Re: Bipolar und weitere Lebensführung/Alltag?

14. 10. 2013 18:00
Dass Stress mich in eine Depression bringt weis ich schon seit langem, dass davor jeweils eine Hypomanie liegt habe ich erst hier verstanden. Daher bin ich zukünftig auch bereit, die Stress-Faktoren in meinem Leben zu minimieren oder nach Möglichkeit zu eliminieren.
Allerdings würde ich eben gerne selbst bestimmen, was für mich Stress bedeutet und was nicht; denn Stress ist meines Erachtens sehr individuell.


Hallo Wave,
an dieser Stelle möchte ich ganz unbedingt noch einmal einhaken.

Hier hast du möglicherweise einen großen Bedarf an Umdenken (sorry, wenn ich das so deutlich sage, aber die Formulierungen von dir lassen für mich keinen anderen Schluss zu,... ist nicht böse gemeint...)

Schlüsselsatz: Du würdest gerne selbst bestimmen, was für dich Stress bedeutet.

So funktioniert aber Stress nicht. Er ist da, oder eben nicht. Der ist nicht verhandlungs- und umdeutungsfähig. Stress ist eine körpliche oder psychische und meist aus beiden gemischte Belastung. Eine, die sogar ziemlich klar feststellbar ist. Und die Dosis, momentan und auch kumuliert, macht den Punkt, ab dem es gefährlich wird.
Wenn er da ist, kannst du ihn nicht wegdefinieren. Positiver Stress ist genauso gefährlich, wie negativer. Nicht einen Deut harmloser.
Klar will jeder auf negativen Stress gerne verzichten, auf den Dystress, aber auf den positiven Eustress natürlich nicht. Der gibt einem ein gutes Gefühl, ist beflügelnd, und erhöht die Leistungsfähigkeit, und danach kann man sich mit einem guten Gefühl entspannen....

Wärest du nicht bipolar, wäre das auch gesund, der Eustress würde sich insgesamt positiv auf dich auswirken.
Gesund wärest du in der Lage, ganz automatisch deine Grenze zu erreichen, und deine Psyche und dein Körper würden sich einfach eine Auszeit nehmen, du würdest innerhalb einer gesunden Zeit Erholung einlegen und ausreichend essen und schlafen, weil du müde würdest und dir alles signalisiert: Essen und Schlafen. Gähn....

Du bist aber bipolar.
Und da läuft das anders.

Du kannst deine Grenzen nicht dem Körper, nur deinem eigenen Gefühl, oder dem Zufall überlassen. Diese Bremse ist kaputt.
Wann dieser Zustand einsetzt, kannst du ihn nur dann erkennen, wenn du rechtzeitig, in einem ganz frühen Stadium das Muster erkennst, was bei dir abläuft. Aber wenn er einsetzt, dann ist es keine Frage der Definition mehr, und das unterliegt dann auch keinesfalls deinem Willen.

Dieses gute Gefühl der befriedigten Entspannung und das dann folgende Bedürfnis nach gesunder Erholung nach einer positiven Belastung tritt so z.B. bei einer Hypomanie einfach nicht ein.
Die Bedürfnisse verschwimmen, die Kraft und Leistungsfähigkeit scheint kein Ende zu haben. Wunderbar, oder? Nur sind wir eben keine Supermenschen, und darum ist das nur ein gestörtes Belohnungsverhalten im Kopf, und die Belastung setzt ihre Spuren, ob wir es merken oder nicht - und dann merkst du es eben im Ernstfall erst, wenn der Absturz kommt.
Den merkst du auf jeden Fall, die Folgedepression z.B..

Aber dass der Stress, der dich in die Depression bringt, unter Umständen aus der positiven Überlastung vorher resultiert, die sich doch so gut und gesund anfühlt, und trotzdem krankhaft und schädlich ist, das ist vielleicht noch zu verstehen, aber trotzdem komplett kontraintuitiv und widerspricht auch erst einmal der eigenen gefühlten Wahrnehmung.
Wenn der Depression eine unerkannte Hypomanie vorausgegangen ist, ist das ja genau das Zeichen dafür, dass du (noch, vielleicht aber auch nie) dieses Gespür für positiven Stress als Gefahr möglicherweise noch überhaupt nicht hast. Das geht übrigens vielen so. Mir auch manchmal. Dann sehe ich es nur aus der Retrospektive, und dann ist es bereits zu spät...

Das ist auch nicht unbedingt eine Frage, wielange man braucht, um runterzukommen, ob 5 Minuten, oder eine Stunde, sondern, wo die Stressgrenze liegt, die bei dir anfängt, ungesunde Wirkung zu haben.

Und da kommt es auf die Gesamtsituation an. Ein einzelner großer Stress, ein Reindrehen, kann einen direkt in einen Hochzustand bringen. Oder aber ein Dauerstress staut sich an, und bringt dich dann in den Umschlag. Oder die Phasen kommen quasi wie ein Uhrwerk und benötigen eigentlich keinen konkreten Anlaß mehr, die Stressgrenze liegt dann sehr niedrig, und nur weiträumige Stressverneidung oder sehr gute Medikation oder beides bringt eine deutliche Besserung.

Ich hatte nun das zweifelhafte Glück, mit einer Vollmanie in die Krankheit eingestiegen zu sein, ab der ich quasi keine euthymen Phasen mehr hatte, nur noch mehr oder weniger lange Übergänge von einem Extrem ins Andere. Und auch während der Manien oft sehr verstörende Dinge erlebt zu haben, und bereits in der Familiengeschichte die Kontrollverluste durch Manie vor meiner eigenen Erkrankung von außen als sehr negativ erlebt zu haben.
Bei meiner sehr späten Diagnose hatte ich dadurch also einen großen Fundus an teils auch weitgehend vorher ungenutzter Erfahrung, aus dem sich nun jede Menge Erkenntnisse schlossen lassen, nachdem ich mir durch die Diagnose wirklich bewußt wurde, wie das alles zusammenhing.
Da wurde ein ganzes Netz aus Mustern aus den unerklärlichen Geschichten, und vieles ergab endlich einen Sinn, bzw. fand eine vernünftige Erklärung.
Und dann wird man sich auch über den immerwährenden Kreislauf klar, und begreift den zyklischen Charakter, und dass es die große Leistungsfähigkeit und langwährenden wundersam guten Gefühle nur gegen einen saftigen Preis geben kann, der einen eventuell sogar das Leben kosten kann.
Ich konnte das ab diesem Punkt wegen des langen Vorlaufs mit eigenem Erleben sofort als Wahrheit akzeptieren.
Das ist zugegeben schwerer, wenn man z.B. noch nie eine Manie hatte, lange euthyme (ausgeglichene/gesunde) Phasen, oder nur einen oder wenige Zyklen...aber es ist halt trotzdem wahr.

Wenn es einem eben ganz besonders gut geht, dann ist zumindest bei uns oft etwas ganz und gar nicht in Ordnung.
Und wenn man eigentlich in den guten Phasen gar keinen Mist baut, wie z.B. bei scheinbar harmloseren Hypomanien oder gut kanalisierten und angepasst ausgelebten Manien (auch sowas gibt es), dann kann einem auch die Folgedepression als völlig unangemessene und ungerechte Schicksals"strafe" vorkommen.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Suizidrate bei Bipolar 2 größer ist, als bei Bipolar 1... aber das ist auch nur so ein vermutender persönlicher Gedanke....

Und es einem völlig absurd vorkommen, dass man auf diese Hypomanien auch verzichten soll, und auf das Verhalten, das einen eventuell genau da hinbringt - weil man nicht begreifen kann, wie dieser scheinbar unschädliche Zustand trotzdem so schwere Depressionen im Anschluss haben kann.
Nie hatte ich z.B. eine schlimmere Depression, als nach meiner letzten Hypomanie über 8 Wochen.
Nicht nach den heftigsten Manien. Und davon hatte ich auch einige...
Mir hilft sehr, den ganzen Zyklus als zutiefst ungesund zu begreifen. Als Einheit, nicht als getrennte Phänomene. Als eine Welle, die nicht einmal symmetrisch sein muss...
Dann erübrigt sich der Wunschtraum, die Hochzustände behalten zu wollen, und nur die Depressionen loszuwerden.

Ich habe erst in der Stabilität der letzten 1 1/2 Jahre gelernt, wo überhaupt die Grenzen für "stimmungsstabil"/euthym für mich liegen, wie sich das anfühlt, und dass es innerhalb dessen trotzdem völlig gesunde Freude oder Trauer geben. Und wie sich das dann überhaupt für mich richtig anfühlt.
Für Depressionen, bzw. ihre längerfristige Abwesenheit, habe ich das schon direkt nach meiner Diagnose und ersten medikamentösen Einstellung gemerkt - aber erst mit einer funktionierenden Phasenprophylaxe kann ich das nun einigermaßen sicher für beide Richtungen behaupten.
Da liegt oft ein nicht zu unterschätzender Lernprozess vor einem. Einen, den man nicht direkt auf Anhieb mit der Vernunft in seinem Ausmaß erfassen kann....insbesondere, wenn man bereits lange unerkannt erkrankt war....

LG,
M.
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Bipolar und weitere Lebensführung/Alltag?

Wave84 981 13. 10. 2013 17:23

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TheShining 444 13. 10. 2013 20:27

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Primel 410 13. 10. 2013 22:18

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Jeleo 410 13. 10. 2013 22:46

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Wave84 425 14. 10. 2013 12:05

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Supernova21 411 13. 10. 2013 22:57

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Andi 362 14. 10. 2013 10:57

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Wave84 357 14. 10. 2013 12:15

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zyklothym 473 14. 10. 2013 03:33

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werner123004 329 14. 10. 2013 09:31

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zyklothym 468 14. 10. 2013 18:00

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tschitta 342 14. 10. 2013 09:46

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dino 329 14. 10. 2013 10:00

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Wave84 313 14. 10. 2013 12:29

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dino 515 14. 10. 2013 13:18

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Wave84 414 17. 10. 2013 13:41



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