Hallo!
Ich bin neu hier und melde mich wegen meinem besten Freund [edit: Realdaten entfernt] ... Für die Geschichte muss ich ein bisschen ausholen...
[edit: Realdaten entfernt] und ich kennen uns seit sieben Jahren und haben damals zusammen mit drei anderen Burschen nach dem Studium im selben Unternehmen ein Trainee-Programm begonnen. Wir fünf sind relativ bald zu einer recht verschworenen Freundes-Truppe zusammen gewachsen, haben einerseits im Unternehmen viel zusammen gearbeitet, sind aber auch außerhalb des Jobs viel gemeinsam weg gegangen und haben viel Blödsinn gemacht... [edit: Realdaten entfernt] ist in unserer Truppe eigentlich immer dadurch aufgefallen, dass er extrem leicht mit Menschen in Kontakt gekommen ist, und neben seiner offensichtlichen Intelligenz einfach auch immer schon ein sehr gewinnender Mensch war. Er hatte einfach schon damals die Gabe, in einen Raum mit wildfremden Menschen zu kommen und nach wenigen Augenblicken schon mindestens drei Leute um sich stehen zu haben - einfach, weil er eine sehr natürliche, sympathische, gewinnende Art hat. Dabei konnte er schon immer hochrangige Leute im Unternehmen gleichermaßen begeistern wie den Müllmann auf der Straße, ein wirklich beneidenswerter Wesenszug.
Auch wenn mittlerweile keiner mehr von uns Fünf im Unternehmen ist, der Kontakt ist nach wie vor eng - wobei wir uns regelmäßig in der Fünfer-Runde treffen, [edit: Realdaten entfernt] und ich aber wohl die engste Freundschaft pflegen.
Er selbst hat vor zwei Jahren das Unternehmen verlassen und ist ins Familien-Unternehmen nach Hause gewechselt. Schwierig war zwar anfangs die Zusammenarbeit mit seinem recht dominanten Vater, der das Unternehmen daheim führt - alles in allem hat sich das dort allerdings ganz gut entwickelt. Und auch auch privat haben sich die Dinge, nachdem er lange Zeit ein recht umtriebiges Kerlchen war, zusehens verfestigt: Er hat die Frau seines Lebens gefunden und sich letztes Jahr schließlich mit ihr verlobt, gemeinsames Haus und Kinder waren in Planung.
Der erste Cut kam heuer im Winter:
Das erste Projekt, das er in der Firma selbst erdacht und geleitet hat, lief gar nicht wie geplant. Und der vermeintliche Misserfolg hat ihn sehr stark getroffen - er hat sich selbst starke Vorwürfe gemacht, hat an seinen Fähigkeiten gezweifelt und ist in eine depressive Phase hineingerutscht. Über einige Wochen ist es ihm wirklich schlecht gegangen, entgegen seiner Art ist er kaum außer Haus und unter Menschen gegangen, hat seinen geliebten Sport total links liegen gelassen. Mit seiner Verlobten hat er darüber fast gar nicht gesprochen, ich war damals einer von zwei Menschen, mit denen er darüber überhaupt gesprochen hat. Diese Phase dauerte wohl vier bis sechs Wochen und endete relativ schnell, nämlich zum Zeitpunkt, als sich sein Projekt schlagartig zum Guten gewandt hat - das hat ihn wirklich binnen ein oder zwei Wochen von all seinen Sorgen befreit. Er nehme das für sich mit und lerne daraus, meinte er damals - die Fehler, die er begangen hatte, werde er so nicht mehr machen.
Es folgten drei, vier "normale" Monate - bis uns allen bei zwei kurz hintereinander stattgefundenen Treffen in unserer Fünfer-Runde die erste deutliche Wesensveränderung aufgefallen ist. Er wirkte aufgeregt und selbst für seine Verhältnisse überaktiv. Und er kam mit einigen obskuren "Business-Ideen" auf uns zu. So wollte er auf einen Schlag in mehrere Sportwagen investieren, dazu in ein Finanz-Start Up-Unternehmen, in eine künstlich angelegte Surf-Anlage, in mehrere Immobilien. All diese Ideen präsentierte er in der Geschwindigkeit einer zu schnell abgespielte Schalplatte, ließ uns gar nicht zu Wort kommen - er war merkbar aufgeregt, auf eine eigene Art begeistert. Und er war sicher, damit mächtig Geld zu verdienen.
Einige Tage später gab's dann den runden Geburtstag eines Freundes, dort dann die erste Steigerung. Er kam merkbar alkoholisiert an, war unangenehm direkt. Und er verstrickte jeden einzelnen in Diskussionen über verschiedenste Business-Ideen. Alle, die ihm nicht folgen konnten oder wollten, wurden in kurzer Zeit recht offen beleidigt. Seine offene, gewinnende Art war wie von heute auf morgen übersteigert und durch die ungewöhnliche Direktheit richtig unangenehm.
Wieder ein paar Wochen später dann der erste Höhepunkt: Zwei Wochen nach der lange geplanten standesamtlichen und zwei Wochen vor der kirchlichen Hochzeit trennte er sich von einem Tag auf den anderen von seiner Frau und zog von zu Hause aus. Ohne Vorwarnung.
Und eine weitere Woche später der zweite Höhepunkt: Auf der Hochzeit von einem anderen Mitglied unserer Fünfer-Runde trat er auf wie aus der Welt getreten. Er habe in den letzten Wochen verstanden, was sein Platz auf der Welt sei. Er werde die Welt retten. Er habe Mails und Facebook-Nachrichten an Barack Obama und andere Promis sowie TV-Stationen geschrieben, in Kürze werde er in den USA auf allen TV-Kanälen zu sehen sein und dort seinen Plan zur Rettung der Welt erklären können. All das erklärte er lautstark inmitten der Hochzeits-Gesellschaft - das T-Shirt und seine Schuhe hatte er sich zu diesem Zeitpunkt bereits ausgezogen, er trug nur mehr seine Hose. Er war wie ein anderer Mensch.
Von diesem Zeitpunkt schrillten die Alarmglocken im Freundes- und Bekanntenkreis. Die Veränderung war uns zuvor schon aufgefallen, aber dieser letzte Höhepunkt kam schnell, extrem schnell. Und traf uns unvorbereitet. Wir versuchten, ihn davon zu überzeugen, sich Hilfe zu suchen - und nach anfänglicher Verwehrung waren wir zwei Wochen später sogar erfolgreich. Er suchte eine psychiatrische Klinik auf, dort war die Diagnose Manie rasch gestellt. Er blieb sogar einige Tage dort, bekam Medikamente - bis er sich nach den ersten Zeichen des Herunterkommens nach nicht mal einer Woche selbst wieder entlassen hat. Es war ja schließlich keine Zwangseinweisung.
Seitdem wirkt er emotional etwas heruntergeholt, die extreme Übertreibungsphase, zumindest was das auftreten in der Öffentlichkeit betrifft, scheint beendet. Was noch immer da ist: Geschäftliche Projekte ohne Ende, jeden Tag neue Ideen. Wohnung hat er sich keine gesucht, stattdessen verwendet er seine Ersparnisse für 5-Stern-Hotels, in denen er jede Nacht unterkommt.
Das war wirklich die absolute Kurzversion.
Der Großteil des Freundeskreises hat sich leider schnell abgewandt von ihm, weil alle einfach ratlos sind und mit der Situation nicht zu recht kommen. Die Familie ist überfordert. Und auch ich merke, wie sehr ich davor zurück schrecke, ihn zu sehen. Die Treffen mit ihm laugen mich aus. Er möchte mich bei jedem Projekt dabei haben, ich lehne alles freundlich, aber bestimmt ab - er versteht es nicht. Ich höre regelmäßig, mein Job als Angestellter sei doch langweilig, ich solle kündigen und endlich einmal entspannt sein... Und merken, wie cool seine Dinge sind und wie reich ich in kürzester Zeit werden kann. Ich merke unterm Strich einfach, wie ratlos ich bin und wie anstrengend die Treffen mit ihm sind. So anstrengend, dass ich auch nicht weiß, wie lange ich mich diesen Treffen noch aussetze.
Ich wende mich an euch, weil mich interessiert, ob das nach einer üblichen Geschichte für euch klingt. Der erste Cut, wie ich ihn nenne, diese depressive Phase - die ist kaum sechs Monate her. Bis dahin war er für mich der normalste Mensch auf der Welt. Und dann so eine Spirale, und all das ohne merkbaren Auslöser. Wie gibt es das? Ist das normal?
Und natürlich die große Frage: Was tun? Er meint, er ist bei einem Therapeuten in Gesprächstherapie - die Medikamente hat er natürlich abgesetzt, die brauche er nicht... Ist es erfahrungsgemäß überhaupt möglich, ihn irgendwie auf den Boden zu bringen? Und schließlich: Wie soll ich nur mit ihm umgehen, wenn ich ihn nicht einmal auf ein Bier treffen kann, ohne nachher total ausgelaugt zu sein?
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 27.09.16 18:53.
