Meine liebe Freundin scheint manisch-depressiv zu sein

Johannes
17. 04. 2002 20:40
Hallo,

ich habe eine Weile in dem Forum gelesen und möchte etwas über mich erzählen. Vielleicht könnt ihr mir etwas Rat geben, oder auch Trost. Ich kann von beidem gerade eine Menge brauchen.

Ich kenne seit einem halben Jahr eine Frau, die ich sehr lieb gewonnen habe, und fast jede Begegnung mit ihr hat mich tief berührt. Ich habe zunächst gedacht, daß eine intensive Freundschaft daraus wird, weil ich mir eigentlich offene, nicht exklusive Beziehungen wünsche und das auf ihrer ethischen Landkarte nicht drauf ist. Wir haben uns trotzdem oft mehrmals die Woche getroffen. Unsere Situation war etwas ähnlich, als wir uns kennenlernten, beide hatten wir eine schmerzhafte und unfreiwillige Trennung gerade hinter uns, und ihren letzten Freund, mit dem sie drei Jahre zusammen war, hat sie sehr geliebt.

In den letzten Wochen habe ich angefangen, mich sehr in sie zu verlieben.

Wir sind dann mit einer weiteren Freundin im Urlaub gewesen. Es ist eine Situation eingetreten, die für sie extrem stressig war, ein Unfall, bei dem zu helfen sie sich wohl ziemlich verausgabt und viel zu wenig geschlafen hat. Als sie zurückkam, befand sie sich in einem Zustand von großer Angst und Paranoia. Wir haben dann verhindert, daß man sie in dem Land ins Krankenhaus brachte, haben Wache gehalten und sie in den Arm genommen, weil sie zu große Angst hatte, allein zu sein, und sind mit ihr nach Hause gefahren.

Ich hatte gehofft, daß dies eine einmalige Episode war. Die Panik hat sich auch bisher nicht wiederholt.

Seitdem hatte sie Tage, wo sie kurz euphorisch und angeregt war; an einem Tag hatte sie sehr viel Kleider eingekauft; Dann gab es vier oder fünf Tage, wo sie sehr deprimiert war, einen Abend, wo wir eigentlich vorhatten, ins Theater zu gehen und sie nach ihren Worten niemanden sehen wollte und meinte, sie könnte es mir nicht antun, mit ihr Zeit zu verbingen. Die letzten Tage ist ihre Stimmung wieder viel besser.

Ich weiß, daß sie sich von verschiedenen Leuten psychotherapeutisch beraten läßt und zumindest zeitweilig Medikamente nimmt. Sie leugnet meistens völlig, daß mit ihr etwas nicht in Ordnung sein könnte, und gibt anderen Leuten die Schuld an ihren Angstzuständen (wobei die sich ehrlich gesagt auch alles andere als geschickt verhalten haben). Sie glaubt nicht, daß sie krank ist, oder hat zu große Angst, es mir zu sagen. Ich habe ihr bisher auch nicht direkt gesagt, was ich dazu meine, weil ich ihr Vertrauen nicht verlieren möchte - es sind auch gerade mal zehn Tage, daß ich es für wahrscheinlich halte, daß sie diese Krankheit hat. Sie ist sehr wütend auf ihre Eltern, die ihr wohl sagen, sie sollte ins Krankenhaus gehen. Manchmal spreche ich an, daß es ihr nicht gut ging, und sie sagt, daß sie sich große Sorgen macht. Sie hat große Angst, als verrückt zu gelten. Ihre Familie hält zu ihr, aber ihr Umfeld im Studium
ist wenig unterstützend.

Sie kommt mit ihrem Studium nicht gut weiter, weil sie sich einerseits zu viel vornimmt, und es andererseits nicht schafft, Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht immer zu besuchen, sie scheint sich manchmal zu denken, daß sie mit Glück durchkommt.

Ich frage mich, was ich ihr sagen soll, ich denke, die Therapeuten, Eltern usw. erzählen ihr sowieso dauernd, daß Medikamente nehmen soll. Andererseits fällt es mir schwer, dieses Leugnen mitzumachen, weil ich mich frage, ob ihr dies nicht letztlich schaden würde.

Ihr habt geschrieben, daß Menschen mit der Krankheit oft ihre Freunde oder Angehörigen gerade dann zurückstoßen, wenn sie es am nötigsten brauchen. Ich frage mich, wie es für sie wohl ist, wenn sie deprimiert ist, und sagt daß sie niemandem ihre Gesellschaft antuen will. Ob ich nicht doch gerade dann bei ihr vorbeifahren soll, auch wenn sie nein sagt. Oder mich besser um mich selber kümmere und etwas mache, was mich etwas hochbringt.

Ich habe aber auch große Angst, ihr auf die Nerven zu gehen. Ich traue mich kaum, ihr zu sagen, wie sehr ich sie in Wirklichkeit liebe. Ich habe ihr neulich gesagt, daß sie tatsächlich die erste Frau ist, mit der ich es mir als schön vorstellen könnte, Kinder zu haben, und sie hat es nicht direkt angenommen, abersich sehr gefreut, das sei ein tolles Kompliment.

Tatsache ist, daß ich eine Partnerschaft möchte, auch wenn ich weiß daß es oft sehr sehr schwer werden kann. Warum, kann ich gar nicht sagen, es fühlt sich sehr richtig für mich an.

Ich frage mich aber auch, ob mir mein Bedürfnis, zu helfen, nicht einen Streich spielt, ich hatte lange eine Beziehung, in der Abhängigkeit ein ziemliches Thema war, und möchte da nicht wieder hineinrutschen. Gerade deswegen gefällt mir ihre unabhängige und oft zurückhaltende Art.

Ich frage mich, ob es nicht eigentlich auch Züge der Krankheit sind, die mir gefallen, ihre Spontanität und Extrovertiertheit zum Beispiel. Andere Eigenschaften scheinen sehr ureigen sie zu sein und werden wohl immer bleiben, zum Beispiel ist sie ein sehr verantwortungsbewußter Mensch - der
es aber momentan oft nicht auf die Reihe bekommt, jede Woche einen Termin einzuhalten. Und wenn es ihr gut geht, ist sie die Hingabe selber.

Ich fände es so wichtig, über die Krankheit zu reden und ihr zu sagen, daß ich an sie glaube und sie es irgendwie hinkriegen wird. Auch zu sagen, was ich vielleicht nicht mitmachen kann.

Mir fällt es unglaublich schwer, mich abzugrenzen, mich von ihrer Depression nicht mitziehen zu lassen, meine eigenen Termine nicht zu vernachlässigen, wenn sie euphorisch ist und Zeit hat. Ich habe Angst, daß sie eines Tags nicht mehr da ist.

Und was mache ich bloß mit mir selber ? Ich bin oft so traurig, ich könnte stundenlang heulen. Das darf doch nicht wahr sein. Es tut mir so leid für sie, sie hat doch soviel vor in ihrem Leben.

Ich zeige ihr meine Traurigkeit und Angst nicht, ich denke, es hilft ihr nicht, ich will sie auch nicht mit meinen Sorgen manipulieren.... sie macht sich schnell Schuldgefühle.

Ich habe angefangen, mit meinen engeren Freunden zu reden, habe aber Angst, daß sie nur auf irgendwelche Verhaltensweisen achten, wenn ich ihnen die mögliche Diagnose sage, ohne daß sie sie vorher kennen. Aber wie soll ich meinen Freunden erklären, wie sehr ich jetzt ihre Unterstützung brauche ?

Was für Erfahrungen habt ihr gemacht ?


Ich fände es so wichtig, mit ihren Eltern und Freunden zu reden, glaube aber, daß ihr das jetzt nicht recht wäre. Am wichtigsten fände ich es, Abmachungen und Notfallpläne zu machen, falls ihr Selbstmordgedanken kommen. Ob ich versuchen soll, mit ihren Ärzten zu reden?
Es kommt mir vor, wie sie zu hintergehen.



Und vielleicht sind meine ganzen Sorgen ja umsonst, vielleicht legt sich das alles ganz von selber wieder, was weiß ich, was es wirklich ist. Es wäre so schön, wenn alles gar nicht wahr wäre.

Ich wollte zum Schluß noch schreiben, weil manche von den Lesern vielleicht jetzt denken, daß sie ihren Lieben eine Last sind, daß mir diese Beziehung sehr, sehr kostbar geworden ist, ich fühle mich so unglaublich beschenkt davon, sie zu kennen, selbst wenn es ihr nicht gutgeht und ich kaum zu ihr durchdringe, ist ihre Gegenwart irgendwie ein Glück. Ich habe mir eine Beziehung gewünscht, in der nicht jeder so ängstlich darauf achtet, wieviel er kriegt, und das hab ich nun von meinem Wunsch ;-).


bitte schreibt mir!

Johannes
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Meine liebe Freundin scheint manisch-depressiv zu sein

Johannes 1301 17. 04. 2002 20:40

Re: Meine liebe Freundin scheint manisch-depressiv zu sein

W.G. 567 17. 04. 2002 21:41

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Babsi 269 17. 04. 2002 22:02

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Johannes 217 18. 04. 2002 01:18

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W.G. 272 18. 04. 2002 10:05

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Patrick 242 17. 04. 2002 23:14

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Kerstin 255 18. 04. 2002 00:43

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Johannes 205 18. 04. 2002 23:18

Re: Meine liebe Freundin scheint manisch-depressiv zu sein

Ulli 340 19. 04. 2002 08:32



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