Hallo Brickman,
heute würde ich sagen, hätte ich das Wissen von heute, bzgl.
"was ist Therapie, wie geht Therapie, was kann ich erwarten und was nicht, was muss ich geben, etc pp.", hätte ich mir einige Umwege ersparen können.
Gehe ich zu meinem Hausarzt und sage, ich habe immer komische Schmerzen und Magendruck, dann schaut dieser nach, sagt vielleicht "kein Wunder, sie haben Gallensteine, ich überweise sie ins Krankenhaus", dann nach der Op bin ich hoffentlich beschwerdefrei.
Naiv wie ich damals mit über 30 Jahren war, glaubte ich, so funktioniert es auch im psychiatrischen System und erst Recht in der Therapie. Nun, es ist ja auch kein Schulfach, dass man weiß, wie es funktioniert und eigene Erfahrungen davor hatte ich auch nicht, wie sollte ich es auch wissen?
Genau das ist aber auch ein wenig mein Kritikpunkt, denn mein Eindruck war am Anfang, dass die Fachleute auf diesem Gebiet davon ausgehen, dass man dies weiß. Der erste kognitive Verhaltenstherapeut versuchte einer tief depressiven Person, wie ich es damals war, etwas von Gedanken, Bewertungen und Gefühlen zu erklären. Ich hörte die Worte, doch war ich in meiner stock depressiven Einbahnstraße gerade gefangen und konnte den Dingen gar nicht folgen.
Es war also nicht passend für mich, in dieser Situation und der Therapeut konnte anscheinend nicht von seinem "Konzept" herunter, um zu erfassen, das ich kognitiv gerade gar nicht in der Lage war. Es war also erfolglos und endete für mich in eine stark suizidalen Krise und in der Klinik.
In der Klinik wurde ich dann wiederum mit einem Satz konfrontiert, der sicherlich nicht ganz falsch ist, aber wieder mal zur falschen Zeit kam:
"Wie glauben Sie, wie wir ihnen helfen können? Was sollen wir tun?". Ich war völlig überfordert mit diesem Satz, einige Stunden zuvor war gerade mein Suizidversuch vereitelt worden und dann soll ich sagen, was mir hilft? Was die Lösung für meine Probleme wären?
Diesen Satz oder diese Sätze zur richtigen Zeit gestellt, können aber bewirken, dass man seine eigenen Vorstellungen dazu entwickelt, das man dadurch in die Lage versetzt wird, sein Gegenüber als Geburtshelfer wahrzunehmen, um seine eigenen Lösungswege zu finden.
Und hier setzt dann auch schon das "Wie" an. Die Vorstellung, der andere sagt wie ich meine Probleme lösen kann, ist in diesem Bereich nicht Zielführend, denn es muss ja immer darum gehen, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, damit ich nicht abhängig werde vom Therapeuten, sondern meine eigenen Strategien mir erarbeiten kann, um sie in Zukunft für mich weiter auszubauen und anzuwenden, auch ohne therapeutische Hilfe.
Das heißt, wenn man nicht gerade in einer akuten Krise ist, wo es dann erst mal nur um eine Stabilisierung gehen kann, sollten die ersten Stunden darum gehen, seine Ziele für die Therapie zu finden, hat man darüber eine Vorstellung, wird es leichter und man kann gemeinsam daran arbeiten.
Passend sollte auch das Gegenüber selbst sein, ich muss ein gutes Gefühl haben, mich ihm anvertrauen zu können. Für mich bedeutet das aber nicht, dass ein Therapeut oder eine Therapeutin nicht auch mal mich in Frage stellen darf, mal Klartext reden kann oder provokativ wird. Ist das Vertrauen da, geht man vielleicht manchmal mit einem Begriff "A-r-s-c-h..." nach hause. Setzt sich mit diesem Gefühl auseinander und kommt dann irgendwann drauf, warum man dieses Gefühl gerade hat, was da angesprochen wurde. Vielleicht stelle ich fest, dass dieser "A" doch gar nicht so unrecht hat und das er nur einen wunden Punkt bei mir getroffen hat, den ich mir vielleicht mal genauer anschauen sollte. Oder aber ich finde es nach wie vor einfach nicht gerechtfertigt und ich traue mich, dies in der nächsten Stunde auch anzusprechen.
Und wenn man auf der Stelle tritt, für eine Zeit, sollte es möglich sein, von beiden Seiten angesprochen zu werden, damit man schaut, ob man die Ziele anpassen muss, es vielleicht doch nicht die richtigen sind, etc. pp.
Nachtrag: Auf jeden Fall geht es darum, sich einlassen zu können, was nicht immer ganz leicht ist, weil es manchmal weh tut, weil manche Glaubenssätze, Meinungen, Prinzipien auch hinterfragt werden können. Will man an sich selbst nichts ändern, ist man von seinem Weltbild völlig überzeugt, wird selbst der/die weltbeste Therapeut oder Therapeutin nicht helfen können.
Viele Grüße Heike
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Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.
"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 14.04.19 18:19.