Re: ich bin erstaunt....

26. 05. 2017 13:11
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"Ich mache mir Sorgen um dich" - "wenn dir was passiert, stehe ich vor den Anderen dumm da"

Ohja! Als ich 17 war, wollte ich zwei Wochen nach Wien fahren, alleine.
Meine Mutter hätte sich ja nun erfreut darüber zeigen können, dass ihre Tochter in den Ferien eine Städtereise in eine so kulturell lebendige Stadt wie Wien unternehmen will. Aber nein... "wenn dir da was passiert, werde ich eingesperrt." Das hat sie echt so gesagt. Und es war nicht das einzige Mal, dass sie mir so kam.
Am Ende sagte ihr der Psychologe, bei dem ich damals in "Therapie" war, dass sie mich verdammt nochmal fahren lassen soll. Dann wurde um die Dauer gefeilscht... eine Woche... zehn Tage... mir war das wurscht, ich hab einfach die Jugendherberge 14 Nächte gebucht und fertig.
Ich hatte eine sooo schöne Zeit in Wien. Ich hatte mein Fahrrad dabei und erkundete die Stadt radelnd. Jeden Tag ein Museum, eine Sehenswürdigkeit... ich begegnete netten, offenen Leuten, Straßenbekanntschaften für einen Nachmittag oder nur für einen Kaffee. Ich bekam Wertschätzung meiner Interessen (die zu Hause belächelt oder als Rebellion verdammt wurden), die Leute gaben mir Tipps, was ich noch sehen sollte in Wien, sie behandelten mich wie eine ernstzunehmende Person.
Mein Lehrer aus der Kunstschule hielt sich auch gerade in Wien auf und in einem Vorort feierte seine Freundin im Haus seiner Großeltern Geburtstag. Ich war auch eingeladen und es ging zum Heurigen. Abends war mir leicht schwummrig von drei sehr dünnen Weissweinschorlen... aber die Leute behandelten mich mit Respekt und nicht so von oben herab, wie ich es gewöhnt war. Dort war niemand der Meinung, man müsse meinen hochfliegenden Intellekt zurechtstutzen. Zu Hause war das Programm.

Als ich wieder zu Hause war, interessierte es keine Sau, was ich in Wien erlebt hatte. Nur bei meinem Vater nahm ich ein kleines bisschen Stolz wahr, dass ich das durchgezogen hatte und mich für Historisches interessierte.

Und jedes meiner Dramen war das Drama meiner Mutter. Mein Mountainbike wurde geklaut und sie war eine Ewigkeit sauer auf mich, weil ich es dort abgestellt hatte, wo es geklaut wurde. Am Bahnhof. Trost? Murhaahaahaaaar... Vorwürfe und zusehen dürfen, wie sie sich in ihrem Selbstmitleid suhlt. "Ich habe so schwer schaffen müssen für das teure Mountainbike..." Und dann legte sie mir vorwurfsvoll die Versicherungspolice vor, in der stand, dass mein Fahrrad zum Zeitpunkt des Diebstahls nicht versichert war. Ich hatte die Versicherung doch nicht abgeschlossen und ich war auch nicht informiert, dass es nachts nur im eigenen Keller versichert ist. Und ich war es auch nicht, die sofort hysterisch zur Polizei gerannt ist. Ich hatte sogar noch gesagt, dass wir vorher in die Police schauen sollten. Aber nein. Es waren ja Verwandte da, weil meine Mutter ihren Geburtstag nachfeierte und vor denen konnte sie ja so richtig ein Schauspiel abliefern, wie schwer sie es mit mir habe. Und diese Verwandten verabschiedeten sich von ihr mit Beileidsbekundungen und von mir mit vorwurfsvollen Blicken.

Mit fünfzehn bin ich mal von zu Hause abgehauen, weil sie völlig freidrehte, weil ich mir eine Augenbraue und einen kleinen Teil meiner Haare mit auswaschbarem (!!!) blauen Haargel gefärbt hatte. Sie drehte völlig frei. Ich schloss mich in mein Zimmer ein, aber sie ließ mir keine Ruhe und nötigte meinen Vater, zu versuchen, die Tür aufzubrechen (!!!). Nachts lief ich weg. Nach zwei Tagen war ich wieder da und ich hatte mich zwischenzeitlich auch gemeldet, dass es mir gut gehe.
Als ich nach Hause kam, empfing mich meine Mutter in den ausgeleiertsten Klamotten, die sie hatte, gramgebeugt, verheult und jammernd sich in ihrem Selbstmitleid suhlend. Fast als ob jemand gestorben wäre. Und dann ging das Gejammer los. Was ich ihr angetan hätte, was sie wegen mir mitmachen müsse, was sie sich wegen mir für Sorgen machen müsse... und so weiter und so fort.
Beim Kaffeetrinken mit ihren Schwestern saß sie dann schweigend dabei, als diese anfingen, aufs Bösartigste rumzufrotzeln... ob sie mit mir schon beim Frauenarzt gewesen sei, nachdem ich ja zwei Tage weg gewesen sei. Und eine meiner Tanten brüstete sich noch damit, dass sie jede Rebellion ihrer Tochter sofort im Keim ersticke, damit nicht sowas rauskomme wie bei mir... und meine Mutter schwieg und ließ es zu, dass man sie verletzt und mich mit.

Und dann wurde mir ein Überweisungsschein von der Hausärztin vorgelegt. Und mit vorwurfsvollem Blick zeigte meine Mutter auf die "Diagnose". Da stand ohne Scheiss: "Vehaltensgestört." Wir waren dann sogar bei einem Psychiater. Der sagte meiner Mutter in meinem Beisein: "Ihre Tochter soll in zwei Jahren wählen gehen, wie stellen Sie sich das denn vor, wenn Sie ihr keine eigene Meinung gestatten?"

Und dann diese Situationen vor den Verwandten, wo meine Mutter immer meinte, sie müsse allen beweisen, dass sie mich nicht verhätschelt. Es wurde mir dauernd über den Mund gefahren. Wenn ich bei Arbeiten half, wurde das spöttisch kommentiert, das sei wohl was anderes als sich im Gymnasium den Arsch breitzusitzen und ich spürte, wie sie drauf warteten, dass mir der Rücken wehtue oder die Füße vom langen, ungewohnten Stehen.
Heute weiss ich, es ist Neid. Aber da muss man ja erstmal drauf kommen, dass erwachsene Frauen einem verstörten Teenager irgendwas neiden.
Bis heute kann meine Mutter nicht akzeptieren, dass ich Köchin bin. Wenn ich von meiner Arbeit rede, fährt sie mir über den Mund. Ich solle nicht ständig von der Arbeit reden und ob ich mich für eine Sterneköchin halte. Als wir einmal essen waren, bekamen wir eine Suppe, die schon gekippt war. Meine Mutter konnte das partout nicht zugeben, erst auf der Heimfahrt gab sie zu, dass es so wohl war. Im Restaurant fing sie fast Streit mit mir an deswegen. Ich sei arrogant und halte mich für was besseres und die Suppe sei ausgezeichnet.

Als ich mich mit dem Gedanken trug, wo anders zu arbeiten als im jetzigen Laden, sagte sie: "Ja, als Küchenhilfe findest du bestimmt was." Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren als Köchin und bin Sous-Chefin! Und das war ich schon, bevor ich überhaupt die Prüfung bei der IHK gemacht hab.

Wenn ich früher einen Ferienjob machte, ließ sie mich immer irgendwann wissen, dass sie sich ja bei Leuten (und sie kennt verdammt viele Leute, irgendjemand kannte sie also immer) erkundigt habe, wie ich mich so machte. Vorher hieß es O-Ton: "Aber mach mir keine Schande, nicht dass ich mich wegen dir schämen muss."

Oh mann, ich könnte das hier endlos fortsetzen.

Haushalt z.B. Sie erwartete, dass ich im Haushalt helfe. Völlig normal, denn sie hatte mit 35 Stunden als Verkäuferin mehr als einen Halbtagsjob. Aber sie sagte mir nie, was ich machen solle. Sie beschwerte sich nur immer, was ich nicht gemacht hätte und schließlich hätte machen können. Wenn ich sagte, dann solle sie es mir doch einfach sagen, was ich bis wann erledigen solle, dann sagte sie: "Nein, das ist wie Bitte sagen und Bitte sagen ist wie Betteln und das kann ich nicht." Und sie bezog mich nicht ein. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mal hieß: Wir machen jetzt zusammen das und das. Wäsche oder Abwasch. Es war immer: Ich muss jetzt dies und jenes machen und du machst das und das. Und "du machst das und das" kam in einem Ton, als ob ich es schon längst hätte erledigt haben sollen.
Ich sollte also Hellsehen können.

Natürlich war sie dann aber auch nie zufrieden. Legte ich Wäsche nicht so akkurat zusammen wie sie, räumte sie sie zwar trotzdem in den Schrank, aber natürlich seufzend.
Lob und Anerkennung gab es nur in der Form: "So gefällst du mir", "das lasse ich mir gefallen", "jetzt finde ich dich schön..."

Unangenehme Themen wurde nur mit gedämpfter Stimme angesprochen. Sogar zu Hause in den eigenen vier Wänden. Mit diesem dämlichen Ton, mit dem man überdrehte Kinder in Wartezimmern in Arztpraxen versucht, zu beruhigen.
Das unangenehme Thema war natürlich ich und mein Verhalten und so wie drüber gesprochen wurde, war es, als ginge es nur drum, das alles zu vertuschen, wegzumachen, auszublenden. Auch noch, als ich mir die Handrücken regelmäßig großflächig aufkratzte.
"Das machst du aber nicht mehr, versprichst du mir das?" Ihre Enttäuschung, ihre Sorge, ihre Scham, ihre Versagensgefühle, ihr Drama.

Und wenn das nicht half, dann wurde sie selber krank. Aber nur zu Hause. Arbeiten konnte sie trotzdem.

Endlos könnte ich das fortschreiben.

Therapie will ich machen, um das alles zu sortieren. Ich kriege mit, wie ich an manchen Stellen werde wie meine Mutter, vor allem was Einmischungen betrifft. Aber einer allein kann wohl kaum für sich rausfinden, was Trauma ist, erlernte Co-Abhängigkeit, Hochbegabung, manisch-depressiv... da müsste ein Mechaniker ran, so stelle ich mir das vor. Wie jemand, der ein Fahrrad auseinanderbaut, alles geordnet vor sich auf den Boden legt und dann anfängt, Ritzel für Ritzel und Schraube für Schraube zu reinigen, zu kucken, wo es hakt und dann alles wieder zusammenbaut. Und dann läuft es wieder besser.

Was ich mit mir mache, das ist eher wie ein Schwein mit einer Machete schlachten und es dann mit Gaffaband und Paketschnur notdürftig wieder zusammenflicken. Kommt hier vielleicht nicht so rüber, ist aber leider so, ich kenne da kaum Gnade.

Sumosimi

Taat du nee borom djogol, so djoge mu topola.
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Ceily 1279 22. 05. 2017 08:27

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

selma 339 22. 05. 2017 11:24

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Ceily 307 22. 05. 2017 14:40

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Sumosimi 387 22. 05. 2017 12:30

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Ceily 275 22. 05. 2017 14:38

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Sumosimi 292 22. 05. 2017 14:45

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Ceily 466 22. 05. 2017 14:51

@ Ceily

Deborah 378 22. 05. 2017 12:59

Re: @ Ceily, cc Deborah

A20213 293 22. 05. 2017 13:25

Re: @ Ceily, cc Deborah

Ceily 275 22. 05. 2017 14:46

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Lichtblick 314 22. 05. 2017 21:47

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Ceily 310 23. 05. 2017 10:39

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Lichtblick 331 23. 05. 2017 20:40

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

tschitta 344 24. 05. 2017 07:37

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Ceily 276 24. 05. 2017 09:11

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

tschitta 368 24. 05. 2017 09:22

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Ceily 253 24. 05. 2017 09:33

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tschitta 226 24. 05. 2017 09:47

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Ceily 285 24. 05. 2017 09:59

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Sumosimi 262 24. 05. 2017 12:48

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Sumosimi 361 24. 05. 2017 12:43

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Friday 260 24. 05. 2017 13:10

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Friday 235 24. 05. 2017 10:47

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Ceily 519 24. 05. 2017 11:55

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Friday 335 24. 05. 2017 12:48

Re: Bin überfordert durch Tod meines Vaters

Sumosimi 260 24. 05. 2017 12:55

ich bin erstaunt....

Amy123 368 24. 05. 2017 13:48

Re: ich bin erstaunt....

Ceily 305 26. 05. 2017 07:32

Re: ich bin erstaunt....

Sumosimi 357 26. 05. 2017 13:11

Re: ich bin erstaunt....

Ceily 231 26. 05. 2017 08:34

Kontakt zu meiner Mutter nun vorrübergehend abgebrochen

Ceily 290 26. 05. 2017 07:19

Re: Kontakt zu meiner Mutter nun vorrübergehend abgebrochen

A20213 265 26. 05. 2017 07:49

Re: Kontakt zu meiner Mutter nun vorrübergehend abgebrochen

Ceily 229 26. 05. 2017 09:40

Re: Kontakt zu meiner Mutter nun vorrübergehend abgebrochen

A20213 220 26. 05. 2017 10:20

Re: Kontakt zu meiner Mutter nun vorrübergehend abgebrochen

zuma 244 26. 05. 2017 11:24



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