Dann hast du Ersatzmütter gefunden, dazu kann ich dich nur beglückwünschen!
Ja, meine Mutter tut mir auch leid, sie hat alle möglichen Krankheiten entwickelt und suhlt sich dann stets in Selbstmitleid.
Ich musste als Kind nicht schuften, aber ich weiss heute, was mir gefehlt hat: ich wurde nicht gesehen.
Das mit dem Brief steht in vielen Büchern über das Thema, aber es steht auch drin, dass man sich nach tatsächlichem Abschicken zu 90 Prozent auf weitere Vorwürfe à la "du bist doch die Verrückte" gefasst machen kann.
Komische Reaktion deines Therapeuten, was hatte er denn zu bemängeln?
Ändern tun die sich nicht mehr, aber mir tut es gut, zu wissen wieso und warum. Meine Mutter liebt mich bestimmt - im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie hat eben die Liebe, die sie als Liebe versteht. Eine andere Liebe hat sie nicht zur Verfügung, das ist so traurig.
Bei meinem Vater ist es ja anders, der fand als Kind eine Ersatzmutter. Es ist jetzt nicht so, dass er mir seine Liebe groß zeigt, aber Liebe spürt man ja vor allem.
Kantine wäre für mich auch nichts, Wasser in Topf, Tüte auf, Pulver rein, umrühren, fertig... Sterneniveau machen wir nicht, wir machen kreativ Hausmannskost und gutbürgerlich, ich bin spezialisiert auf Bratensoße, Rinderrouladen und Käsespätzle :-)
Ich kann die Stressspitzen gut wegstecken und ich mag auch den Rausch, wenn ich Doppelschichten und kurze Wechsel hab, wenn es in meinem Kopf nur noch kochen gibt. Aber ich merke, ich brauche mittlerweile adäquaten Ausgleich - und nicht nur einen Monat ohne Überstunden.
Zu wissen, dass ich mit Kochjacke und Messer jederzeit sofort einen Job finden würde, gibt mir auch ein gutes Gefühl der Sicherheit, nachdem ich während meines Studiums und danach jahrelang Existenzängste pflegte.
Wenn du die Ausbildung hast und auf hohem Niveau gekocht hast, gibt es doch auch zahlreiche Möglichkeiten, dein Wissen beruflich zu nutzen. Viele Restaurants brauchen Beratung. Ich hab zur Prüfunsgvorbereitung einen Kurs an einem Fortbildungszentrum für Gastronomie gemacht, die suchen auch immer Dozenten.
Und du hast Recht. Ich wurde zwar nicht zum Schuften gezwungen, aber kaum war ich 15 wurde mir ein Ferienjob besorgt und ich musste mir das dauernd anhören, dass Arbeit das Wichtigste sei (ich bin aber auch ein Schöngeist, aber meine Literatur, Kunst, Gedanken wurden als wertlose Flausen abgetan). Und so tappe ich immer wieder in diese Falle und prahle damit, wieviele Stunden ich stehen hab und wieviel ich schaffe. Eine Zeitlang war ich neidisch auf die jetzt Mitte Zwanzigjährigen im Service, weil die überhaupt kein Problem damit haben, pünktlich zum Feierabend alles stehen und liegen zu lassen, sich bei Verantwortung zu drücken und sich einfach krank zu melden, wenn sie keinen Bock haben - wenngleich ich natürlich keinerlei Verständnis für so eine Haltung aufbringen kann.
Aber jetzt merke ich, dass die auch bloß nicht glücklich sind, weil sie von ihren Eltern als Prinzessinnen und Prinzen aufgezogen worden sind und für jeden Scheiss gelobt wurden und vermittelt bekommen haben, dass sie ja ach so einzigartig seien. Und die finden sich jetzt an der Uni nicht mehr zurecht, weil Mami sie nicht bis in den Hörsaal bringt, weil sie dort unter lauter Prinzessinnen und Prinzen nicht mehr so einzigartig sind, wie sie dachten und eben nicht großartig sind, bloß weil sie mehr oder weniger dekorativ einfach nur da sind. Und für jeden kleinen Mist wird Papi angerufen, der dann erledigt oder zahlt. In den Genuss des geilen Gefühls ganz alleine was auf die Beine gestellt und geschafft zu haben, kommen die doch nie. Und irgendwann stellen sie fest: ich bin nichts und meine Eltern vergöttern mich trotzdem, da kann doch was nicht stimmen.
Die fordern auch schnell mal Respekt ein und ich sage denen, den kannst du dir verdienen, dann schaun wir mal. Und wenn ich frage: wofür möchtest du Respekt, dann fällt denen noch nicht mal was ein!
Eine dieser Prinzessinnen, die grade ihr Studium abgebrochen hatte und außer ein bisschen Kellnern bei uns nichts machte, weil Papi die Miete (und vieles mehr bezahlt) und der Freund den Rest, sagte mal zu mir: "Soviel arbeiten müssen für so wenig Geld wie du will ich später mal nicht." Und da hab ich gesagt: "Wenn du so weiter machst wirst du Hilfskellnerin bleiben und noch weniger haben."
Jetzt studiert sie wieder. Und erzählte mir, wie sie überfordert war, die Fußnoten in einer Hausarbeit als Fußnoten zu formatieren. Also rief sie Papi an und konnte dann zusehen, wie er per Fernsteuerung auf ihren PC zugriff und alles richtete. Demnächst heiratet sie. Papi bezahlt alles. Das Kleid, das Landschlösschen, den Oldtimer. Und die wundert sich, wieso sie Panikattacken hat. In deren Haut will ich auch nicht stecken.
Gestern schwatzte ich bei einer Zigarette mit unserem konfliktscheuen Chef, der oft den Eindruck erweckt als kriege er überhaupt nicht mit, wer die Arbeit eigentlich macht. Es stellte sich heraus, dass er eine ganz präzise Statistik im Kopf hat, welche von den Prinzessinnen sich entweder zum Wochenende oder zum Montag gerne mal krank meldet... ups. Besagte Prinzessin steht ganz oben auf der Liste. Und ich weiss, sie würde nie auf die Idee kommen, dass es nicht legitim ist, sich krank zu melden, nur weil man keinen Bock hat und sie würde auch niemals verstehen, wieso andere damit ein Problem haben.
Sumosimi
Taat du nee borom djogol, so djoge mu topola.
