Brief an die Angehörige

manichusband
16. 07. 2002 19:53
Liebe Ehefrau,


einen Computerbrief bekommst Du, weil ich drauflos schreiben und
es ein bißchen sortieren will, so gut es geht.
Einen Brief, weil ich Dir, bevor Du "weg" bist, Dir noch einiges sagen möchte,
was aber in einem Gespräch mir so wahrscheinlich nicht gelingen kann.
Über manches haben wir schon gesprochen, bitte nimm' es trotzdem ernst
und sage oder schreibe mir was dazu.

Vieles von dem, was ich denke, mache, sage und hier schreibe, ist natürlich
krankheitsgeprägt, das ist es wahrscheinlich immer, egal, in welcher Phase
ich mich gerade rumtreibe. Die Krankheit ist wirklich schlimm,
ich erkenne das langsam, und sie gehört zu mir.
Ohne sie wäre ich nicht der, der ich war und der ich bin.

Wir hatten es lange gut und schön miteinander. Nie werde ich vergessen,
wie alles begann und wie schön sich das Leben völlig neu entwickelte.
Unsere Liebe war nicht irgendeine und wird immer einzigartig bleiben.
Ich finde es traurig, schade und bin wie Du im Grunde fassungslos.
Fassungslos, am allermeisten, weil mein Wunsch, mit Dir
gemeinsam Alt zu werden, offenbar gescheitert ist.

Es geht nicht um Vorwürfe, es geht ums Verstehen,
es geht um das gute Recht auf eine Chance
(Chance ist das häufigste Wort im Text geworden).
Ich will verstehen. Und ich will, dass Du verstehen kannst.


WARUM?, was ich mir nicht beantworten kann.

Durch die Erfolge im Beruf und mit Dir, Dein Lover endlich weg,
wir lieben uns wieder, Arbeit macht wieder Spaß und läßt sich erfolgreich
gestalten, in die Kneipe kann ich auch wieder mit erhobenem Kopf,
und so weiter war ich natürlich gelöst, froh, glücklich, das Risiko zur
Manie war auf alle Fälle da. Wenn es so ist, dass das Ende unserer
Ehe im entscheidenden Moment hauptsächlich von einem manischen
Schub meinerseits ausgelöst wurde, und Du das schon erwartet hast,
warum mußte ich da so reinrauschen?

Mag' Deine Reaktion auf die Tatsache, dass ich mit Deiner Freundin
einer Meinung bin, für andere auch verständlich sein, für mich ist
es bis heute nicht. Egal, ob sie ungerecht war oder Recht hatte.
Deine Reaktion war übertrieben. Du haust erst ab, tobst durch mein Büro,
schreist mich an; der Abend, wo die Frau, die Du monatelang gehasst hast,
auch noch Öl auf mein Feuer gießen durfte bis zu dem Punkt, wo Du dich
verzweifelt zuballerst mit Wein und Tabletten und mich mit einem angeblichen
plötzlichen Alkoholismusproblem konfrontierst, obwohl dieser Tag
endlich wieder völlig ruhig, in Ordnung und voller Liebe war.
Und als ich nicht darauf eingehen will, das ganze Drama.
Da war nichts dran, was einen beginnenden manischen Schub
auch nur im Ansatz verhindern könnte.

Ich will das hier deshalb aufschreiben, damit Du siehst,
dass ich für eine "andere Sicht" bis jetzt noch keine Chance
von Dir bekommen habe.

Als ich nicht mehr weiter wußte, habe ich sofort Deine Familie trotz
des Infarktrisikos bei deinem Vater zu Hilfe gerufen. Es gab für mich
keine andere Möglichkeit als zu tun, was ich tat. Das war auch in den
Wochen danach, wo für Alle (Familie, Freunde, usw.) sichtbar war,
dass was Schlimmes passiert ist und wie ich darauf reagiere, so.

Als ich von Deinen Gesprächen mit unserer Psychiaterin und dem
Thema Einweisung Wind bekommen habe, habe ich nur Angst
bekommen und nicht mal eine Idee davon, dass mir jemand helfen will.
Das ist jetzt hypothetisch: Ich glaube nicht, dass eine Zwangseinweisung
was gebracht hätte. Nicht nur meinen Job wäre ich da losgeworden,
sondern auch noch meinen Titel - die Kammer würde mir die Lizenz
wegnehmen. Und noch mehr Selbstvertrauen. Ich wäre, glaube ich,
jetzt nicht gesünder oder weiter als ich bin. Ich glaube auch nicht,
dass wir beide uns dann näher wären, als wir es jetzt sind.
Vielleicht wäre ich noch stärker an mir selbst zerbrochen, als ich es bin.
Jetzt hab' ich noch eine kleine Chance, wieder klarzukommen.

Immer wieder bin ich am Ringen um meine "manische Aussage",
auch was uns beide betrifft. Warum habe ich "die Chance genutzt",
mich von Dir zu trennen? Gab es Prinzipien, Verhaltensweisen
oder sonst was, womit ich zwar zufrieden war, aber
ich eigentlich nicht zurechtgekommen bin?

Eins hatte ich schon oft gesagt und eingefordert: die von mir vermißte
"Solidarität" in Bezug auf meine Arbeit, meine Leistung. Meine
Diplomarbeit war für Dich kein Erfolg, sondern nur ein Drama.
Hättest Du zugelassen, dass ich mich einmal so gegenüber Deinen
beruflichen Dingen verhalte? "Und Dafür habe ich Dich so lange
studieren lassen", beinhaltete für mich immer zwei Erniedrigungen,
auch wenn Dein Spruch für Dich und für mich manchmal lustig war.
Kostenfaktor und die zweite Geige hinter "der Medizin"?
In Anführungszeichen, weil ich nie wieder so ikonenhaft über
Medizin denken werde. Ich weiß, dass es sehr viele Ärzte gibt,
die das völlig anders sehen gelernt haben.
Da habe ich eine Weile gebraucht für und kam bis zu dem Punkt,
an dem ich im vorletzten Sommer angesetzt habe. Auch da: für eine
Erkenntnis, ein Miteinander oder auch Anerkennung, Unterstützung
egal was, ich hatte keine Chance; harmoniesüchtig, wie wir beide sind,
es gab keine Auseinandersetzung sondern offenbar eine Zeitbombe.

Es könnte sein, dass alles andere, was zwischen uns schlecht lief,
daraus resultierte. z.B. mein Hobby ist und war ein wesentlicher Teil
meiner Persönlichkeit, ein starker Identifikationsfaktor, aber nachdem
Du mich hattest, hast Du eine immer stärkere Ablehnung dagegen entwickelt;
z.B. die Leute, die ich im Studium, in der Arbeit, im Club oder
sonstwo kennengelernt habe. Du fandst alle irgendwann langweilig
oder blöd und hast sie es spüren lassen, bist nicht mit zu Einladungen usw..

Ich weiß, dass Du lieber den strahlenden Ingenieur- und sonstwas- Helden
an Deiner Seite gehabt hättest. Gerne wollte ich der ja auch sein und werden.
Nur, mal war der da, und Du hast ihn, glaube ich, nicht gesehen;
mal war der da und Du hattest damit gar nichts zu tun, oder wolltest das nicht;
mal war da ein Häufchen Elend auf dem Sofa und das sollte zum Arzt.

Ich wollte gerne eine erfolgreiche Ärztin an meiner Seite haben
und habe -glaube ich- alles getan, was ich konnte, damit sie es wird.
Kaum war sie an meiner Seite, dufte niemand über Medizin reden,
fast egal, was er für ein Problem hatte. Schließlich mußte ich mir abgewöhnen,
mit diesen Qualitäten meiner Frau zu glänzen. Schief gehen mußte,
die Probleme Deines 1.Chefs, von denen ich was verstand, mir als
Aufgabe anzuvertrauen, um mir in Deiner Welt einen Auftritt zu verschaffen.
Was es zum Nulltarif gibt, wird eben nicht Wert geschätzt. Hut ab vor dem
zweiten Versuch, nach unserer Trennung wurde ich anstandslos bezahlt.

Ich kann mir zur Zeit kein zurück vorstellen und habe große Angst vor
der Zukunft. Ich traue mich nicht, mich auf mich zu verlassen.
Werde ich eines Tages auf allen vieren um Verzeihung flehen und
Dich bitten mir zu helfen? Derzeit ist mir der Gedanke fern,
ich kann das aber nicht für ausgeschlossen halten. Nur, würde es nützen?
Du könntest mich so gar nicht mehr lieben. Ohne Selbstvertrauen, ohne die Möglichkeit, dem anderen auf Augenhöhe gegenüberzutreten,
geht das sowieso nicht.

Zu meiner Arbeit sehe ich nur wenig Parallelität. Ich habe es selbst versäumt,
auf mich zu achten, besser voranzukommen, viel Geld zu verdienen.
War ja auch schwer, überhaupt so weit zu kommen. Mehr war ja auch
nicht nötig. Kleine Extras, dass das Auto für den Kleinen drin war.
Ich mußte viel lernen, ackern, aushalten, verantworten, riskieren.
Trotzdem war es nie genug, dass es aus dem Stand heraus sofort für mich allein
gereicht hätte. Die innere Kündigung war doch schon lange geschrieben, als ich manisch wurde. Als die Trennung ablief, habe ich panische Angst vor der wirtschaftlichen Unsicherheit bekommen, die ich jahrelang nicht haben mußte.
Wozu soll ich da weiterarbeiten? Reicht doch eh' nicht.
Also neue Strategien und altbekannte manische Fehler.
Die Angst ist jetzt weg, das Problem größer geworden. Der Weg zurück ist da
zwar versperrt, die Kollegen lassen mir keine Chance. Vom Chef hätte
ich gute Chancen bekommen, der weiß, was ich kann und ist in der Lage,
mich trotz Manie ernst zu nehmen. Das Projekt nahm schließlich keinen
Schaden. Ich hätte da aber auch Schwierigkeiten mit der Augenhöhe.
Das Selbstbewußtsein muß ich mir auf anderem Wege erarbeiten.

Trotz Depression habe ich Dich wiedergekriegt, nicht wegen.
Ohne mich hättest Du mit Deinem Lover-Wahnsinn noch mehr kaputt
gemacht als nur Porzellan. Trotz Manie oder manischer Phase:
bis heute habe ich mein bisher größtes Projekt hingekriegt, nicht wegen.
Dein Lover hat mich genauso ernst genommen wie der Prof. und die
Runde mit vielen hochdotierten Medizinern vom Projekt, die mich nun
seit 14 Monaten kennen. Niemals wäre da ein manischer oder depressiver Gefahrenfaktor so lange unerkannt geblieben, weil es da ums Geld geht.
Jetzt, nach meiner Supermanie, in der ich angeblich alles kaputt gemacht
haben soll, kriege ich (hoffentlich, langsam) Chancen auf Folgeaufträge.

Viele sagen, auch Du, man hätte mich nicht erreicht. Das stimmt so nicht.
Ich habe alles gehört und mir die Gedanken gemacht, die ich mir machen
konnte. Erreicht hat mich alles, nur wenn ich nicht ernst genommen werde,
wende ich mich ab, entweder manisch oder depressiv, weil ich das kämpfen
nie lernen wollte. Man hat mich erreicht. Mein Arzt, meine Therapeutin,
Leute im Projekt, viele aus Familie und Freunde - wer mich erreichen wollte,
hat mich erreicht, gebremst, geholfen, Mut gemacht. Keiner außer denen,
die Geld dafür kriegen, hat natürlich den langen Atem, den ich habe,
wenn es mir schlecht geht. Und niemand, der erwartet, dass ich jetzt
"einsichtig" werden würde, wird mich erreichen. Jetzt ziehe ich die Decke
so sehr über den Kopf, dass mich niemand mehr erreicht, wenn ich mich
nicht zwinge dazu. Natürlich ist da kaum noch jemand, der zuhören will.
Jetzt kann ich nur schlecht arbeiten, habe ich Probleme,
aus meinen Chancen was zu machen, mich selbst wieder ernst zu nehmen
und die Aufträge überhaupt anzunehmen.


Wegen all dem muß ich da weitermachen, wo ich am Ende meiner Manie
aufgehört habe und nicht da, wo die Manie begann.
Und leider auch da wo ich bin. Das Gejammer lass ich weg.



Es ist schade, dass Du weggehst von hier.
Ist ja zum Glück nicht soo weit weg.
Es freut mich, wenn wir telephonieren können, auch wenn da mal einer
heult. Ich hoffe, wir können bald wieder besser füreinander da sein.
Ich seh' Dich auch gerne wieder, wenn wir beide Geduld füreinander haben.




Tschüß
Dein Dich liebender MDler
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Brief an die Angehörige

manichusband 1063 16. 07. 2002 19:53

p.s.: Brief an die Angehörige

manichusband 343 17. 07. 2002 09:48

Re: p.s.: Brief an die Angehörige

hydra 601 17. 07. 2002 10:53

Re: Brief an die Angehörige

Radz 439 19. 07. 2002 21:32



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