Hallo Streuner und Willkommen,

Zunächst möchte ich sagen es tut mir leid was Dir alles passiert ist. Das ist wirklich furchtbar. Und bitte mach Dich nicht fertig dafür, dass es Dir gerade schlecht geht. Man kann wirklich von keinem Menschen erwarten, solche Erfahrungen einfach wegzustecken. Und wenn die anderen Menschen von Deinen Erfahrungen wüssten, dann würden sie auch verstehen, dass es Dir berechtigter Weise schlecht geht.

Damit meine ich nicht, dass Du es erzählen musst, sondern ich möchte Dir nur sagen, dass Du so in Ordnung bist, und Deine Reaktionen nicht unnormal sind.

Im Gegenteil: ich finde Dich sehr stark und auch sehr reflektiert, dass Du hierher gefunden hast und Dir hier Hilfe suchst.

Zu Deinen Fragen:

1. bin ich wirklich gestört und gebrandmarkt und bringt bzw darf man wütend sein auf seine Peiniger oder sind das auch nur Menschen
Ich würde nicht sagen gestört, wenn Du Dich umsiehst wie psychische Krankheiten zunehmen, merkt man, dass es eine komplett menschliche Reaktion auf Ausnahmesituationen ist. Gebrandmarkt... naja, Du hast auf jeden Fall schreckliches erlebt, das ist eine Wahrheit, aber ich glaube "gebrandmarkt" ist da kein hilfreiches Wort ist, statt einfach zu sagen "ich habe schreckliches erlebt".

Ja Du darfst wütend sein. In dem Fall meine ich ist es sogar gesund für Dich, die Wut nicht in Dich rein zu fressen.

2 wie kann man sich den Umgang mit Menschen beibringen wenn es keine mehr gibt die Resonanz bieten
Ich glaube dafür ist gerade nicht die richtige Zeit. Und vermutlich brauchst Du Dir auch nichts beibringen, Du hast nur gerade eine Phase in der Du Menschen meidest.

Ich meine es so: Ich bin, ohne mich selbst loben zu wollen, ganz gut im Freundschaften schließen und halten. Aber als jemand mit Bipolarer Störung gehe ich auch durch Phasen, in denen ich mich zurückziehen möchte, und mich nicht mit anderen auseinander setzen möchte. Es ist dann eine Blockade in meinem Kopf. Wenn ich mich dazu gesellen würde, würde ich nur da sitzen und ins Leere starren und ganz apathisch wirken. Ich kann die Informationen in einer Gesprächsrunde dann einfach nicht verarbeiten.

Wenn es mir selbst wieder besser geht, werde ich von alleine gesprächig und zugänglich und gehe auch auf andere wieder gern zu. Die Menschen die mir am nächsten stehen, müssen über solche Rückzugsphasen nur bescheid wissen, dann können sie auch damit umgehen.

Vielleicht hast Du also gar nichts verlernt und musst nichts neu lernen, sondern vielleicht hast Du nur gerade eine Phase wo Du einfach nicht sozial bist, weil es Dich gerade überfordert?

Vielleicht hast Du diese Erfahrung früher schon gemacht, dass es wieder anders werden kann?

Auf jeden Fall ist die Reihenfolge so: stabil werden -> soziale Kontakte wieder aufbauen. Im Moment machst Du Dir meiner Meinung nach Gedanken, wie Du das Pferd von hinten aufzäumen kannst.

3 habt ihr ne Idee warum alles auf einmal kommt direkt nach dem Auszug

Ja eine sehr gute Idee: Ich habe bisher von Ärzten und Ratgebern gelernt: Menschen mit Bipolarer Störung brauchen vor allem Struktur. Ein feste Struktur ist für alle Menschen gut für die geistige Gesundheit, genau wie ausreichend Schlaf, aber wenn man schon weiß, dass man empfindlicher ist, sollte man besonders darauf achten. Das heißt ein fester Tagesablauf, ein Wohnort, ein Bekanntenkreis und so weiter.

Für jemandem mit unserer Diagnose, kann zum Beispiel schon ein Urlaub, wo sich der Ort, das Klima, das Umfeld und der Tagesablauf ändert, oder auch ein Umzug, eine Phase auslösen.
Wie war das jetzt bei Dir? Neue Wohnung, neuer Job (vielleicht der erste eigene Job?), ständig neues Umfeld (wechselnde Gäste in der Bar, auf die Du Dich einlassen möchtest), neuer Tagesablauf, neue Verantwortlichkeiten (eigenes Geld verdienen). Es hat sich einfach alles geändert. Das ist viel zu verkraften. Da musst Du Dir keine Vorwürfe machen, dass Dir das nicht so leicht fällt, OK?

4 ich habe keine Erinnerungen daran Wie das leben normal ist empfinden angeboren und fühlt man automatisch richtig
Das musst Du bitte nochmal erklären.

Ich finde Deine Reaktion auf das was Dir alles passiert ist ziemlich normal und menschlich. Menschen sind nicht unendlich stark. Wenn Du Leute sehr stark findest, die haben einfach nicht soviel durchgemacht.

Aber bitte, wie meintest Du das? Vielleicht habe ich Dich missverstanden.

5 an wen oder was kann ich mich wenden ohne zu betteln oder mehrmals nachzufragen
Sozialpsychiatrischer Dienst ist eine gute Adresse.

Ich war damals in einer tiefen Depression. Meine Mutter hat dort für mich angerufen (sie wohnt in einer ganz anderen Stadt), und ich habe einen Termin dort bekommen. Ich konnte nichts anderes mehr schaffen in der Depression, manchmal konnte ich den ganzen Tag nicht aufstehen, aber dort habe ich mich aufgerafft und bin hingegangen. Und sie haben mich gleich mit dem Auto in die psychiatrische Klinik gebracht. Ich hätte das nie selbst gemacht, weil ich gar nicht wusste, dass man dort selbst einfach hingehen kann und sich einweisen kann, erst jetzt weiß ich das.
Der Dienst wäre auch zu mir nach Hause gekommen, wenn ich nicht hingegangen wär. Also die leisten wirklich schnelle pragmatische Hilfe.

6 hab noch einen brüchigen Kontakt zu einer so in der Art Beziehung werd aber komplett missverstanden ist es möglich überhaupt das man lieben kann mit so starken Empfindungen
Ja, Deine Empfindungen können sich wieder ausgleichen und stabilisieren, und dann kannst Du auch stabile Beziehungen führen.
Es fühlt sich immer alles sehr unmittelbar an. Ich habe über die Zeit gelernt mir zu sagen, wenn es mir schlecht geht: "Es geht vorbei, es wird auch wieder anders." Und dass ist mir sehr wichtig geworden.

Ich hoffen meine Gedanken konnten vielleicht ein bisschen helfen.
Schreib doch wie es Dir im Moment geht und wenn Du noch andere Fragen hast. :)

Erstmal alles Gute!

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30 Jahre alt, Diagnose 2011, Medikament: Quetiapin Retard 250mg



6-mal bearbeitet. Zuletzt am 05.05.17 11:38.