Re: Ich bin hart geblieben.

08. 06. 2016 16:25
Das Thema selber nix annehmen können gehört da glaube ich auch dazu.

Ist auch von Muttern "vererbt": alle anderen können alles mögliche von uns haben, aber wir fragen nie um Hilfe und nehmen nichts an.

Ich hatte letztes Jahr folgende Situation: obwohl ich nicht reich bin, hab ich jemandem eine dreistellige Summe Geld geliehen, unter der Voraussetzung, es gibt einen realistischen Plan, wie ich es zurück bekomme. So. Der Plan wurde dann aber von ganz anderen durchkreuzt und ich warte jetzt noch auf mein Geld. Ich rege mich aber nicht auf und mache demjenigen keinen Vorwurf und andere brauchen sich da erst gar nicht einmischen - was sie natürlich gerne tun würden, um sich moralisch zu positionieren. Leute, die von anderen dauernd alles nehmen, ohne je was dafür zu tun, aber die dann komisch werden, wenn es ums Geld geht. Können sie ja, aber doch nicht, wenn es um mein Geld geht.
Wie dem auch sei: ich jammere nicht, denn wenn ich Geld verleihe, ist immer ein Risiko dabei, dass es nicht zurückkommt und das wusste ich vorher und ich bin jetzt deswegen nicht verhungert. Beim Geld hört die Freundschaft auf, sagen die Leut. Vielleicht fängt sie da aber auch erst richtig an?

Jedenfalls bekam ich dann aus einer ganz anderen Richtung genau die verliehene Summe Geld als Geschenk angeboten, um meinen Prüfungsvorbereitungskurs zu bezahlen. Die Prüfungsgebühren selber übernimmt mein Chef und die zweite Hälfte des Vorbereitungskurses bekam ich vom Europäischen Sozialfonds geschenkt als Förderung. Mich kostet also meine ganze Prüfung keinen Cent und alles in allem wären das dreimal mehr Euro gewesen für mich als die Summe, die ich verliehen habe.

Dass mein Chef die Gebühren bezahlt, das war in Ordnung für mich. Ich leiste mehr als andere und hab in der Aufbauphase viele Zugeständnisse gemacht. Dass der Europäische Sozialfonds mich unterstützt, damit hab ich auch gar kein Problem.
Das Problem waren die 500 Euro, die mir der Exfreund meiner Exfreundin schenken wollte, weil ich die einzige war, die noch mit ihm redete, nachdem sie einen total dämlichen Rosenkrieg angezettelt hatte mit Anzeige wegen Stalking und so nem Scheiss. Ich hab ihm geholfen die Trennung halbwegs zu verarbeiten und das war ihm 500 Euro wert. Ich kam mir komisch vor. War ich dann nicht käuflich? Ließ ich mich nun dafür bezahlen, dass ich mich auf seine Seite geschlagen habe? Wollte er mich nur benutzen, um wieder Kontakt zu ihr zu bekommen?

Ich konnte das Geld nicht annehmen und fragte mich aber schon auch, warum eigentlich nicht. Ich hab dann mit ein, zwei pragmatischeren Kollegen drüber gesprochen und die machten mir klar, wieviel ich anderen gebe und wie wenig 500 Euro für einen Piloten sind und dass es für ihn einfach eine Art sei, Danke zu sagen und ich das nicht einfach so ausschlagen könne, da er mich ja auch wochenlang bat, es anzunehmen.

Und dann hab ich gesagt, ja, verdammt, scheiss drauf. Ich gebe so viel und nehme so wenig, damit muss auch mal Schluss sein.

Ich hab die 500 Euro dann genommen, Übergabe war in einem Club, in einer dunklen Ecke. Ich war am gleichen Abend mit meinem Schuldner verabredet. Und ich ahnte es schon vorher... genau in dem winzigen Augenblick, in dem ich die 500 Euro nahm und in meinem Büstenhalter verstaute, schoss neben mir der Schuldner wie ein Pilz aus dem Boden: Hallo, Sumosimi.
Mir lief es heiss und kalt den Rücken hoch und runter. Wieso hatte ich das geahnt und wie macht der Typ das? Riecht es nach Schwefel!?!?
Ich sah ihn scharf an und sagte nur: Das hier hat nie stattgefunden. Keine Frage, keine Antwort. Damit das klar ist.

Seitdem bin ich mehr im Reinen mit mir, was geben und nehmen angeht. Und vor allem ist mir klar geworden: was ich gebe, das geht niemanden was an. Nehmen tun sie alle gern, aber sie sehen es nicht gerne, wenn ein anderer was bekommt und sie leer ausgehen, ohne dass sie es verstehen.

Mein Schuldner ist jemand, der mir sehr viel gibt. Ich bezahle dafür in der Kneipe sein Bier. Man sollte nicht glauben, was für Blicke wir regelmäßig dafür ernten, dass ich sein Bier bezahle und das den ganzen Abend.
Die sehen nur das Geld, das er bekommt. Die sehen nicht, was ich gewinne. Unbezahlbare Stunden mit jemandem, der mich versteht.
Wir haben über diese komische Konstellation gesprochen. Dass ich nicht das Gefühl habe, er gehe nur mit mir aus, weil ich das Bier bezahle, dass ich aber eben das Bier bezahlen muss, wenn ich mit ihm ausgehen will, weil er es nicht bezahlen kann. Wenn ich keine Kneipenpreise bezahlen will, treffen wir uns bei ihm und er zeigt mir stundenlang Filme und Dokumentationen und Bücher und Musikalben und spielt mir Musik vor. Die Diskussionen, die wir währenddessen haben, die Qualität unserer Kommunikation, die Ruhe, die sich in meinem Gehirn ausbreitet, weil ich weiss, er versteht mich auch noch wenn meine Gedanken über sieben Ecken springen, der Genuss, seinen Gedanken über sieben Ecken zu folgen... interessiert es mich da, ob er für 15 oder für 20 Euro Bier trinkt, was ich bezahle?

Komischerweise denkt ja auch der, der jemand anderem finanziell hilft, er könne dem anderen automatisch Vorschriften machen, wie er sich denn nun zu helfen lassen hätte. Das ist für den, der Hilfe braucht sehr, sehr heikel, denn es macht ihn unfrei.
Mein Schuldner macht auch Strassenmusik. Es kaufen ihm Leute auch Bier und Essen. Sie fragen aber vorher nicht, ob er Bier möchte, sie fragen auch nicht, was er gerne essen würde. Sie kaufen ihm Essen, was gleich verzehrt werden muss, ohne zu fragen, ob er Hunger hat oder nicht. "Glaub nicht, dass mir da einer mal ne Milch bringt", hat er erst vorgestern zu mir gesagt.
Ich gehe auch manchmal mit ihm Einkaufen und sage ihm vorher nen Betrag, den er zur Verfügung hat, wenn ich sehe, dass er hungert. Und natürlich stöhne ich auf, wenn er sich dann fertige Chicken Nuggets kauft.

Wir haben ausgemacht, dass ich ihn in einer Sache gängeln darf: Bevor irgendwas im Wagen landet, muss da Obst und Gemüse drin liegen. Das klappt inzwischen auch auf freiwilliger Basis :-D Einmal hab ich ihn gezwungen, sich Zutaten für eine Hühnersuppe zu kaufen. Es hängt immer ein bisschen von seinem Wohlverhalten und seinem Allgemeinzustand ab, wie streng ich da bin :-D
Sollte ich ihm nochmal Bargeld leihen/geben, muss mir aber klar sein, dass er frei ist, damit zu tun, was er will. Komme ich damit nicht klar, muss ich das sagen und gebe ihm eben kein Bargeld. Selbst wenn er sich dann Drogen von dem Geld kauft, obwohl es vorher hieß, er müsse sich Gitarrensaiten besorgen - es geht mich dann nichts an. Wenn ich will, dass es mich was angeht, muss ich das vorher sagen und selber dafür sorgen, dass es auch Gitarrensaiten sind, die mit dem Geld bezahlt werden. Anders wäre eine Freundschaft wahrscheinlich nicht möglich.

Ich bin jetzt wieder abgeschweift... aber das Thema beschäftigt mich sehr und ich kann mit niemandem wirklich drüber reden, weil es gleich heisst: der nutzt dich aus. Und ihr, was macht ihr? Ihr stellt euch eine geschlagene Stunde vor ihn hin, wenn er spielt, werft ihm nicht einen Cent in den Hut und schnorrt ihn noch um eine Kippe an und denkt, er erfüllt eure Musikwünsche, weil ihr Kumpels seid? Wie diese Leute, die sich bei ihrem Freund, dem Wirt, an den Tresen stellen, die zahlenden Gäste vergraulen und sich einbilden, als Kumpel müssten sie nichts bezahlen, dürften aber vom Personal eine besonders zuvorkommende Bedienung erwarten... und ihr wollt mir erzählen, beim Geld hört die Freundschaft auf?!? Ich sollte mal ausrechnen, was mich die drei USB-Sticks voller Musik gekostet hätten, die er mir gemacht hat, wenn ich mir das alles hätte selber besorgen müssen... dass er mir auf den Kopf zugesagt hat: die halten dich für arrogant, weil du deine Arbeit gut machst und sie dir nicht folgen können, weil du hochbegabt bist... das ist unbezahlbar.

Vielleicht ist es das, was einen so ärgert, wenn man denkt, man wird ausgenutzt. Dass man einerseits so kleinkariert ist, dass andere eine Augenbraue hochziehen, wenn man einfach so gibt... am Ende weiss man aber nur für sich, ob die Bilanz stimmt. Meine stimmt. Und das geht auch nur mich was an.

Sumosimi

Taat du nee borom djogol, so djoge mu topola.
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Unsere Nachbarin will ständig etwas von uns

VanGogh 3709 15. 11. 2015 17:10

Re: Unsere Nachbarin will ständig etwas von uns

brainpain 1073 15. 11. 2015 18:13

Re: Unsere Nachbarin will ständig etwas von uns

VanGogh 1534 16. 11. 2015 13:47

Re: Unsere Nachbarin will ständig etwas von uns

Sumosimi 1292 16. 11. 2015 17:24

Re: Unsere Nachbarin will ständig etwas von uns

hanitas 986 17. 11. 2015 16:40

Danke an Euch alle

VanGogh 960 18. 11. 2015 13:55

Re: Danke an Euch alle

hanitas 1074 20. 11. 2015 23:46

Re: Danke an Euch alle

VanGogh 960 29. 11. 2015 19:00

Re: Danke an Euch alle

Bipolara 755 15. 12. 2015 12:38

Re: Danke an Euch alle

VanGogh 837 16. 12. 2015 18:01

Ich bin hart geblieben.

VanGogh 860 04. 06. 2016 16:20

Re: Ich bin hart geblieben.

Mexx55 767 04. 06. 2016 17:35

Re: Ich bin hart geblieben.

VanGogh 785 04. 06. 2016 17:55

Re: Ich bin hart geblieben.

rotkappe 829 04. 06. 2016 18:19

Re: Ich bin hart geblieben.

VanGogh 635 04. 06. 2016 18:38

Re: Ich bin hart geblieben.

Mexx55 585 04. 06. 2016 18:35

Re: Ich bin hart geblieben.

VanGogh 592 04. 06. 2016 18:53

Re: Ich bin hart geblieben.

Mexx55 794 04. 06. 2016 19:48

Re: Ich bin hart geblieben.

VanGogh 706 04. 06. 2016 21:13

Re: Ich bin hart geblieben.

Sumosimi 1151 05. 06. 2016 14:15

Re: Ich bin hart geblieben.

VanGogh 668 07. 06. 2016 13:36

Re: Ich bin hart geblieben.

Sumosimi 1045 08. 06. 2016 16:25

Re: Ich bin hart geblieben.

VanGogh 862 13. 06. 2016 18:19

Das war´s - an Mexx und alle anderen, die es noch interessiert

VanGogh 746 26. 04. 2017 18:44



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