Hallo zusammen,
ich bin neu hier im Forum - das heisst ich habe immer schon mal was gelesen, da ging es hauptsächlich um Medikamente. Hebe heute gesucht nach Heilung und diesen Baum gefunden.
Ich finde den Text toll.
Aber er ist natürlich auch sehr dicht. Dass das jemanden, der gerade akut krank ist oder sich auf diesen Weg noch nicht begeben hat, als Worthülsen erscheint kann ich verstehen. Letztendlich ist es ja auch das Schwierigste, unser Erleben in Worte zu fassen.
Von Recovery habe ich tatsächlich noch nichts gehört, obwohl ich dachte, dass ich so gut wie alle Konzepte kenne.
Ich habe es gegoogelt: es vereint einiges, von positiver Psychologie, Achtsamkeit, Salutogenese usw.
Ein neuer Sammelbegriff, gut, umsomehr von diesen Konzepten es gibt, umso besser.
Einer der Vorreiter war Aaron Antonovsky mit dem Salutogenese-Konzept - interessant ist die Entstehungsgeschichte. Er hat Überlebende von KZs befragt, er wollte herausfinden wieso die einen an ihrem Schicksal zerbrechen und andere ein erfülltes Leben leben können - Menschen die das maximale Grauen erlebt haben, das jenseits jeder Sinnhaftigkeit und Erklärbarkeit liegt. Das beeindruckt mich, das macht das eigene Schicksal kleiner.
Dann hatte ich noch einen weiteren Gedanken dazu. Der Autor hat das Privileg seine Erkrankung zu seinem Beruf und seiner Berufung machen zu können, von seinen finanzielle, intellektuellen und sonstigen Ressourcen her.
Das hat nicht jeder.
Das Achtsamkeit zum Schlagwort in jeder Apotheker-Umschau geworden ist, ist auch offensichtlich. Ich selbst war nach meiner ersten Episode 10 Jahre recht stabil ohne Medikamente. Und viel mit Hilfe von Yoga, Körperarbeit, buddhistischer Philosophie - ja ich war auch schon im ZEN-Kloster die Wand angucken. Ich war recht weit auf dem Weg.
Und dann bin ich vor vier, fünf Jahren richtig schwer erkrankt - auch durch ein gewaltvolles Umfeld und wiederaufleben alter familiärer Konflikte. Ich war in vielen Kliniken, habe einen Suizidversuch hinter mir. Mein Kopf drehte nur noch hohl, meine Emotionen auch und jeglicher Sinn war wieder weg. Warum leben?
Inzwischen war die Achtsamkeit in den Kliniken angekommen. Das sah so aus, dass mann einmal die Woche Blätter sammeln ging oder achtsam einen Tee trank. Mein Partner, den ich in einer der Kliniken kennenlernte - er hatte zuvor eine Depression - erzählte mir tatsächlich dass in der akuten Depression eine Ärztin zu ihm sagte, er solle in den Wald gehen und einen Baum angucken. Das ist purer Hohn und gefährlich. Sein Kommentar war: „Wenn ich mir nen Baum angucke, dann nehm ich nen Strick mit.“
Mir ging es so, dass ich nichts in der Richtung mehr machen konnte. Eine Kunsttherapeutin leitete eine Tiefenmeditation an - ich wusste inzwischen wie gefährlich das in meinem Zustand ist und weigerte mich. Ansonsten - da gab es noch die Entstpannungsgruppe, da legte ein Pfleger abends in einem ollen Turnraum eine CD ein … auch das war mir zu viel und nicht hilfreich.
4 Jahre ging vieles nicht mehr. Früher bin ich viel in den Wald gegangen mit dem Fahrrad oder zu Fuss. Ich probierte einen Spaziergang zu machen und nach zwei Minuten merkte ich, das es die reine Qual ist. Ich habe kognitive Methoden ausprobiert, Visualisierung, nichts half mehr gegen den ununterbrochenen Horror in meinem Kopf. Was mein Leben gerettet hat, war mein Partner, der trotz allem zu mir stand. Ich weiss nicht ob ich sonst überlebt hätte.
Und das ist meine erste ernst zu nehmende Partnerschaft, mit Mitte 40.
Seit letztem Sommer hat sich meine Symptomatik gebessert, warum auch immer, da habe ich an einer anderen Stelle beschrieben hier im Forum.
Ich setze nun die Medikamente ab, da kam dann einiges hoch. Nach einer furchterregenden Panikattacke im Herbst, habe ich beschlossen, dass ich das nicht mit meinem Partner teilen kann und bin nach Jahren zu einer Therapeutin gegangen.
Sie hat mich wieder auf den Weg der Achtsamkeit gesetzt - und ich bin sehr dankbar. Jetzt kann ich an meine Ressourcen wieder anknüpfen und schaffe im Moment den Weg durch meine Gefühle und Gedanken ganz gut.
Nach der fünften Stunde fing sie dann an, doch wieder in meiner Kindheit rumzuwühlen, was mich wahnsinnig wütend macht gerade - aber dazu schreibe ich ein andermal.
Ich konnte auch meine Panikattacke mit ihrer Hilfe einordnen - ich hatte Existenzängste. Ich muss mich im Moment damit auseinandersetzen, dass ich in der normalen Arbeitswelt wohl nicht mehr funktioniere. Da geht es mir genauso wie Heike - ich muss also schauen, wie ich mich trotzdem sinnvoll und wertvoll fühlen kann und was ich machen kann.
Ich möchte nur allen ans Herzen legen, der ernsthafte Weg der Achtsamkeit kann sehr mächtig sein, aber auch gefährlich für angeschlagene Menschen. Man kann einfach mal mit einem guten Yogakurs anfangen, wenn man es ausprobieren möchte.
Natürlich sind das alles nur Worthülsen, wenn man es nicht probiert, denn es geht ums Spüren und Erfahren - die Herstellung von Verbindung zwischen Denken und Fühlen. Wenn ich krank bin, bin ich komplett getrennt von allem, von Aussen aber auch von meinem Gefühlen und meinen Gedanken. Der Weg bedeutet Herstellung von Verbindung, auch zur Welt und zu anderen Mensch - das ist nicht egoistische. Da empfinde ich die normalte Psychotherapie viel mehr als eine Ego-Schulung.
Und es geht um Gewaltfreiheit. Meines Erachtens hat Gewalt einen grossen Anteil an der Krankheit. I
n der Depression ist man ja oft autoaggressiv - abwertende Gedanken und Stimmen. Oder auch gegen andere.
Das ist mir hier auch in der Diskussion aufgefallen, einige Kommentare sind sehr aggressiv.
Mein Freund war in letzter Zeit oft aggressiv gegen mich - ich wusste er hat im Moment viele Sorgen und habe es erst mal nur kommentiert und stehen lassen. Ich habe es geschafft nicht persönlich zu werden und dagegenzuschiesssen. Können tu ich das sehr gut.
Nach ein paar Tagen hat es mir gereicht und ich habe zu ihm gesagt - "eine Therapeutin würde sagen, unter deiner Wut liegt deine eigene Unzufriedenheit". Er ist nicht wahnsinnig psychologisch unterwegs - aber es hat Wunder geholfen. Jetzt erholt er sich.
Das war ein langer Weg, bis ich da hin kam. Ich bin autoritär erzogen, Gefühle wurden lächerlich gemacht und ich höre immer mal wieder die abwertenden Stimmen meiner Familie in mir. Wenn es gut läuft, kann ich mich distanzieren. Darauf bin ich inzwischen stolz. Und oft klappt es nicht. Dann kann ich mich aber z.B auch entschuldigen.
Wie der Autor schreibt - es sitzt in den tiefsten Strukturen. Und auch bei mir ist es zu einer Lebensaufgabe geworden, ein anderes Verhalten zu kultivieren. Auch das kann Sinn machen - ein Stückchen Positivität in die Welt geben. Das ist Achtsamkeit.