bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

03. 06. 2013 18:52
wolfmuc schrieb:
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> Jede Depression geht vorbei? / 
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> ja, kann ich bestätigen da ich von Jugend an
> damit zu tun habe,
> nur mit dem Alter werden Diese stärker und
> länger ... warum ?... steht nicht mal in
> wikipedia..

Hi wolfmuc,

in der Wikipedia vielleicht nicht, es steht aber in den Studien von Jules Angst, Schweizer Psychiater und Großmeister der bipolaren Störungen in Europa. Bei den meisten bipolaren Störungen (um nicht zu sagen: so gut wie allen bis auf Ausnahmen) werden die Episoden mit der Zeit länger, die Ausprägung wird extremer und sie folgen einander schneller (was man am Anfang noch ganz leicht sehen kann, später ist es nur noch mit statistischen Mitteln nachweisbar). Einen Fachaufsatz im deutschsprachigen Standardwerk über bipolare Störungen (meine Einschätzung) findest Du hier – und ich empfehle den Klick ganz nachdrücklich, denn er führt Dich mitten in den Aufsatz hinein, nicht an den Anfang, an eine Stelle mit einer Abbildung, die sehr aussagekräftig ist. Da sieht man es eigentlich sofort.

Jules Angst macht ganz nachdrücklich auf die vielen Fehler seiner Kollegen aufmerksam, wenn es zum richtigen und falschen Einsatz von Statistik kommt. Scheinbar ist das schon seit Kraepelin ein großes Problem (also seit dem 19. Jahrhundert), und ich bekomme beim Lesen immer etwas das Gefühl, als wäre Prof. Angst ein bisschen sauer, dass es immer noch Kollegen gibt, die das nicht hinkriegen, und deshalb blind und blauäugig behaupten, bipolare Störungen würden sich nicht verschlechtern und bräuchten keine langfristige Prophylaxe. Am Anfang beschreibt er sehr bildlich, dass er selbst Patienten aus den USA mit Lithium behandelt hat, weil die Amerikaner den Sinn einer Lithium-Prophylaxe jahrelang einfach nicht begriffen haben. Der Mann ist Schweizer, also kein temperamentvoll-heißblütiger Brasilianer, und das ist ein Fachbuch, also bleibt er schön sachlich reduziert – aber diesen Seitenhieb konnte er sich offenbar nicht verkneifen. Bringt mich echt zum Schmunzeln.

Wie eine gute Behandlung sich da auswirkt, ist unklar. Es gibt Ärzte, die meinen, man müsse so früh wie möglich behandeln, denn bei geringerer Schwere ist die Behandlung auch leichter – ich glaube sogar, das ist Konsens. Die Frage ist aber, was passiert, wenn eine Behandlung wirkt. Nehmen wir als Beispiel einen Patienten, der Lithium bekommt. Es schlägt zu 100 % an, es geht ihm gut, er nimmt es 40 Jahre lang. Dann muss er es leider absetzen, weil seine Nieren eine Funktionsstörung haben. Wird sich seine bipolare Störung jetzt so weiterentwickeln wie sie an dem Tag war, als er Lithium das erste Mal bekam, hat die erfolgreiche Therapie die Verschlechterung der Erkrankung also vorübergehend gestoppt? Oder hat sich die Erkrankung trotz Therapie verschlechtert, sozusagen verdeckt, heimlich, und der Patient "klinkt sich in den schlechteren Verlauf ein", so als wäre er nie behandelt worden? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben, denn wie will man diese Frage untersuchen? Woher will man wissen, was passiert wäre, hätte der Patient nie Lithium bekommen? Für diese These gibt es leider ein Argument: Es gibt Patienten, deren Pharmakotherapie mit der Zeit unwirksam wird. Wenn man dann, bei diesen Patienten, die Dosis erhöht, wirkt sie wieder. Man könnte sagen, der Krankheitsverlauf "drückt bei ihnen durch" – das hieße, es gibt womöglich einen Krankheitsverlauf trotz Symptomfreiheit unter Medikamenten. Geklärt ist die Frage aber nicht.

(Ich persönlich, so ganz naiv als Patient, nicht als Wissenschaftler, frage mich ja auch, ob das nicht auch vom Medikament abhängt. Vielleicht gibt es Medikamente, die nur Symptome unterdrücken, aber nicht das eigentliche Problem in den Nervenzellen. Neuroleptika vielleicht. Bei denen verschlechtert sich dann der Verlauf vielleicht trotz Symptomfreiheit. Und vielleicht gibt es auch Medikamente, die die Nervenaktivität so regulieren, dass es nicht zu einer weiteren Ausprägung von Nervenbahnen oder zu Schäden oder was immer der Grund für die Verschlechterung sein mag kommt. Da verschlechtert sich der Verlauf dann nicht. Antiepileptika wären da Kandidat Nr. 1. Aber das ist jetzt echt nur eine ganz, ganz wilde Otacon-Hypothese. Ein Arzt würde mich jetzt vielleicht auslachen.)

Viele Grüße
Otacon

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organische affektive Störung
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Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

tschitta 2082 03. 06. 2013 08:12

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

Paulina 743 03. 06. 2013 11:09

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

tschitta 543 04. 06. 2013 21:37

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

Mexx55 633 03. 06. 2013 14:40

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

cotorra 834 03. 06. 2013 14:51

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

up_up_&_away 975 03. 06. 2013 15:48

Exkurs zum Thema "Persönlichkeitsstörung"

otacon 815 03. 06. 2013 16:55

Re: Exkurs zum Thema "Persönlichkeitsstörung"

tschitta 488 04. 06. 2013 22:43

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

wolfmuc 582 03. 06. 2013 17:32

bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

otacon 1244 03. 06. 2013 18:52

Re: bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

phönix666 678 03. 06. 2013 19:32

Re: bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

otacon 580 03. 06. 2013 19:38

Re: bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

phönix666 541 03. 06. 2013 20:14

Re: bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

otacon 504 03. 06. 2013 20:33

@otacon

Heike 522 03. 06. 2013 20:36

Re: @otacon

otacon 505 04. 06. 2013 00:33

Re: @otacon

Heike 655 05. 06. 2013 00:48

otacons Depressionen – Heike hat gefragt

otacon 797 05. 06. 2013 10:28

Re: otacons Depressionen – Heike hat gefragt

tschitta 446 05. 06. 2013 15:34

Re: otacons Depressionen – Heike hat gefragt

otacon 457 05. 06. 2013 20:08

Re: otacons Depressionen – Heike hat gefragt

tschitta 469 06. 06. 2013 01:32

Re: otacons Depressionen – Heike hat gefragt

otacon 396 06. 06. 2013 01:43

Re: bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

Heike 545 03. 06. 2013 20:22

Re: bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

phönix666 474 03. 06. 2013 20:57

Re: bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

asirik 585 04. 06. 2013 09:11

Re: bipolare Störungen verschlechtern sich meistens

phönix666 451 04. 06. 2013 14:04

@Heike: Bericht

Claire F 469 05. 06. 2013 22:42

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

tschitta 485 04. 06. 2013 22:47

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung - an tschitta - *anstecken tönt gut?* .

Paulina 535 05. 06. 2013 08:24

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung - an tschitta - *anstecken tönt gut?* .

tschitta 429 05. 06. 2013 15:16

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

Andi 464 04. 06. 2013 07:26

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

phönix666 611 04. 06. 2013 15:04

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

orso 475 05. 06. 2013 14:12

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

tschitta 436 05. 06. 2013 15:12

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

orso 458 05. 06. 2013 23:15

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

zyklothym 702 05. 06. 2013 17:14

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

Heike 618 05. 06. 2013 17:32

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

zyklothym 397 05. 06. 2013 17:50

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

zyklothym 404 05. 06. 2013 17:56

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

otacon 795 05. 06. 2013 20:15

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

tschitta 492 06. 06. 2013 01:13

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

tschitta 418 06. 06. 2013 01:40

Re: Jede Depression geht vorbei? / Selbsteinschätzung.

phönix666 512 05. 06. 2013 18:07



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