Re: Psychose

Ursula Schüpbach
09. 03. 2002 13:05
Liebe A.

Ich habe einen Buchtipp für dich: Lichtjahre, Psychosen ohne Psychiatrie, von Thomas Bock, Psychiatrie-Verlag. Dort wird das psychotische Erleben von Menschen umfassend beschrieben und erläutert. Betroffene stehen im Zentrum und werden sozusagen als Experten in eigener Sache befragt. Auch wird die Sicht der Wissenschaft kritisch hinterfragt. Es ist zwar in diesem Buch häufig von Psychosen aus dem sog. schizophrenen Formenkreis die Rede und von Leuten, die auch Stimmen hören, aber ansonsten ist das psychotische Erleben sehr gut auf psychotische Schübe bei MD übertragbar. Ich habe selber mehrere sogenannte "psychotische Schübe" hinter mir und erhielt die Diagnose "manisch-depressiv". Ich habe eine Zwangseinweisung hinter mir, die schrecklich war(stundenlanges ans Bett fesseln, Zwangsspritzen usw.).Danach war alles noch schlimmer. Das muss nicht immer so sein, aber es gibt eben Kliniken, in denen mit viel Gewalt auf Menschen in psychotischen Krisen reagiert wird, weil man ihnen "den Wahn austreiben will" wie im 19. Jahrhundert. Schlimm finde ich, wenn man einfach nur noch als krankes Wesen wahrgenommen und behandelt wird, das spürt man und dann lehnt man alle und alles ab, auch die Diagnose, nimmt keine Medikamente usw. Vielleicht hat es auch etwas Gesundes, wenn sich dein Vater nicht nur mit MD identifizieren will und sich dagegen wehrt, einfach als "krank" bezeichnet zu werden. Psychotische Inhalte können auch symbolhafte, unbewusste Ängste oder Wünsche in verschlüsselter Form anzeigen und einen Sinn haben. Sie sind zwar für die Umgebung häufig schwer nachvollziehbar. Mir hat geholfen, dass ich (nach der Psychiatrie) Menschen um mich hatte, die mir die Wahninhalte nicht ausreden wollten, sie nicht als sinnlos betrachteten und keine Angst zeigten davor- das hat mich sehr beruhigt. Ebenso wichtig waren das konkrete Handeln mit Menschen: von Abwaschen bis Kochen alles, was irgendwie "handfest" war. Es kann sein, dass man sich in einer psychotischen Phase sehr einsam fühlt, weil man das Wahrgenommene fast nicht mit Worten mitteilen kann. Da hilft schon nur ein Mensch, der ruhig, natürlich reagiert und einem als Menschen nicht komplett ablehnt.
Psychiatrische Diagnosen sind nur Konstrukte und sagen sehr wenig über einen Menschen aus. Ich denke, das sollte man nie vergessen, sonst sieht man den Betroffenen nur noch durch die "Diagnosebrille" und findet den Zugang kaum mehr.
Nun, ich wünsche dir und deinem Vater viel Kraft, trotz all den Widersprüchlichkeiten, die das Leben manchmal hat.
Ursula
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