Hi Nachtwandler,
> Aber obwohl die Schere immer weiter wächst,
> würde es den Menschen am unteren Rand zunehmend
> besser gehen, sich deren Lebensstandard immer
> weiter erhöhen. So würden zunehmend weniger
> Menschen durch Verhungern sterben.
Das ist so weit korrekt. Der Kapitalismus hat viele gute Dinge in ALLEN Schichten bewirkt und Reichtum und Überfluss gebracht und dafür darf man dieses System auch zu recht mal loben.
>
> Dabei führt Rainer Zitelmann etwas ins Feld, was
> ich für den Kern seines Denken halte und daher
> mal anführen will. Er sagt, die Schwierigkeit
> (bzw. der Denkfehler vieler Menschen) sei, dass
> die meisten Menschen glauben, es gäbe einen
> Kuchen, der gleich bleibe und wobei die Einen
> folglich weniger hätten, wenn die Anderen mehr
> davon nähmen. Das sei aber eine falsche Annahme
> und vielmehr sei es so, dass der Kuchen immer
> größer werden würde. Und der Reichtum der Einen
> nicht nur nicht die Armut der anderen sein,
> sondern das die Armen gerade erst dadurch mehr
> hätten, dass die Reichen mehr hätten.
Hm, ja, das KANN so sein. Der Kuchen wird immer größer, schon richtig. Aber was passiert, wenn mein Stück vom Kuchen zeitgleich kleiner wird? Wird es schneller kleiner als der Kuchen größer wird, werde ich ärmer. Das heisst nicht zwangsweise verhungern oder so, aber reduziert sich meine Kaufkraft, so wird mein Leben schwerer. Miete, Gas, Wasser, Transport... Alles wird teurer. Muss es auch, Inflation und so. Wenn jetzt aber mein Lohn nicht mit der Größe des Kuchens steigt, dann krieg ich irgendwann mit den Kosten Probleme.
Ein wachsender Kuchen ist noch keine Lösung. Es kommt auf die Entwicklung meines Stückes dieses Kuchens an. Das ist das Knifflige.
Weiters ist der wachsende Kuchen nicht beliebig groß. Wir haben nur eine Erde.....
Früher oder später hat der Kuchen seine maximale Größe erreicht, und dann ist die "Lösung" des wachsenden Kuchens auch dahin...
Da gibts also schon zwei Probleme.
Drittens ist da das Problem der sozialen Mechanik. Klafft die Schere zu weit auf, so reisst es eine Gesellschaft auseinander, völlig egal wie gut es dem unteren Rand geht.
Eine zerissene Gesellschaft ist keine Gesellschaft mehr, sondern 2 Gesellschaften und die fangen früher oder später an sich als eigenständige Körperschaften wahrzunehmen. Mit ihren eigenen Zielen, Vorstellungen, Wünschen. Das gibt Konflikte. Das passiert nicht spontan sondern gleichmäßig und schrittweise. Wir sehen das jetzt schon, wenn wir uns die "abgehobenen" Reichen ansehen, oder die auf uns gucken.
Völlig abseits des relativen Wohlstandes aller Gruppen ist die Schere an sich ein Problem.
Und dann natürlich die Frage von Fairness und Gerechtigkeit.
Alles Geld, dass existiert, muss durch die Realwirtschaft mit Wert versehen werden, sonst Inflation und Kollaps. Es fliesst aber immer weniger Geld in eben jene Realwirtschaft zurück und wird stattdessen in den Kapitalkreislauf im Kasino-Kapitalismus gesogen.
Da fragt sich der Arbeiter zu recht, für wen er da eigentlich ackert und ob das o.k. geht.
All das führt in meinen Augen zu einer Schlussfolgerung:
Kapitalismus an sich ist schon o.k. Wie genau er umgesetzt wird, ist das hüpfende Komma. Und bei der derzeitgen Usetzung könnte ich kotzen im Strahl. Wie viele andere auch.
Vom Vergleich zwischen Aufstieg des unteren Randes bei zeitgleichem Fall der Mitte am Beispiel Amerika will ich jetzt gar nicht erst anfangen......
Ja, verhungern tun weniger Menschen. Good job.
Aber was mit all Jenen, die vom Arbeiter zum Tafelgänger gefallen sind?
>
> Wobei mir bei seinem Buch durchaus manchmal der
> Gedanke kam "Sind die Dinge gut, nur weil die
> Menschen in einem bestehenden System nicht
> verhungern?" So stellt er beispielsweise
> Arbeitslosengeld II (oder umgangssprachlicher
> "Hartz IV") als Fortschritt dar und hält es für
> den richtigen Weg. Wo mir dann der Gedanke kam,
> dass es bei dem System denjenigen am unteren Rand
> doch nicht so gut ginge...
Auch hier denke ich:
An sich keine schlechte Idee. Fördern und fordern ist ne gute Maxime.
Die Umsetzung dagegen, porträtiert in der letzten Folge der Sendung "die Anstalt", ist mal wieder vom Kalber kotzen im Strahl...
>
> Dazu kommt mir auch ein kurzer Wortwechsel in den
> Sinn, den ich vor nicht allzu langer Zeit mit
> einem Bekannten hatte. Ich sagte zu meinem
> Bekannten, die Dinge würden sich ja zum Guten hin
> entwickeln, der Hartz-IV-Satz werde ja nach und
> nach angehoben. Darauf antwortete mir mein Freund,
> dass es schon richtig sei, dass der Hartz-IV-Satz
> langsam steige. Nur würden die Preise schneller
> ansteigen als das, was Hartz-IV-Empfänger
> kriegen. Und dadurch würden die Menschen
> zunehmend verarmen.
Bingo! Die Sache mit dem Kuchen un der relativen Größe des Stücks.
>
> Ich weiß nicht... Ich habe die Entwicklung der
> Preise nicht so sehr im Blick und verfolge es
> nicht so sehr. Insofern weiß ich nicht, in
> wieweit die Aussage meines Bekannten stimmig ist.
Ich hab mal ein par Jahre nahe am Hartz Niveau gelebt. Jetzt, nen knappes Jahrzehnt später müsste ich auf deutlich mehr verzichten als damals. Zumindest laut einer groben Überschlagsrechnung.
Kommt schon hin.
Cheers
Phoenix
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Von Aschenputer bis Napalmdrossel.
Männlich, 37, Bipolar 2, Pregabalin 150mg