Guten Tag!
Ich habe das Forum neulich entdeckt, als ich nicht schlafen konnte und wollte, weil ich mal wieder gut Lust auf eine Manie hätte. Da meine Manien nicht so klassisch verliefen, wie in der Literatur beschrieben und ich mir noch nie ohne Geld einen Steinway-Flügel bestellt habe, um eine Oper zu komponieren, sind sie das Geilste, was ich bisher erlebt habe. Vielleicht liegt es daran, dass ich Schriftstellerin bin und daher meiner Besessenheit immer eine Richtung geben kann, was auch notwendig ist, um produktiv zu bleiben. Ansonsten gibt es ein paar Leute in meiner Stammkneipe, die immer ein bisschen auf mich aufpassen und mich rechtzeitig zum Arzt schicken, das ist sehr angenehm, in eine Klinik musste ich zum Glück nie, ich halte viel aus. Letztes Jahr war ich ein paar Wochen auf Carbamazepin eingestellt und habe es eigenmächtig wieder abgesetzt, nachdem ich lange genug das Gefühl von Ruhe genossen habe und mein Gehirn sich anfühlte wie ein Parkplatz vor OBI am Karfreitag. Gott, was hatte ich das Leben im Griff und wie öde war?s! Aber ja, ich schweife ja ab, wollte mich nur vorstellen.
Nun, das Forum gefällt mir sehr gut zum Rumschmökern und dabei ist mir aufgefallen, dass ich, obwohl ich seit hundert Jahren weiß, dass ich md bin und mich letztes Jahr, sehr eingehend damit beschäftigt habe (übrigens ein Lesetipp: Leo Navratil: manisch-depressiv; ein Buch über manisch-depressive Künstler, sehr trostreich!) trotzdem noch ein paar Unklarheiten zu beseitigen habe. Vielleicht kann mir jemand von Euch dabei behilflich sein:
Man liest immer von manischen und depressiven Phasen. Natürlich hasse auch ich die Depression, aber ich kann sie aussitzen, wenn ich mir sage: es ist die Depression, nicht die Realität. Was ich als die Hölle empfinde: wenn ich in einen Zustand gerate, in dem die Wechsel sich beschleunigen. Ich habe es schon erlebt, dass ich wochenlang tägliche Wechsel hatte, am Ende stündlich, minütlich, sekündlich. Es ist dann nicht leicht, noch irgendwas auf die Reihe zu kriegen, zu kommunizieren und nicht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen oder sich die Hände aufzukratzen. Man steht ja unter so unglaublichem Druck, wenn man versucht, dem Realitätsverlust entgegenzuwirken ? mit einem Verstand, der im selben Hirn sitzt wie dieser Realitätsverlust. Zack, da haben wir die Schleife, die ich als flache Acht durch mein Hirn rasen gespürt (wirklich physisch gespürt) habe, als es besonders schlimm war. Und ist in der nächsten Sekunde wieder die Sonnenkönigin. Wie nennt man diesen Zustand, kommt das häufig vor, kennt ihr das alle?
Ich erwarte von meiner Umwelt nicht, dass sie mich versteht ? das meine ich nicht bitter, wie sollen sie mich denn verstehen, diesen Wahnsinn kann man nicht nachvollziehen. Ich bin ja schon froh, wenn mir mal jemand sagt, er habe Angst vor mir oder so was und nicht einfach nur sich distanziert. Aber manchmal hat man schon eine Wut, wenn man niemanden hat, der weiß, von was man überhaupt spricht. Deshalb bin ich ganz froh, dass ich das Forum gefunden habe.
Ich will allen Mut machen, sich mit der Krankheit auseinander zu setzen und die viele Arbeit auf sich zu nehmen, die es macht, damit zu leben, ohne Medikamente, wenn es geht. Ein bisschen darf man auch in den Wahnsinn verliebt sein, finde ich und ihn in ruhigeren Phasen pflegen ? das nimmt den Schrecken, man kann sich der Krankheit von einer Richtung und in einem Tempo nähern, die man selbst bestimmt und es bringt der ganzen Sache Humor bei. Ich will nichts verharmlosen oder romantisieren (als Schriftstellerin liebe ich natürlich das Klischee von Genie und Wahnsinn), ich weiß auch, dass es für manche Leute wirklich besser wäre, sie wären nicht md. Ich hingegen will?s mir ohne nicht vorstellen, obwohl es mir meine ganze Jugend versaut hat. Der Wirt meiner Stammkneipe sagt manchmal: Ach Mensch, da ist wohl mal wieder deine Psyche mit dir durchgegangen, mensch, mensch, mensch. Und dann lachen wir herzlich. Ich hab Menschen, die meine Spleens vertragen (ich bin die Sonnenkönigin) und es z.B. in Ordnung finden, wenn ich mir mal einen Bart anklebe oder mir eine Krone aufsetze. Auch das nimmt mir sehr viel Druck, der Kessel dampft nicht mehr so heftig, aber stetig ? sehr angenehm. Hätten die Leute, die in meiner Jugend mit mir zu tun hatten, auch so kluge Herzen gehabt, wäre mir glaube ich viel Leid erspart geblieben. An alle Angehörigen, Mitbewohner etc.: Bleibt locker, auch wenn?s schwer ist, wir brauchen euch. Wenn ich auch noch so depressiv bin und ich nicht mehr auf Aufmunterungsversuche reagieren kann ? ich weiß, wie weh das auf der anderen Seite tut ? macht es mich ganz tief im Herzlein glücklich und tröstet, dass da jemand ist, der mir die Hand gibt.
Gruß
Sumosimi