen, wie er will. Natürlich ging es in seinem Erguss um eine ganz bestimmte Person. Will der Herr uns für so dumm verkaufen, wie er uns hält? - Die Antwort auf diese Frage lasse ich jetzt mal offen.

Eigentlich möchte ich mich mit diesem gesamten Themenkomplex gar nicht mehr befassen, ich bin innerlich schon so weit weg von diesen letzten Jahren, dass mir das Ganze vorkommt wie ein schlechter Traum, den man besser gleich wieder vergisst. Aber dann reißt wieder etwas die noch frischen Wunden auf; ein dreistes Editorial, entwürdigende Mails oder gar keine Reaktion selbst bei dringenden Angelegenheiten, weitere Vorwürfe, irrationale Entscheidungen, von denen man eher zufällig erfährt, obwohl sie die eigene Person betreffen. Und so weiter. Die Fratze drängt sich weiter auf.

Hach ja.

Am Ende dieser zugegebenermaßen recht ausführlichen persönlichen Auslegung des Begriffs „Trialog“ drängt sich mir ein Nebenthema auf, das irgendwann auch einmal raus muss, denn es würgt mich, seit vielen Monaten schon.

Wenn man sich im Ehrenamt exponiert, dann erwarte man lieber keine Solidarität in schweren Zeiten von denen, für die man sich eingesetzt und für die man viel Zeit und Arbeit investiert hat. Das Gegenteil davon ist eher die Regel, wenn nicht sogar ein Gesetz. Das habe ich bei einer übergeordneten Organisation erfahren, die mich übrigens sehr freundlich, verständnisvoll, aber leider machtlos begleitet, beraten und auch unterstützt hat. Inzwischen kenne ich auch eine Reihe von anderen persönlichen Schicksalen, die dem meinen erschreckend ähnlich sind (erstaunlicherweise häufen sich solche Fälle bei den diversen Gesellschaften zum Thema Depression).

Dieses ungeschriebene, aber recht häufig und sogar gerne angewandte Gesetz des Ehrenamts lautet: Wer sich am meisten einsetzt, im Extremfall bis zur Selbstaufopferung, wird am schnellsten entfernt, wenn er oder sie es wagt, Kritik zu äußern. Und der Rausschmiss wird in der Regel von Häme und Schadenfreude begleitet. Solidarität? Ein Witz. Aber was für ein trauriger.

So. Für heute reicht das, es ist viel genug.

So viel und so schrecklich beeindruckend, dass ich an einem Buch schreibe über das bald zurückliegende Kalenderjahr - und über die Vorgeschichte natürlich, die in diesem Exzess endete, enden musste sogar, wenn das eben angesprochene Gesetz gilt. Was soll ich sagen? - Es gilt, und wie es gilt.

Gruß vom blauen Elefanten M.
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Anne.Freiburg 4076 14. 11. 2018 17:06

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