Identitätsprobleme und Freundschaftsabbruch

20. 09. 2017 12:32
Liebe Forumsmitglieder,

bei meiner langjährigen Freundin wurde vor drei Jahren eine bipolare Störung diagnostiziert, nachdem sie in einer stark depressiven Phase Selbstmordgedanken geäußert hatte. Der Arzt betrachtete eine Lithiumtherapie als besten Weg, teilweise kombiniert mit einem Antidepressivum. Dadurch war es ihr wieder möglich, ihren Beruf auszuüben. Doch vermisste sie immer wieder die Höhegefühle in der Manie, sie fühlte sich zu sehr "Mittelmaß".

Zudem stellte sich im Laufe der Therapie eine Identitätsproblematik ein: Sie äußerte immer wieder, sie wüsste nicht mehr, wer sie sei, und was ihr gefiele (zum Beispiel bei der Kleidung). Das Lithium führte offenbar dazu, dass die bisherige Identität infrage gestellt wurde. Eine Psychotherapie hatte sie nur ein paar Monate gemacht, als sie mit der Lithiumeinnahme begonnen hatte. Danach wollte sie keine psychotherapeutische Begleitung mehr annehmen und beschränkte sich auf die Einnahme der Tabletten. Mir fiel auf, dass sie zunehmend darauf drängte, das wir uns mindestens einmal in der Woche treffen. Diese Treffen dienten zunehmend nur noch dazu, ihre Probleme bei der Arbeit, aber auch in der Familie, mit Mann und Kind zu besprechen. War sie das eine Mal begeistert über ihre Ehe, konnte es beim nächsten Mal (nach einem kleinen Streit mit ihren Mann) schon sein, dass sie eine Trennung in Erwägung zog. Hinzu kamen viele körperliche Krankheiten (Rücken, Haut, Gelenke und vieles mehr). In dieser Zeit wurde mir klar, dass die bipolare Erkrankung immer noch präsent ist und offenbar nicht geheilt ist (sondern nur weniger extrem).

Da wir über 25 Jahre eng befreundet waren und ich sie sehr mochte, habe ich mir meist alles angehört und sie geduldig beraten. Dann fing es schleichend an, dass sie mich und mein Leben kopierte, angefangen von meinen Freizeitbeschäftigungen und Hobbys, bis hin zu Kleidung und Verhaltensweisen. Sie war der Meinung, dass ich alles richtig mache, beruflichen Erfolg habe und die Männer mich toll finden. Ich wollte nicht auf diesen Sockel gestellt werden und habe das ihr auch immer wieder gesagt - aber ohne Erfolg. Zunehmend hatte ich den Eindruck, dass sie mich möglichst stark kopieren wollte, um die gleichen (vermeintlichen) Erfolgserlebnisse zu haben. Ich fühlte mich zunehmend bedrängt und eingeengt.

In Gesprächen bat ich sie immer wieder, psychotherapeutische Unterstützung anzunehmen, sie meinte aber, sie würde keinen "Leidensdruck" verspüren. Manche unserer Treffen verliefen regelrecht absurd: Kaum hatte ich etwas aus meinem Leben erzählt, sagte sie, sie hätte das genauso erlebt (obwohl es eine vollkommen andere Situation war) oder sie wollte das genauso noch tun oder haben. Kleidungsmäßig glich sie sich immer mehr an. Ich bot ihr an, mit ihr gemeinsam einkaufen zu gehen und sie dabei zu unterstützen, ihren eigenen Stil zu finden. Aber das lehnte sie ab, sie meinte nun, sie wüsste, was ihr gefällt und sie möchte nicht durch mich eingeschränkt werden. Da habe ich gemerkt, dass ich mich zurückziehen muss. Die Treffen mit ihr kosteten mich enorm viel Energie: die ständigen Problemgespräche und das Gefühl, energetisch regelrecht "ausgesaugt" zu werden. Sie pochte darauf, mich weiterhin einmal die Woche zu sehen und sprudelte über vor Ideen, was wir alles zusammen tun könnten (zusammen kochen, Sport machen, ins Theater gehen usw.). Ich zog mich jedoch immer mehr zurück.

Als meine berufliche Tätigkeit meine ganze Energie forderte, sahen wir uns "nur" noch 1- bis 2-mal im Monat. Da forderte sie ein offenes Gespräch ein, in dem ich (möglichst diplomatisch) alles darlegte, was mich in letzter Zeit bewegt hatte und dass sich in unserer Freundschaft etwas ändern müsste, da diese nicht ausgeglichen sei und ich mich durch das Nachmachen bedrängt fühle. Wieder legte ich ihr eine psychotherapeutische Behandlung ans Herz, weil ich nicht mehr die allumfassende Beraterin und gleichzeig Freundin sein konnte und wollte. Mir war klar, dass diese Art der Offenheit schwer zu ertragen ist, doch hatte sie Ehrlichkeit vehement eingefordert (was ich in einer Freundschaft ja auch sehr wichtig finde). Am Abend selbst trank sie etwa eine Flasche Wein und meinte, sie würde über das, was ich gesagt habe, nachdenken. Sie umarmte mich noch beim Weggehen. Am nächsten Tag jedoch schrieb sie eine Mail, in der das, was ich gesagt hatte, regelrecht auf den Kopf gestellt wurde. Sie meinte nur noch, ich hätte sie verletzt und sie wird die Freundschaft nun abbrechen. Das ist nun ein Jahr her und wir haben nichts mehr voneinander gehört.

Das Ende der Freundschaft war für mich überwiegend mit Erleichterung verbunden, da eine große Last von mir abfiel. Ich habe feststellen müssen, dass die Freundschaft schon sehr ausgehöhlt und ungleich war und dass ich unsere Treffen in den letzten Monaten nicht vermisst habe. Gleichzeitig denke ich darüber nach, wie diese Erlebnisse einzuschätzen sind und welche Rolle ich dabei gespielt habe. Das scheint mir wichtig zu sein, um die Erfahrungen verarbeiten zu können. Wie kann eine enge Freundschaft nach so vielen Jahren einfach beendet werden? Ich habe mich doch immer sehr darum bemüht, dass es meiner Freundin gut geht. So ein abruptes Ende ist ja immer etwas schwierig, weil man nicht richtig verstehen und verarbeiten kann, was passiert ist.

Hat jemand von Euch ähnliche Erfahrungen mit Identitätsproblemen einer bipolar erkrankten Person gemacht und kennt das Kopieren einer anderen Person zur Identitätsfindung? Wie ist der Freundschaftsabbruch einzuschätzen? Hätte ich als Freundin einer bipolar Erkrankten anders handeln können/sollen?

Vielen Dank für Eure Ideen dazu! Es würde mir helfen, die Erfahrungen besser zu verarbeiten.
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Identitätsprobleme und Freundschaftsabbruch

Tillistata 965 20. 09. 2017 12:32

Re: Identitätsprobleme und Freundschaftsabbruch

Beliar 383 20. 09. 2017 13:14

Re: Identitätsprobleme und Freundschaftsabbruch

Tillistata 409 21. 09. 2017 15:58

Re: Identitätsprobleme und Freundschaftsabbruch

Friday 362 21. 09. 2017 14:57

Re: Identitätsprobleme und Freundschaftsabbruch

Tillistata 406 21. 09. 2017 15:54



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