Ich habe diesen Baum nun zum größten Teil gelesen und fand die Antworten sehr erhellend. Gerade die Ausführungen von Moorfrosch waren mir manchmal zu ausufernd, einfach zu viel Text (Okay, ich gebe zu, ich schreibe auch gelegentlich sehr lange Antworten). Auch haben mich die Vermutungen hinlänglich Einflussnahme der Pharmafirmen aufs Forum weniger interessiert.
In den meisten Fällen geht es offensichtlich nicht ohne durchgängige Medikation, lese ich mal als deutlichen Tenor heraus. Und wenn es ohne Medikamente oder mit Bedarfsmedikation geht, scheint es kein einfacher Weg zu sein. Das macht zwar wenig Mut und Hoffnung, aber ich denke auch, man sollte da niemandem etwas vor machen und auch keinen durch die Vermittlung falscher Vorstellungen ins Verderben laufen lassen.
Eine Konstellation, die ich leider schon sehr häufig erlebt habe ist, dass es dem Betroffenen ohne Medikamente mehr oder weniger gut geht, der nicht-medikamentöse Weg für die Angehörigen und das übrige Umfeld aber sehr anstrengend sein kann. In einem Psychose-Seminar hörte ich mal die Feststellung, eine Psychose sei für den Betroffenen selbst oftmals das Paradies, während sie nach Außen hin von Rücksichtslosigkeit geprägt sei. Das mag nicht immer zutreffen. Ich kannte auch schon jemanden, der an diesem Zustand litt. Der in der Psychiatrie sogar darum bat, fixiert zu werden, weil er Angst davor hatte, sich oder anderen etwas an zu tun. Aber die Konstellation von Paradies für einen selbst und Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Menschen kenne ich aus meinen Phasen von mir selbst und auch von einigen anderen aus deren Phasen.
Manchmal ist das in einem irgendwo tolerierbaren Rahmen. So kenne ich etwa Leute, die ohne Medikamente oder trotz Psychopharmaka ein großes Redebedürfnis haben, recht abwegige Ansichten haben oder davon überzeugt sind, sie hätten eine Lösung gefunden, welche für alle Menschen die Richtige sei und von der nun alle überzeugt werden müssten. Das ist manchmal hinnehmbar, andere Male lediglich ein bisschen nervig. So habe ich etwa einen älteren Bekannten, der so etwa 65 Jahre alt ist und mich immer irgendwie "retten" will. Manchmal meint er, ich solle zu einem bestimmten Ort gehen, wo mir geholfen werden würde. Andere Male spricht er davon, wie es mir in Zukunft besser gehen könne als jetzt. Zwar wertet er mich nicht direkt ab, aber was dann ständig indirekt heraus zu hören ist, ist: "So wie du jetzt bist und da wo du jetzt stehst, bist du nicht in Ordnung." - Immer in der Grundannahme, man bzw. speziell er müsse mir helfen und ich wüsste auch selbst nicht, was das Richtige für mich sei.
Vor wenigen Tagen musste ich mich nun aber leider von einem anderen Freund distanzieren, dessen Art mir durch seine zu niedrige Dosierung von Psychopharmaka einfach zu unerträglich wurde. Er dreht sich die Vorgänge um ihn immer so, dass er gut da steht und alle anderen mehr oder weniger schlecht und gegen ihn sind. Manchmal sind seine Deutungen noch im Ansatz nachvollziehbar, in den meisten Fällen aber komplett abwegig und realitätsfern. Stellt man dann seine Sicht der Dinge infrage oder hat auch nur mal eine andere Meinung als er, kann er mit einer unglaublichen verbalen Aggressivität reagieren. Die dann oft jenseits jeder Verhältnismäßigkeit steht. So reicht manchmal schon ein kleiner Hinweis oder eine dezente Anmerkung dafür, von ihm verbal brutal und ausufernd niedergemäht zu werden. Er hat in dieser Hinsicht zwar gute und schlechte Tage, aber die Schlechten überwiegen leider deutlich.
Für diesen Freund selbst stellt das überhaupt kein Problem dar. Er gefällt sich in der Rolle desjenigen, der sich selbst in den Himmel lobt, während alle anderen Menschen schlecht und gegen ihn sind. Auch seine heftigen Wutausbrüche sieht er überhaupt nicht als Problem. Er ist in der Selbsthilfe aktiv und sagt, dass solle oder müsse es sogar hart zu gehen. Es gäbe überhaupt keinen Grund dafür, freundlich zu sein. Er zählt dann auch gern mal Gründe dafür auf, warum laut werden, emotional werden oder sogar total ausrasten gut sei und gar nicht vermieden werden müsse. Etwa solle man die Wut da lassen, wo sie hin gehöre. Weil er schon seit Jahren in Frührente ist und stetig in Umgebungen ist, die seine Wutausbrüche mehr oder weniger einfach hinnehmen, hat er auch durch Rückwirkungen seitens seiner Umwelt nicht wirklich Anlass dazu, sich gesellschaftsverträglicher zu verhalten. Es gibt keinen Arbeitsplatz, keine feste Beziehung zu einer Frau oder anderes, was für ihn eine höhere soziale Kompatibilität irgendwie notwendig machen würde.
Früher war ich noch auf dem Trip, Medikamente seien immer verkehrt und besagter Freund solle daher seine Psychopharmaka absetzen. Heute wäre ich froh, er würde entweder mehr Medikamente nehmen oder medikamentös besser eingestellt werden. Wenn er nicht anderswie an seinen Wahrnehmungen, seiner Akzeptanz gegenüber anderen Meinungen und seinen Aggressionen arbeiten würde. Schon vor Jahren machte ihm seine Psychiaterin den Vorschlag, man könne ja mal versuchen, die Medikamente bei ihm abzusetzen. Erklären kann ich mir das angesichts seines Zustands, in dem er sich bereits mit Medikamenten befindet, nicht wirklich. Aber wahrscheinlich rührt es daher, dass er sich in der ruhigen und wohlwollenden Atmosphäre des Behandlungszimmers anders verhält als in freier Wildbahn. Außerhalb des Zimmers seiner Psychiaterin gäbe es auch gar kein Problem, wenn ihm einfach alle Mitmenschen immer zustimmen würden und ihm kein Mensch je widersprechen würde. :-)
Moorfrosch erschien mir da in seiner Ablehnung von Psychopharmaka sehr kompromisslos. Er zitierte Peter Lehmann und den Bundesverband Psychiatrieerfahrener (bzw. deren Rundbrief) und dadurch erschloss sich mir dann auch, wo seine Deutlichkeit und seine Positionen her kommen. Denn diese haben ebenso deutlichen Vorstellungen von Psychopharmaka und der Einflussnahme der Pharmaindustrie wie die, die ich aus Moorfroschs Zeilen herauslesen konnte. Ich bin zwar auch Mitglied des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener und schätze manches Buch Peter Lehmanns, halte aber wenig von deren Extrempositionen, die sie leider haben.
Ich bin seit ziemlich genau zwei Jahren am Absetzen meiner Medikation. Und vielleicht wird auch für mich noch die Abwägung relevant, was mir selbst noch gut tut und was meinen Mitmenschen gut tut. Momentan habe ich den Eindruck, dass der Prozess des Absetzens sowohl mir als auch meiner Umwelt zuträglich ist. Bin bei noch lediglich 900 mg Valproinsäure täglich und das ist alles, was ich noch nehme. Knapp im therapeutischen Bereich läge ich bei 1800 mg täglich und darauf war ich früher auch mal. Aus dem Umstand, dass es mir jetzt damit gut geht, schließe ich aber noch nicht, dass es mir damit auch in Zukunft und langfristig gut gehen wird...
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 20.08.18 06:34.